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Bis auf s Blut

 
     
 
Der Finanzminister hat nach eigenen Aussagen eine leere Kasse vorgefunden, das neue Kabinett steht vor riskanten Entscheidungen, große Erwartungen der Bevölkerung lasten zentnerschwer auf der neuen Regierung und sogar die Bezahlung der Politiker samt Verwaltung ist akut gefährdet. Die palästinensische Autonomiebehörde in Ramallah tritt unter neuer Führung an zum Offenbarung
seid. Das Kabinett der Hamas kam inzwischen erstmals zusammen und mußte feststellen, daß es selbst am Nötigsten für die Regierungsarbeit fehlt. Für ein paar Stunden schien es, als sei die Hamas in ihrer Not bereit, einzulenken, Israel anzuerkennen - dann folgte das Dementi. Israel betrachtet die Palästinenserverwaltung nun als "feindliche Einheit".

Ohnehin überraschend schnell kam trotz der heiklen Finanzlage das scheinbare Einlenken der Palästinenser. In die für die finanzielle Unterstützung der Autonomiebehörde durch den Westen entscheidenden Frage der Anerkennung Israels schien Bewegung gekommen zu sein. Ein Brief des Hamas-Außenministers Mahmud al-Sahar an UN-Generalsekretär Kofi Annan erwähnte in einer inoffiziellen Übersetzung der palästinensischen UN-Vertretung in New York eine "Zwei-Staaten-Regelung". Eine Sensation - Israel und ein Arrangement mit dem jüdischen Staat schienen nach Einschätzung westlicher Medien erstmals zum Greifen nahe. Schlagzeilen gaben wieder, die Hamas wolle "Seite an Seite mit unseren Nachbarn in diesem heiligen Teil der Welt" leben. Europa und die USA hofften als wahre Finanziers der 140000 Autonomieangestellten auf ein Zeichen aus Ramallah. Der palästinensische UN-Diplomat Rijad Mansur hatte mit Verweis auf die Wortwahl des Briefes an jener Stelle des "Seite an Seite" von einer Weiterentwicklung der Denkweise der Hamas gesprochen - "das ist wichtig", so Mansur.

Man wird ihm in Zukunft nicht mehr zuhören müssen, denn die Hoffnung auf eine Weiterentwicklung ist gestorben. Außenminister als Sahar habe sich ganz unmißverständlich ausgedrückt, gab sein Büro in Gaza auf die euphorischen Meldungen hin bekannt. Keinesfalls habe man eine Zwei-Staaten-Lösung diskutiert oder gar indirekt Israel anerkannt. Der Brief Sahars an Annan bekommt so eine Wendung, noch bevor die UN dazu Stellung nehmen könnte. Nicht ein Aufeinanderzubewegen, sondern Klage ist nach Lesart des Palästinenser-Büros in Gaza der Inhalt. Wie schon das UN-Büro in New York bekanntgegeben habe, seien Israels Sperranlagen und der geplante Ausbau jüdischer Siedlungen im Westjordanland das Thema: "Dadurch wird jede Hoffnung auf eine Einigung und einen Frieden auf der Basis der Zwei-Staaten-Lösung geschmälert." Nicht Hoffnung auf Frieden und eine Zwei-Staaten Koexistenz mit Israel, sondern keine Hoffnung, kein Frieden und keine Koexistenz ist die Botschaft - zumindest solange palästinensische Forderungen nicht erfüllt werden. Man werde überhaupt erst eine Position zur Zwei-Staaten-Lösung beziehen, wenn Israel das Westjordanland und Ost-Jerusalem geräumt habe, den palästinensischen Flüchtlingen die Rückkehr nach Israel erlaube und die palästinensischen Gefangenen freigelassen habe, so das Gaza-Büro.

Reaktionen auf diese kalte Klarstellung ließen nicht lange auf sich warten. China lud Hamas-Außenminister Mahmud al-Sahar de facto öffentlich aus: Man habe keine Pläne für ein Treffen, ließ Peking zwei Tage nach einer öffentlichen Reiseankündigung al-Sahars verlauten. Selbst China - im Nahostkonflikt mehr neutraler Mittler - geht die Hinhaltepolitik der Hamas langsam zu weit, und es sieht keinen Gesprächsbedarf mehr. Europa mischte über den EU-Außenbeauftragten Javier Solana schon zu den vermeintlich kompromißbereiten Freudentönen aus New York eher ernüchternde Klänge: "Wenn die Hamas in Zukunft keine Terrorakte mehr verübt, wird die EU ihr entgegenkommen." Noch gebe es allerdings "keinen klaren Hinweis" dafür.

Europa deutet die Hamas sicherer als die sich selbst. Die janusköpfige Politik, die einst die Fatah und Jassir Arafat dem Westen bescherten, ist noch zu gut in Erinnerung: Im Ausland sich als friedenswillig hinstellen und zuhause der palästinensischen Öffentlichkeit etwas ganz anderes erzählen, nämlich kompromißloses Festhalten an der Gewalt. Diese Taktik ist für die Hamas keine Option mehr, das zeigt der Brief an Annan. Die Doppelstrategie führte die Fatah in die Korruptionsvorwürfe und Wahlniederlage. Die Palästinenser erlebten die einst legendären Fatah-Widerstandskämpfer zunehmend als Geldempfänger des Westens, die Vetternwirtschaft blühte, doch das Elend der Palästinenser nahm nicht ab. Im Gegenteil: Fatah richtete sich im status quo bequem ein, weder Frieden noch vermeintlich aufrichtiges Ankämpfen gegen die israelische Besatzung waren zu spüren. Hamas weiß um den Haß, der ihr blüht, sollte sie sich als zweite Fatah entpuppen, ihr soziales Engagement nicht fortsetzen können. Die Partei Ismail Haniyas hat sich nun mit dem Rücken an die Wand manövriert. Die islamischen Bruderstaaten lassen, von ein paar Mehlsäcken abgesehen, finanzielle Hilfe vermissen, der Westen dreht den Geldhahn zu, ohne den keine Autonomie auch nur über wenige Monate möglich ist. Nicht umsonst hieß es in der Nachdeutung des Briefes seitens der Palästinenser, man habe Annan in dem Brief gebeten, sich bei den USA, der EU, den UN und Rußland "für den Dialog einzusetzen". Dialog heißt hier: Zeit und Hilfszahlungen gewinnen, ohne sich eindeutig erklären zu müssen.

Und Israel? Anfangs sah es so aus als setze die Regierung von Ehud Olmert weiter auf die Verhaftung radikaler Palästinenser - in der Westbank, vor allem in Nablus und nahe Jerusalem. Die symbolträchtige Stadt steht mit im Zentrum der unverhandelbaren Forderungen der Autonomiebehörde gegenüber Israel. Nicht von ungefähr kam die Quittung aus Tel Aviv: Khaled Abu Arafa, Minister für Jerusalem-Angelegenheiten der Hamas wurde am Tag eins nach dem Brief in Izzariya nahe Jerusalem von der israelischen Armee verhaftet. Er war im Begriff, in dem Ort anonym ein Büro zu eröffnen. Der Hamas ist das nach israelischem Recht verboten - kein Raum für Terrororganisationen. Doch paßt die Verhaftung mehr noch als Reaktion auf den erneuten Hamas-Anspruch auf Ost-, wenn nicht ganz Jerusalem.

Die eigentliche Schock-Reaktion ist indes eine andere: Für Israel besteht nun kein Verhandlungsbedarf mehr. Olmerts Kabinett, das ein Umdenken seitens der Hamas noch für möglich gehalten hatte, erklärt die Autonomiebehörde jetzt zur "feindlichen Einheit". Friedensgespräche schließt das israelische Sicherheitskabinett aus - auch mit dem gemäßigten Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas. Erst wenn Hamas der Gewalt abschwöre sowie Israel früher geschlossene Vereinbarungen anerkenne, gebe es Gespräche. Ein beiderseits von unabänderlichen Bedingungen diktierter Kalter Krieg zwischen Israelis und Palästinensern hat begonnen. Im Gazastreifen flammt er bereits heiß auf - Militärangriffe Israels gegen palästinensische Extremisten fachen ihn an.

Der Nahostkonflikt steht an einem Wendepunkt. Schafft die Hamas nicht den Weg an den Verhandlungstisch, bleibt Palästina womöglich für Jahre ohne eine vom Ausland akzeptierte Regierung. Sie hat es sich selbst unnötig schwer gemacht und mit diesem Brief das Faß zum Überlaufen gebracht, während Israel die Palästinensischen Regierungsmitglieder hart angeht und dort in wenigen Wochen nichts mehr funktionieren wird, was auch nur entfernt nach einer funktionierenden Hamas-Regierung aussieht.

Keine Akzeptanz der "Zwei- Staaten-Regelung"

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