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Es ist noch keine drei Jahre her, da ließ die „New York Times“ die amerikanische Nation wissen, daß ihr Präsident „bei dem Gedanken an eine mögliche Pearl-Harbor-Katastrophe durch biologische Waffen nachts nicht einschlafen“ könne. Und kaum einer der Sicherheitsexperten der USA zweifelte daran, daß die zukünftigen Gefahren von biologischen Massenvernichtungswaffen der sogenannten Schurkenstaaten wie Irak oder Libyen ausgehen würden. Dabei stelle der Milzbranderreger (Anthrax) die größte Gefahr eines in naher Zukunft möglichen Biokriegsszenario
s dar, weil er leicht zu produzieren und zu verbreiten sei.

Das, wovor Bill Clinton und seine Berater sich fürchteten, ist indes keine Erfindung unserer Tage. Die biologische Kampffüh- rung reicht weit in die Geschichte zurück. Schon im Altertum schreckten Heerführer nicht davor zurück, den Feind durch vergiftete Nahrung und Trinkwasser zu dezimieren. 1347 schleuderten die Mongolen bei der Belagerung des heutigen Feodosia auf der Krim mit der Pest infizierte Leichen in die Stadt, um die Verteidiger zur Aufgabe zu zwingen. Und ähnliche Vorfälle sollten sich in der Kriegsgeschichte noch häufiger ereignen. Die Verwendung von pflanzenschädigenden Kampfstoffen in Vietnam durch die US-Luftwaffe ist der letzte verbriefte Kriegseinsatz biologischer Waffen - mit Langzeitfolgen für Feind und Freund, wie wir heute wissen.

An der Grenze der biologischen zur chemischen Kriegführung liegt die Vergiftung von Orangen mit Quecksilber, die vor 20 Jahren in Israel in den Handel gelangten. Hier konnte erstmals ein terrori-stischer Hintergrund nachgewiesen werden. Unvergessen ist auch der erst wenige Jahre zurückliegende terroristische Anschlag auf die Tokioter U-Bahn mittels eines chemischen Kampfstoffes, der mehrere Todesopfer und Hunderte Verletzte forderte. Dabei war hier „nur“ ein Giftgas eingesetzt worden, dessen Toxizität lediglich einen Bruchteil der Giftigkeit des Milzbranderregers ausmacht.

Bill Clinton und seine Berater sollten jedenfalls recht behalten und doch irren. Denn es sind nicht die Regierungen der „Schurkenstaaten“, die „die freie Welt“ mit tödlichen Seuchen bedrohen, sondern wohlorganisierte und global operierende terroristische Gruppen. Ihre Waffe jedoch ist, wie prognostiziert, der Milzbranderreger. Denn die „asymmetrische Form“ der Kriegführung mit biologischen Kampfstoffen bietet ihnen die einzige Möglichkeit, einem übermächtigen Gegner auf dem Gebiet der konventionellen Kriegführung Schaden zuzufügen. Die „Bio-Waffe“ bietet gerade für den verdeckten Kampf große Vorteile. Denn die Aus- gangsmaterialien für eine Waffe müssen leicht zu beschaffen sein und dürfen nicht viel kosten, die Herstellung muß einfach sein, und die Produktionsstätten müssen sich leicht tarnen lassen. Also werden sich Terrorgruppen zukünftig biologischer Waffen bedienen, deren Ausgangsorganismen überall erhältlich und deren Produktionsstätten einfach und unauffällig zu errichten und zu betreiben sind.

Das Spektrum der verfügbaren biologischen Kampfstoffe ist groß. Zu ihnen zählen alle Krankeitserreger, deren giftige Stoffwechsel- bzw. Ausscheidungsprodukte, Pflanzenschädlinge und Pflanzenwirkstoffe sowie bestimmte chemische Gifte gegen Nutzinsekten und Fische. Als besonders wirksame Bio-Kampfstoffe gelten die Erreger von Milzbrand, Brucellose (Maltafieber), Pest, Pocken, Q-Fieber (Balkangrippe), Gelbfieber, Typhus, Meningitis, Rotzkrankheit und Tularämie. Darüber hinaus gibt es noch eine Vielzahl von Erregern wie Bakterien, Pilzen und Viren, die allerdings nur schwer zu kultivieren sind und besonderer Sicherheitslabors bedürfen. Hierzu gehören die Erreger viraler Fieber (beispielsweise Ebola, Lassa), die sich durch eine hohe Sterblichkeit auszeichnen und gegen die es kaum Impfmöglichkeiten gibt. Zu den biologischen Kampfstoffen gehören ferner biologische Toxine, die wesentlich giftiger sind als beispielsweise die giftigsten chemischen Kampfstoffe.

Die besten Voraussetzungen für einen terroristischen Einsatz indes bietet Anthrax. Denn abgesehen von Selbstmordattentätern dürften Terroristen aus Gründen des Eigenschutzes nur solche Bio-Kampfstoffe einsetzen, gegen die wirksame Medikamente und Impfstoffe vorhanden sind. Milzbrand läßt sich durch die rechtzeitige Gabe von Penizillin zumeist erfolgreich behandeln. Außerdem ist ein Impfstoff verfügbar, dessen Schutzwirkung bei etwa 90 Prozent liegt. Dennoch ist Milzbrand ein Kampfstoff mit verheerender Wirkung für das Opfer wie für den Anwender selbst, sofern dieser ungeschützt operiert.

Der äußerst gefährliche Erreger überträgt sich in der Regel durch den direkten Kontakt mit infizierten Tieren über die Haut oder die Atemwege. Milzbrand tritt zumeist als Hautmilzbrand mit geringer Sterblichkeit auf. Äußerst gefährlich dagegen ist der Lungenmilzbrand, der durch die Inhalation von sporenhaltigem Staub oder Aerosolen übertragen wird und fast immer zum Tode führt. Zu Darmmilzbrand kommt es durch den Verzehr kontaminierten tierischen Materials.

Die Inkubationszeit beträgt durchschnittlich nur zwei Tage, in Einzelfällen auch nur Stunden. Die Symptome aller Verlaufsformen ähneln zunächst denen harmloser Krankheiten - Schüttelfrost, Kopfschmerz, Fieber, Appetitlosigkeit, Übelkeit, kleine Pickel -, weshalb sie oft erst spät erkannt werden. Ersterkrankte haben daher eine schlechte Prognose, denn die Diagnostik dauert in der Regel länger als die tödlich verlaufende Seuche. Diese Umstände bergen angesichts der derzeit auftretenden Infektionsfälle ein erhebliches Panikpotential, denn es ist zu befürchten, daß viele Menschen, die tatsächlich nur an einer harmlosen Grippe erkrankt sind, sich, ihre Umgebung und ihre Ärzte unnötig in Aufregung versetzen.

Der Erreger kann auf Tierhaaren, Wolle, Fell, Knochen und anderem kontaminierten Material überleben, so daß Anthrax auf diesem Wege von einer Seite der Erde auf die andere transportiert werden und Erkrankungen bei Menschen auslösen kann, die zeitlich und örtlich völlig getrennt sind. So ist der Milzbranderreger zwar weltweit verbreitet, doch tritt er in hochentwickelten Ländern mit einem intakten Gesundheitssystem und einem hohen Hygienestandard in der Tierhaltung praktisch nicht auf. Daher kommen Erkrankungen fast nur noch in Asien, Osteuropa, Afrika, Lateinamerika und selten im Pazifikraum vor.

Insofern lassen die jetzt in größerer Zahl auftretenden Infektionen, die aus geographisch weit voneinander entfernt liegenden und eigentlich unauffälligen Gebieten gemeldet werden, ohne daß ein Kontakt zu infizierten Tieren vorausgegangen ist, den sicheren Schluß auf einen terroristischen Hintergrund zu. Mit dem Einsatz biologischer Kampfstoffe aber hätten die Täter eine neue Dimension des terroristischen Kampfes eröffnet. Während es ihnen bisher primär darum ging, Sachwerte zu zerstören oder verhaßte Persönlichkeiten zu beseitigen, Unbeteiligte aber zu schonen, scheinen sie jetzt einen Krieg begonnen zu haben, der sich gezielt auch gegen Unschuldige und Hilflose richtet. Denn biologische Kampfstoffe töten Menschen in großer Zahl - Sachschäden entstehen nicht, und die Wirkung der eingesetzten Mittel läßt sich kaum steuern. Krankheitserreger unterscheiden nicht zwischen Gut und Böse, Schwarz oder Weiß. Selbst bei einem begrenzten Einsatz besteht daher immer die Gefahr einer unvorhersehbaren und unkontrollierten Epidemie.

Was sich bisher wie ein phantasievoller Kriminalroman las, erweist sich heute als realistisch: ein tödlicher terroristischer Angriff auf die friedliche Zivilbevölkerung. Unsere Trinkwasserversorgung, die Produktion und der Verkauf von Nahrungsmitteln, abgepackte Getränke und Konserven bleiben stets neuralgische Punkte für Angriffe mit weitem Streuungseffekt. Um möglichst viele zu kontaminieren, dürften außerdem Orte bevorzugt werden, wo sich viele Menschen versammeln: Einkaufszentren, Sportstadien, Thea- ter, Bürohäuser, große Warteräume, der öffentliche Nahverkehr, Demonstrationen und Einrichtungen mit großen Luftumwälzanlagen. Doch biologische Waffen töten am effektivsten, wenn die Opfer schlafen - gerade weil sie schlafen. Deshalb sind sie auch in ihren eigenen Häusern nicht sicher. Daher dürften zur Ausbringung der Erreger die sommerlichen Abend- und Nachtstunden bevorzugt werden, wenn bei schwül-warmer Luft die Fenster geöffnet oder die Klimaanlagen eingeschaltet sind.

Die selbst unter gewöhnlichen Umweltbedingungen überaus stabilen Milzbrandsporen können sehr einfach als biologische Waffe vorgehalten werden, da sie als Dauerform des Bakteriums in Sauerstoffgegenwart über hundert Jahre hochinfektiös bleiben. Der Gebrauch des Milzbranderregers zu terroristischen Zwecken wird zudem dadurch begünstigt, daß er leicht, billig, unauffällig und in unbegrenzter Menge im Labor zu produzieren, ohne besondere Vorkehrungen zu lagern und ebenso unauffällig wie komplikationslos auszubringen ist. Den Möglichkeiten, den Erreger zu verbreiten, sind keine Grenzen gesetzt. Bei der trockenen Ausbringung werden erreger- oder sporenhaltige Stäube im Blasverfahren oder unter Ausnutzung von Luftverwirbelungen - beispielsweise im U-Bahnschacht - verteilt. Andere Möglichkeiten sind kontaminierte Briefsendungen, Luftballons und dergleichen. Aerosole von flüssigkeitsgebundenen Erregern lassen sich durch Flugzeuge, ferngelenkte Modellflugzeuge, Handsprayer usw. verteilen. Unter der implantiven Ausbringung versteht man die direkte Kontaminierung von Lebensmitteln und Trinkwasser. Bei der vektoriellen Ausbringung schließlich bedienen sich die Täter erregerhaltiger tierischer Überträger (Vektoren) wie Insekten oder Ratten, die leicht zu züchten und zu kontaminieren sind.

Dies alles liest sich natürlich wie ein Horrorszenario. Tatsächlich gäbe es derzeit gegen einen terroristischen Großangriff mit Milzbranderregern kaum einen wirksamen Schutz. Dann könnten sich die Sünden der jüngsten Vergangenheit rächen. Denn der Zivilschutz ist den Friedensutopisten genauso zum Opfer gefallen wie die Bundeswehr. Seine „Wiederbelebung“ dürfte Jahre dauern. Diese Tatsachen sind in der Tat beängstigend, doch besteht hierzulande kein Grund zur Panik. Der Kauf ausgesonderter Gasmasken ist ebenso übertrieben und sinnlos wie der von „Überlebens-Sets“ oder von Medikamenten zweifelhafter Herkunft und Wirkung. Ärzte, Krankenhäuser und Behörden sind alarmiert, so daß es zu keinen Verzögerungen bei der Diagnostik kommen wird. Gegen viele der beschriebenen Bio-Kampfstoffe - vor allem aber gegen Anthrax - sind wirksame Medikamente und Impfstoffe auf dem Markt. Die Industrie arbeitet jetzt mit Hochdruck daran, sie in ausreichender Menge verfügbar zu machen.

Sollte es zu vereinzelten Fällen von Milzbrandinfektionen kommen, wird der Gefahr begegnet werden können. Doch dabei muß es nicht bleiben. Deshalb sind alle Politiker gefordert, aus ihrem seligen Schlummer der Illusion von der friedlichen, einen Multi-Kulti-Welt zu erwachen. Der von Samuel Huntington postulierte Kampf der Kulturen ist eben nicht überwunden, sondern er hat gerade erst begonnen. Das deutsche Staatsschiff aber segelt unbekümmert mit allem erdenklichen Luxus über die Meere - und hat noch nicht einmal Rettungsboote an Bord. Dabei wartet am Horizont möglicherweise schon der todbringende Eisberg ...

 
     
     
 
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