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Die Lage kippt

 
     
 
Von Peter Rauen, stellv. Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag

Die wirtschaftlichen Realitäten haben die Bundesregierung eingeholt. Während sich der Bundeskanzler im vergangenen Sommer noch in den Strahlen der vom niedrigen Euro-Kurs angeheizten Export-Konjunktur sonnen konnte, hängen zwölf Monate später dunkle Wolken am wirtschafts
politischen Himmel. Was sich für kundige Beobachter schon im Lauf des Jahres 2000 abzeichnete, ist inzwischen ins allgemeine Bewußtsein gedrungen: die deutsche Wirtschaft ist im Abschwung.

Schon seit Anfang 2000 ist das Wirtschaftswachstum von Quartal zu Quartal zurückgegangen; im zweiten Quartal 2001 ist es vermutlich ganz zum Erliegen gekommen. Die von der Bundesregierung im Jahreswirtschafts- bericht aufgestellte Wachstumsprognose von 2,75 Prozent für das Jahr 2001 ist damit nur noch Makulatur. Nicht einmal die Hälfte dieses Wertes halten führende Wirtschaftsforschungsinstitute heute noch für realis-tisch.

Auch auf dem Arbeitsmarkt ist die Schönwetterperiode vorbei. Ohnehin konnte sich die Bundesregierung auf diesem Feld nur mit Scheinerfolgen schmücken. So beruhte der Rückgang der Arbeitslosenzahl allein auf demographischen Gründen: In den Jahren 1999 und 2000 schieden 436 000 mehr alte Menschen aus dem Erwerbsleben aus, als junge Menschen nachrückten. Demgegenüber ging die Arbeitslosenzahl von Mitte 1999 bis Mitte 2001 um ganze 244 000 zurück. Und der von der Regierung gefeierte Anstieg der Beschäftigtenzahl beruhte allein auf veränderten Zählweisen bei Teilzeitarbeitskräften und geringfügig Beschäftigten. In Erwerbsstunden gerechnet ist der seit 1997 zu verzeichnende Anstieg des Arbeitsvolumens dagegen schon 1999 zum Stillstand gekommen.

Doch inzwischen haben sich auch die statistischen Effekte verbraucht. Saisonbereinigt nimmt die Zahl der Arbeitslosen seit Jahresbeginn von Monat zu Monat zu. Insgesamt ist sie seit Jahresende 2000 um 60 000 gewachsen, zuletzt von Mai auf Juni um 22 000. Eine Umkehrung dieser Entwick-lung ist nicht in Sicht. Ganz im Gegenteil: Der Arbeitsmarkt ist ein konjunktureller Spätindikator. In vollem Umfang werden sich die Folgen des aktuellen Konjunktureinbruchs dort erst in einigen Monaten bemerkbar machen. Sein angesichts der demographischen Ausgangsdaten sehr bescheiden angesetztes Ziel, die Arbeitslosenzahl bis zum Ende der Wahlperiode unter 3,5 Millionen zu senken, wird der Bundeskanzler allenfalls noch dadurch erreichen können, daß er im Wahljahr zweistellige Milliardenbeträge verpulvert, um mit Hilfe von ABM-Maßnahmen ein beschäftigungspolitisches Strohfeuer zu entfachen.

Im übrigen versucht der Bun-deskanzler den Eindruck zu erwecken, als sei die verschlechterte Wirtschaftslage die Folge außenwirtschaftlicher Einflüsse und habe mit seiner eigenen Politik nicht das Geringste zu tun. Doch die Wahrheit sieht anders aus. Natürlich strahlt der Konjunkturabschwung in den USA auch auf Europa aus. Daß die Folgen in Deutschland aber ausgeprägter sind als anderswo, kommt nicht von ungefähr. Jetzt rächt es sich, daß die rot-grüne Bundesregierung von Anfang an eine Politik gegen den Mittelstand betrieben hat. Während die Vertreter der Großindustrie vom Bundeskanzler hofiert und zu Kamingesprächen eingeladen werden, werden die Belange der kleinen und mittleren Unternehmen mit Füßen getreten. Um einige tausend Arbeitsplätze bei Holzmann kümmert sich der Bundeskanzler persönlich, der Verlust Hunderttausender von Arbeitsplätzen in der mittelständischen Bauwirtschaft ist ihm egal.

Der Mittelstand ist aber nun einmal das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Er stellt mehr als 80 Prozent der Unternehmen und ist mit 20 Millionen Beschäftigten der größte Arbeitgeber. Und nur von ihm können die Millionen zusätzlicher Arbeitsplätze erwartet werden, die zur Überwindung der Massenarbeitslosigkeit erforderlich wären: Während in der Großindustrie durch Konzentrationsprozesse und Rationalisierung Arbeitsplätze verlorengehen, sind in den kleinen und mittleren Betrieben allein in den Jahren 1999 und 2000 996 000 zusätzliche Arbeitsplätze entstanden.

Das heißt aber auch: Wer eine Politik gegen den Mittelstand betreibt, betreibt zugleich eine Politik gegen die Arbeitnehmer und – vor allem – die Arbeitsuchenden. Und genau dies ist der Vorwurf, den ich der rot-grünen Bundesregierung seit drei Jahren mache. Belege dafür gibt es mehr als genug.

Die Steuerreform des vergangenen Jahres, die die Regierung bis heute als Großtat für den Wirtschaftsstandort Deutschland feiert, kommt in allererster Linie den großen Kapitalgesellschaften zugute. Für sie ist der Körperschaftssteuersatz auf einbehaltene Gewinne zum 1. Januar 2001 um 15 Prozentpunkte von 40 auf 25 Prozent verringert worden. Dagegen ist der für die mittelständischen Personenunternehmen maßgebliche Einkommensteuertarif in der Spitze um gerade einmal 2,5 Prozentpunkte, von 51 auf 48,5 Prozent, gesenkt worden. Unter Einbeziehung von Solidaritätszuschlag und Gewerbesteuer liegt die ertragsteuerliche Gesamtbelastung der Kapitalgesellschaften bei 38,65 Prozent, die der Personenunternehmen dagegen bei 51,4 Prozent. Eine so massive Benachteiligung der Personenunternehmen hat es noch nie gegeben. Selbst wenn der Einkommensteuerspitzensatz im Jahre 2005 – endlich – auf 42 Prozent sinkt, bleibt noch eine Belastungsdifferenz von sieben Prozentpunkten, fast doppelt soviel wie vor der Reform.

Dagegen treffen die Kompensationsmaßnahmen den Mittelstand mindestens im selben Umfang, wenn nicht sogar stärker als die Kapitalgesellschaften. Besonders einschneidend sind die zum Jahresanfang 2001 verschlechterten Abschreibungsbedingungen. Nachdem schon durch das Steuerreformgesetz die degressive AfA und die sogenannte Ansparabschreibung erheblich eingeschränkt worden waren, wurden vom Bundesfinanzministerium zum Jahresbeginn neue AfA-Tabellen eingeführt, durch die die Abschreibungsfristen für die allgemein verwendbaren Wirtschaftsgüter zum Teil drastisch verlängert wurden. Inzwischen hat es selbst bemerkt, daß es mit den neuen AfA-Tabellen über das ursprünglich gesteckte Mehrbelastungsziel hinausgeschossen ist. Zum Ausgleich soll jetzt auf die Einführung neuer Branchentabellen verzichtet werden. Das nützt vor allem der Großindustrie. Die kleinen und mittleren Unternehmen haben davon so gut wie nichts.

Auch die Ökosteuer stellt für den Mittelstand eine besondere Belastung dar. Während die Großindustrie durch die Ausnahmeregelungen für besonders energieintensive Produktionszweige vor dem Schlimmsten bewahrt wird, müssen die meisten kleineren Betriebe die gestiegenen Produktions- und Transportkosten in voller Höhe tragen. Das geht für viele – man denke nur an das Speditionsgewerbe – bis an die Grenze der Existenzgefährdung und für nicht wenige leider auch darüber hinaus. Der traurige Rekord an Unternehmensinsolvenzen, der in der ersten Hälfte dieses Jahres zu verzeichnen war, legt davon Zeugnis ab.

Es ist aber nicht allein das Steuerrecht, mit dem die Bundesregierung den Mittelstand benachteiligt und belastet. Durch immer mehr Regulierung und Bürokratisierung hat die Bundesregierung gerade die kleinen und mittleren Unternehmen drangsaliert. Das Gesetz gegen sogenannte Scheinselbständigkeit ist hier ebenso zu nennen wie der Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit, die Einschränkung befristeter Arbeitsverhältnisse oder die Herabsetzung des Schwellenwerts für den Kündigungsschutz.

Die Krone aufgesetzt hat die Bundesregierung ihrer mittelstandsfeindlichen Politik aber mit der Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes. Die Gewerkschaften klagen seit langem darüber, daß ihnen nicht nur die Mitglieder davonlaufen, sondern auch der Anteil der betriebsratslosen Betriebe in den letzten Jahren immer größer geworden ist. Wohl nicht zuletzt deshalb, um sie für ihr Stillhalten bei der Steuerreform zu belohnen, hat die Bundesregierung jetzt ungeachtet aller Proteste eine Reform des Betriebsverfassungsgesetzes durchgesetzt, die dieser "Erosion" entgegenwirken soll. Die Beschäftigtengrenze, von der an Betriebsratsmitglieder freizustellen sind, wurde herabgesetzt, die Zahl der Betriebsratsmitglieder erhöht und der Zuständigkeitskatalog des Betriebsrats auf Angelegenheiten (beispielsweise Umweltschutz und Bekämpfung von Ausländerfeindlichkeit) ausgedehnt, die mit den betrieblichen Belangen der Beschäftigten rein gar nichts zu tun haben.

Damit sind für die Unternehmen nicht nur erhebliche Mehrkosten (rund 30 Prozent) verbunden. Gerade der mittelständische Unternehmer, der mit seinem gesamten Vermögen für die wirtschaftlichen Folgen seiner Tätigkeit einzustehen hat, muß die Aus- dehnung gewerkschaftlicher Fremdbestimmung als bedrückend und demotivierend empfinden.

Dabei hätte es durchaus Ansätze für eine sinnvolle, den Gegebenheiten der modernen Arbeitswelt und des Arbeitsmarktes entsprechende Reform des Betriebsverfassungsgesetzes gegeben. So fordert nicht nur die Union, die Fesseln des Tarifvertragsrechts zu lockern und Betriebsvereinbarungen auch über Löhne und andere üblicherweise durch Tarifvertrag geregelte Beschäftigungsbedingungen zuzulassen. Doch eine solche Reform, die die Bedingungen für betriebliche Bündnisse für Arbeit entscheidend verbessert hätte, wurde von der rot-grünen Mehrheit strikt abgelehnt.

Bisher hat die Bundesregierung alle Forderungen, der dramatischen Verschlechterung der Wirtschaftslage entgegenzuwirken, mit dem Argument zurückgewiesen, daß Konjunkturprogramme in einer globalisierten Wirtschaft wirkungslos bleiben müßten. Das beruht auf einem absichtlichen Mißverständnis. Niemand – am allerwenigsten die CDU/CSU – fordert milliardenschwere Ausgabenprogramme, deren einziger dauerhafter Effekt die Erhöhung der Staatsverschuldung wäre. Gebot der Stunde ist aber ein grundsätzlicher politischer Kurswechsel, der die strukturellen Bedin- gungen für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung nachhaltig verbessert. Genau dies ist das Ziel des von der CDU/CSU-Fraktion vorgelegten Zehn-Punkte-Programms. Im Mittelpunkt steht die Forderung nach Rücknahme der von der Koalition geschaffenen Beschäftigungshemmnisse, nach Schaffung eines hinreichend flexiblen Arbeitsrechts, nach einer grundlegenden Reform der Sozialsysteme und nach steuerlicher Gleichstellung des Mittelstands.

Von all dem will der Bundeskanzler nichts wissen. Er hofft auf bessere Zeiten und nennt das eine Politik der ruhigen Hand. Doch eines hat er bei seinem Selbstlob übersehen: Vertrauensbildend wirkt eine ruhige Hand nur dann, wenn das Schiff auf sicherem Kurs liegt, nicht aber dann, wenn es auf Grund zu laufen droht. Und genau dieses Schicksal droht der deutschen Volkswirtschaft unter dem Schönwetterkapitän Schröder.

 
     
     
 
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