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Am 5. November fanden im Königsberger Gebiet Wahlen statt. Rund 730 000 Wahlberechtigte unter den über 900 000 Einwohnern des Gebietes sollten einen neuen Gouverneur wählen und gleichzeitig über die neue Verteilung der 27 Sitze ihres Regionalparlamentes, der Gebietsduma, entscheiden.
Eine Überraschung ist das Königsberger Wahlergebnis nicht. Es war zu erwarten, daß am 5. November keiner der zwölf Kandidaten die 50-Prozent-Hürde schaffen würde und die Gouverneurswahl schon im ersten Wahlgang für sich entscheiden könnte.
Auch das Abschneiden der einzelnen Kandidaten überrascht niemanden. Die Umfragen vor der Wahl differierten zwar in den Prozentwerten, hatten aber durchweg Jegorow als Sieger mit Werten um 30 Prozent und Gorbenko als Zweitplazierten mit rund 18 Prozent gesehen. Nach Auszählung der Stimmen steht fest: Sieger der ersten Runde ist der Kommandeur der baltischen Flotte, Admiral Wladimir Jegorow, mit 37,93 Prozent der abgegebenen Stimmen vor dem amtierenden Gouverneur Leonid Gorbenko , der 19,15 Prozent der Stimmen errang. Auf Platz drei folgt der kommunistische Duma-Abgeordnete Wladimir Nikitin mit 15,99 Prozent vor dem Chef des Fischerei Komitees Juri Sinelnik, der 14,03 Prozent erreichte.
Immerhin 7,31 Prozent der Wahlberechtigten nutzten eine Besonderheit des russischen Wahlrechtes und stimmten gegen alle Kandidaten.
Von vornherein hatte man nur diesen vier Kandidaten ernsthafte Aussichten auf den Sieg zugesprochen, nachdem der Wunschkandidat der Massen, der Königsberger Bürgermeister Juri Sawenko, nicht kandidiert hatte. Als im Sommer im Bezirk das Wahlbündnis "Sozidanije" gegründet wurde, dem an führender Position neben dem Sprecher der Gebietsduma, Valeri Ustjugow, Ex-Gouverneur Matotschkin und Admiral Jegorow auch Juri Sawenko angehörte, hatte man letzteren als den Kandidaten des Bündnisses gesehen. Er verzichtete jedoch im August mit dem Hinweis, er habe mit seinem Amt als Bürgermeister genug zu tun in den nächsten Jahren, um die Situation zu stabilisieren, und Jegorow sei genau der richtige Mann für den Posten des Gouverneurs. Ganz nebenbei feuerte er eine Breitseite auf den Konkurrenten und amtierenden Gouverneur Gorbenko ab, dessen Kampagne er als total verlogen bezeichnete.
Selbst im nicht verwöhnten Rußland gilt Gorbenko als einer der schlechtesten der 89 Gouverneure. Von dunklen Machenschaften während seiner Zeit als Fischereihafenchef über Amtsmißbrauch, Nähe zu kriminellen Vereinigungen, verschwundenen Millionenkrediten, Inkompetenz, unberechenbarer selbstherrlicher Politik bis hin zu Alkoholproblemen reichen die Vorwürfe. Gorbenko gilt nicht nur in Moskau als einer der Hauptverursacher der wirtschaflichen Rückständigkeit der Region.
Die jüngsten Zahlen von Glaskomstat sprechen eine deutliche Sprache, fast 40 Prozent der Einwohner des Gebietes vegetieren an der Armutsgrenze dahin, zehn Prozent mehr als im Landesdurchschnitt, während Gorbenkos Amtszeit halbierte sich das Monatseinkommen auf gerade 60 Dollar. Die Wirtschaftskrise von 1998 brachte die Region an den Rand des Kollapses, das Investitionsvolumen ausländischen Kapitals sackte um mehr als zwei Drittel auf 18,3 Millionen Dollar ab, dafür explodierten die Kosten der Verwaltung, sie verdoppelten sich. Gorbenko versuchte zwar, diese Zahlen vom Tisch zu wischen, indem er die Methoden der Erhebung anzweifelte, den schlechten Ruf Königsbergs im In- und Ausland konnte er damit nicht entkräften.
Längst gilt das Königsberger Gebiet als Drehscheibe des Drogen-, Waffen- und Menschenhandels, der Verwaltung haftet das Odium der Korruption an, das ganze Gebiet sieht man im Griff krimineller Vereinigungen. Spitzenplätze belegt das Königsberger Gebiet nur in Negativstatistiken, es gibt dort 60 000 Drogensüchtige bei einer jährlichen Steigerungsrate von 30 Prozent, 20 000 Dealer und bald 4000 Aids-Infizierte. Die Talfahrt zu diesen Negativrekorden passierte während Gorbenkos Amtszeit, nur ein hoffnungsloser Optimist konnte mit seiner Widerwahl im ersten Wahlgang rechnen. Obendrein war Gorbenkos gespanntes Verhältnis zu Putin ein offenes Geheimnis, ein gewaltiger Nachteil, nachdem der Kreml im Frühsommer die Macht der Regionen rigoros beschnitten hat. Künftig werden sieben Bevollmächtigte die Gouverneure kontrollieren und wichtige Vollmachten übernommen werden. Gorbenko war einer der Wortführer im Kampf gegen den Präsidenten, was ihn nicht beliebt machte. Präsident Putin ließ ihn in der Konsequenz während seines Besuches im Sommer völlig links liegen.
Flottenchef Jegorow hingegen positionierte sich als Hoffnungsträger. Der 62jährige, weißhaarige Arbeitersohn mit der warmen Stimme gilt als Protegé Putins und avancierte bald auch zum Favoriten der EU.
Seine Führungsqualitäten hat Jegoro bewiesen. Höchste Kompetenz erkennen ihm die Bürger auf dem Gebiet von Sicherheit und Ordnung zu, sie sehnen sich nach gesicherten Verhältnissen. Transparenz, offene Türen für die Medien versprach der Pragmatiker den Wählern und ein Ende der Alleingänge. Eine Befürchtung gibt es allerdings, nämlich daß er zuerst die Wünsche Moskaus befriedigen wird, dann die des Militärs und erst an dritter Stelle die der Königsberger Bevölkerung.
In der vierjährigen Amtsperiode des neuen Gouverneurs wird vor allem die Frage nach der Haltung zur EU an erster Stelle stehen, denn noch in dieser Legislaturperiode wird Königsberg zur Insel, Polen wird bis dahin EU-Mitglied sein, Litauen auf dem Sprung stehen.
Nun muß Farbe bekannt werden, der neue Gouverneur sollte möglichst bald zusammen mit Putin ein konkretes Konzept für Königsberg vorlegen, wie es auch die EU verlangt. Weitere Fördermittel wird es erst geben, wenn in der Bekämpfung des organisierten Verbrechens und der Korruption sowie in der Qualität von Zoll, Verwaltung und Grenzabfertigung Verbesserungen erzielt sind. Gleichzeitig müssen die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und die wirtschaftliche Entwicklung in der Region wenigstens in Gang kommen.
Niemand hat dafür eine Patentlösung in der Schublade, auch die EU nicht. Jegorow sagt man Verständnis für Wirtschaftsfragen nach. Er hat realistische Vorstellungen von der Wirtschaftslage, sein Programm "Pilotprojekt Kaliningrad" trägt die Handschrift Matotschkins. Die Vorteile des Gebietes und seine Ressourcen sollen mit effektiverem Gebrauch der vorhandenen Geldmittel kombiniert werden und Mißbrauch ausgeschlossen werden. Jegorow und seine Mannschaft haben erkannt, daß die im Bezirk bei Banken und Firmen konzentrierte Kapitalmenge zu gering ist, um die Region voranzubringen.
Das Wohl Königsbergs hängt also davon ab, ob der künftige Gouverneur Investoren ins Gebiet locken kann. Auch hier hat Jegorow Vorteile, gilt er doch als konstruktiv, verläßlich und als gewiefter Diplomat. Vor allem aber hat er gute Beziehungen zu hochrangigen Offiziellen in Deutschland, Dänemark, Schweden und den baltischen Staaten. Genau dies werden die entscheidenden Staaten für einen möglichen Aufschwung des Gebietes sein.
Vermutet wird, daß Jegorow im zweiten Wahlgang zumindest einen großen Teil der Stimmen Sinelniks zu sich herüberziehen kann. Der 37jährige Sinelnik galt als erfolgreicher Jungmanager ohne Seilschaftsgeruch. Begonnen hatte allerdings auch er wie der Präsident seine berufliche Laufbahn im Geheimdienst, daher war er in dieser Wahl Putins zweites Eisen im Feuer.
Nun müssen die Wahlberechtigen am 19. November noch einmal ran. Man kann mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, daß Jegorow das Rennen machen wird. Die Erfolgsformel soll lauten: neuer Präsident, neuer Gouverneur, neues Leben. Die Gruppe um Jegorow dominierte auch die Gebietsdumawahlen. Dort wurden 27 Abgeordnete in Einzelwahlen ermittelt, die restlichen fünf Sitze erhalten die stärksten Wahlbündnisse. Duma-Sprecher Ustjugow, Bürgermeister Sawenko und Ex-Gouverneur Matotschkin wurden direkt gewählt, weiterhin auch der Kommunist Nikitin und der Pillauer Bürgermeister Kuznezow.
Stärkste Wahlbündnisse beziehungsweise Parteien waren "Unterstützung des Präsidenten" mit 16,03 Prozent, gefolgt von den Kommunisten mit 13,27 Prozent, "Jabloko" ("Äpfelchen": die Partei des Moskauer Reformers Jawlinski) mit 12,54 Prozent und "Sozidanije" mit 11,37 Prozent. BJ
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