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Der 1973 in Brasilien geborene Régis de Sá Moreira legt mit "Das geheime Leben der Bücher" eine seltsame Publikation vor. In kurzen Episoden wird das Dasein eines Buchhändlers erzählt, der - fast darf man es für diesen Beruf verallgemeinern - ein Sonderling ist. Der Stil des Autors tendiert zum Surrealismus, zur traumhaften Schilderung an sich alltäglicher Begebenheiten. Nicht nur Leser, denen das Schriftwerk von E.T.A. Hoffmann, Franz Kafka , Samuel Beckett vertraut ist, geraten in den Sog des Buches.
Der Buchhändler, der alt aussieht, aber jung ist, verläßt nie seinen Laden. Was er benötigt, wird ihm gebracht und er benötigt ausschließlich Kräutertees. Sie sind sein Nahrungsmittel; es reicht ja auch wenn man von Büchern umzingelt ist, meint er. "Sobald er ein Buch aufschlug, war der Buchhändler glücklich. Zumindest fühlte er sich wohl. Es war fast eine kindliche Freude. Er hatte den Eindruck, daß sich jemand um ihn kümmerte, daß sich jemand um ihn sorgte. Anders gesagt: Wenn der Buchhändler ein Buch las, hatte er das Gefühl, geliebt zu werden." Manchmal meinte er, er selbst sei ein Buch, in dem die Seiten seines Lebens geschrieben wurden.
Drei Frauen hatte er geliebt und sie verloren. Nun liebte er seine Kunden, aber durchaus nicht alle. Jene, die er mochte, beglückte er mit einer Tasse Kräutertee: Melisse, Malve. Den anderen servierte er den ekelhaftesten Tee seines Sortiments, oder aber - bei ihrem bloßen Anblick - verkroch er sich unter seinen Schreibtisch. Käufer, die Kriminalromane suchten, verirrten sich nicht zu ihm, denn es war stadtbekannt, daß er keine "Verbrecherliteratur" führte.
Aber es kamen auch Besucher, die er fürchtete und derer er sich nicht erwehren konnte. Zwei von ihnen waren unsichtbar. Zum Beispiel "die Frage". Sie schlüpfte unter der Tür herein, füllte den Raum, beschnüffelte die Bücherregale, beklemmte sein Herz. Sie verschwand so lautlos, wie sie gekommen war. Die andere, angstvoll erwartete Besucherin war "die unendliche Traurigkeit". Sie schlich sich an ihn heran, in ihn hinein. Sie verließ ihn erst, wenn er hemmungslos weinte. Eine dritte Besucherin erschien in sichtbarer Gestalt. Sie kam nur nachts. Es war "die nackte Frau". Sie verkörperte seine drei verlorenen Lieben in Wesenseinheit. Sie blieb stets an derselben Stelle stehen, lächelte ihn an. Er trat zu ihr, drückte sie an sich: "Kein Wort wurde gesagt. Kein Gedanke gedacht. Keine Liebe wurde gemacht - Alle Bücher verhielten sich still." Schattengleich entschwand "die nackte Frau".
Der beseligte Buchhändler genoß einen Rosentee. Danach setzte er sich in seinen Schreibtischsessel, zog den Hut ins Gesicht, schlief ein. Während der Nacht - davon war der Buchhändler überzeugt - ging Gott an den Büchern entlang.
Diese zauberhafte Geschichte - mal mystisch, mal lustig und oft melancholisch - ist eine Liebeserklärung an das Buch und eine Anregung für eigene Träume. Sie ist allerdings nur Lesern zu empfehlen, welche das Träumen noch nicht verlernt haben.
Nicht jeder wird die Geschichte verstehen, und deswegen wird sie nicht jeder mögen. Aber alle, die sich zu Hause zwischen ihren Bücherregalen wohlfühlen, werden ein kleines Stück dieses altmodischen Buchhändlers in sich wiederfinden.
Régis de Sá Moreira: "Das geheime Leben der Bücher", Droemer, München 2005, 177 Seiten, 14,90 Euro |
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