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Swetlana Kolbanjowa ist in einem Altbau großgeworden, einem deutschen Haus in Königsberg. Schon ihre Mutter betrachtete Ostdeutschland als ihre Heimat, und Swetlana Kolbanjowa tut dies auch. Aber sie leugnet die deutschen Wurzeln ihrer Heimatstadt nicht. Die russische Fernsehjournalistin sagt über sich selbst: "Ich habe mir das bürgerliche Erbe der Stadt selbst angeeignet."
Auch über die Vertreibung spricht sie in klaren Worten. "Dieser schreckliche Teil der ostdeutschen Geschichte ist noch längst nicht aufgearbeitet, das steht auch Königsberg noch bevor", stellt sie fest. Jedoch: "Heute können wir endlich unverkrampft darüber sprechen, wie es weitergeht."
Darüber sprechen, wie es mit Königsberg und mit Ostdeutschland zwei Jahre nach der EU-Osterweiterung weitergeht - das war das Thema auf einer Podiumsdiskussion in Berlin am Montag. Darüber wurde in einer offenen Art debattiert, wie es sie kaum je zuvor gegeben hat. Keine gegenseitigen Beschuldigungen, kein Mißtrauen, keine Revanchismus-Vorwürfe.
Ausgerechnet in der Landesvertretung von Brandenburg trafen Russen und Deutsche aufeinander. Den Anfang machte ein Vertreter des Landes Brandenburg, der die Runde als einer von wenigen politisch korrekt eröffnete, indem er von "Kaliningrad" statt Königsberg sprach.
Ihm folgte Wladimir Kuzin, der stellvertretende Wirtschaftsminister des Königsberger Gebiets. Der Russe sprach über das überdurchschnittliche Wirtschaftswachstum seiner Region. Seit dem Jahr 2000 (992 Euro pro Kopf) hat sich das Bruttoinlandsprodukt mehr als verfünffacht (2005: 5080 Euro).
Aber: "Die EU tut nichts, um ihre Märkte zu öffnen. Ich rede gar nicht von einer Eingliederung, sondern von freiem Handel." Kuzin ist sauer und sagt dies auf wenig diplomatische Weise. Solange sie Rohstoffe exportieren, würden keine Fragen gestellt. Aber sobald es etwas anderes sei, würden Standards verlangt.
Die Freizügigkeit, die die Königsberger bis 2004 gegenüber Litauen und Polen genossen hätten, sei mit dem EU-Beitritt weggefallen. Die Russen hätten die EU-Regeln akzeptiert, würden aber nicht integriert. So sei es nicht mehr erlaubt, russisches Vieh nach Königsberg zu transportieren. Dann schildert Kuzin die Vorteile der russischen Sonderwirtschaftszone: Investoren würden eine Steuerbefreiung für die ersten sechs Jahre ihrer Anwesenheit am neuen Standort erhalten. Weitere sechs Jahre zahlten sie nur den halben Steuersatz. Und wenn sie Land pachteten statt zu kaufen, dann dürfe der Eigentümer die Pachtgebühr in den ersten Jahren nicht erhöhen. Mehr könne ein Unternehmer eigentlich nicht erwarten.
In dieselbe Kerbe schlägt Kuzins Landsmann Sergej Bulytschow. Der ehemalige Oberst ist Chef der Putin-Partei "Einiges Rußland" im Königsberger Gebiet und Parlamentspräsident seit der Wahl am 12. März dieses Jahres.
Bulytschow und Kuzin sehen aus wie die russische Ausgabe der Kaczynski-Zwillinge. Zwei große, kräftige Kerle mit Glatze und einem Gesicht, das fragt: "Wo steht der Wodka?"
Dann spricht wieder ein Deutscher, Guido Herz, der Generalkonsul in der ostdeutschen Hauptstadt. Er spricht über Vorurteile, mit denen er ins nördliche Ostdeutschland gekommen sei und darüber, daß Königsberg gemessen an den Ausgangsvoraussetzungen eine "Erfolgsstory" sei. "In der Stadt herrscht Arbeitskräftemangel." Dazu paßt die Meldung, daß die Immobilienpreise in Königsberg inzwischen zu den höchsten in der gesamten Russischen Föderation gehören.
Neben einem Zuzug von Arbeitskräften wünscht sich Stephan Stein, Vertreter der Handelskammer Hamburg in Königsberg, auch mehr Engagement der deutschen Wirtschaft. Das Investment der Polen ist zehnmal so groß wie das deutsche. Auch die Engländer und die Litauer sind stärker als Deutsche in Nord-Ostdeutschland vertreten. "Es gibt eine Menge Mittelständler, die haben einfach Angst vor einer so großen Investition", fürchtet Stein. Denn um sich in der Sonderwirtschaftszone anmelden zu können, muß eine Firma mindestens 150 Millionen Rubel (zirka vier Millionen Euro) investieren.
Dazu kommt der Arbeitskräftemangel. Auf dem Land braucht es ein Investor auch nicht zu versuchen. Stein hat Beispiele parat: Die meisten Leute, die in Frage kämen, kennen seit 15 Jahren nur noch ein Werkzeug, kritisiert er: "Und das ist die Wodkaflasche." Es hat sich eben nicht jeder der Neuankömmling das Erbe der Preußen angeeignet wie Swetlana Kolbanjowa.
Belebtes Straßenbild: Die Menschen profitieren vom wachsenden Wohlstand. |
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