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Nach dem elften Mord schritt die Hauptverwaltung zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (GUOP) des russischen Innenministeriums ein. Die Analyseabteilung der Hauptverwaltung ermittelte, daß eine der Banden für insgesamt 60 Morde und 112 Sprengstoffanschläge verantwortlich sein dürfte. Die Kriminalisten übermittelten dem russischen Präsidenten einen umfassenden Bericht über die kriminell en Vorgänge im Autowerk. Im Präsidentenamt wird über die weitere Vorgangsweise der Sicherheitsbehörden nachgedacht. "Solche Beispiele gibt es viele in Rußland", sagt Generalmajor Alexander Mordowjez, stellvertretender Leiter der GUOP. Die Hauptverwaltung OK (Organisierte Kriminalität) befaßt sich hauptsächlich mit der Bekämpfung des transnationalen Verbrechens, der Wirtschafts- und Suchtgiftkriminalität sowie der Korruption.
Die OK-Jäger sind föderalistisch organisiert. Zwölf Abteilungen gibt es in den 87 Regionen, darunter weitere OK-Dienststellen. Insgesamt verwalten in der GUOP rund 17 000 Bedienstete die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, 570 davon in der Region Moskau. GUOP-Verbindungsbeamte gibt es unter anderem in Deutschland, den USA, Finnland, Bulgarien und Polen, geplant sind sie für insgesamt 48 Länder. Die Hauptverwaltung untersteht dem Innenminister und ist in 15 Schwerpunkt-Abteilungen gegliedert. Eine der wichtigsten ist die Analyseabteilung. Sie erstellt Lagebilder und Gesetzesvorschläge für den Innenminister und den Präsidenten. Eine schnelle Eingreiftruppe (SOBR) bei allen regionalen Abteilungen und einigen Unterabteilungen unterstützt die örtliche Miliz bei Festnahmen von OK-Tätern und anderen Schwerverbrechern. Die Angehörigen der schnellen Eingreiftruppe sind speziell ausgerüstet und ausgebildet. Das Personalproblem sei groß, Spezialisten fehlten, gibt Mordowjez zu: "Viele unserer Leute wandern in die Privatwirtschaft ab oder heuern bei ausländischen Unternehmen an, wo sie viel mehr Geld verdienen." Mordowjez, jahrelang Ermittler in Wirtschaftsstrafsachen, beklagt das Fehlen einer genauen Definition von organisierter Kriminalität und Geldwäsche. Es gebe zwar einen Entwurf eines Bankengesetzes. Der Gesetzesvorschlag der Hauptverwaltung OK an die Duma sei aber noch nicht angenommen worden.
Im neuen, seit 1. Januar 1997 geltenden Strafrecht gibt es auch einige Paragraphen über organisierte Kriminalität. So wird die Bildung einer kriminellen Vereinigung mit bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe bedroht.
Die Lösung der Wirtschaftsprobleme sei das wichtigste Mittel zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens, bekräftigt Ninel Kusnezowa, Vorstand des Instituts für Strafrecht und Kriminologie der Juristischen Fakultät an der Moskauer Lomonossow-Universität. Die Kriminologin und Fachbuchautorin ("Die Macht der Verbrechenselite") präsentierte dem Sicherheitsrat einen Gesetzesentwurf über Geldwäsche und Korruption. "Der Präsident hat gesagt, er wird ein eigenes Gesetz machen", so die Professorin nachher resignierend. Auch die neue Strafprozeßordnung sei vorgelegt, der Entwurf aber noch nicht angenommen worden.
Unzureichende Gesetze bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität beklagt auch der Chef der Moskauer Steuerpolizei, Myschin, in einem Artikel über organisierte Kriminalität in Rußland, der jüngst in der renommierten Zeitschrift des österreichischen Innenministeriums, "Öffentliche Sicherheit", erschienen ist. In Kraft getreten sei eine Regelung über den Zeugenschutz. Doch für die Umsetzung fehle das Geld. "Wir können gefährdeten Zeugen nur raten, für ihren Schutz selbst zu sorgen und sich an einen privaten Sicherheitsdienst zu wenden", berichtet ein Ermittler der Hauptverwaltung zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und fügt hinzu: "Oder an eine gegnerische Bande."
Der Strafvollzug wurde im vergangenen Jahr vom Innenministerium an das Justizministerium übertragen. Die Haftanstalten sind überfüllt, es herrschen brutale Zustände und eigene "Gesetze". Allein in Moskau gibt es rund 6000 Häftlinge mehr als vorhandene Haftplätze.
Kriminalität und Wirtschaft seien eng verbunden, erläutert Oberst Igor Sundjew, Prorektor und Leiter des wissenschaftlichen Dienstes des Juristischen Instituts des Innenministeriums in Moskau und zieht dann in dem bereits erwähnten Artikel eine wahrhaft erschreckende Bilanz: Gelänge es, die Kriminalität zu besiegen, breche auch die Wirtschaft zusammen. Der Handel mit Edelmetallen würde ohne Kriminalität nicht funktionieren, so Sundjew. Pharmazeutische Firmen hätten sich beispielsweise im Baltikum auch auf die Erzeugung von illegalen Drogen spezialisiert. Der Rechtsprofessor befürchtet, daß die organisierte Kriminalität noch weiter die Wirtschaft unterwandern werde. OK existiere weltweit und müsse daher auch international bekämpft werden, fordert Sundjew. Das Vorhandensein der organisierten Kriminalität seit in der UdSSR geleugnet worden, berichtet Professor Sinilow, "graue Eminenz" des Juristischen Instituts des Innenministeriums. Deshalb habe auch die Forschung darüber erst sehr spät eingesetzt. Seit einigen Jahren gebe es aber neue OK-Bekämpfungsansätze. Mit dem Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft habe man gehofft, daß die Schattenwirtschaft zurückgedrängt werde. Das Gegenteil sei der Fall gewesen, so Sinilow. Die Schattenwirtschaft sei auf mindestens 40 Prozent angewachsen. "Sie ist die Basis der organisierten Kriminalität." Die Privatisierung der Staatsbetriebe war eine der besten Einnahmequellen für Finanzmanagement und die organisierte Kriminalität. Im Rahmen der "volkskapitalistischen" Privatisierung erhielten 40 Millionen Russen je einen Fabrikanteilschein. Finanzmagnaten und illustre "Unternehmer" kauften oder preßten den Eigentümern die Kupons ab und wurden so für wenig Geld (Mit-)Besitzer großer, einträglicher Firmen. Mit der Privatisierung wurden so große Vermögen umgeschichtet. In kurzer Zeit bekamen wenige Einflußreiche große Stücke vom Kuchen.
Ein Dutzend dieser Magnaten hat einen enormen Einfluß auf die Politik und Wirtschaft Rußlands. Die "Oligarchen", wie man sie nennt, kontrollieren auch einen großen Teil der Medien. Einträgliche "Geschäftsfelder". Der lange Arm der OK reicht überall hin, wo es etwas zu verdienen gibt. Von Schutzgelderpressung sind nach Schätzungen bis zu 80 Prozent aller in- und ausländischen Unternehmer betroffen. Auch deutsche und österreichische Firmen werden von "Beschützern" zur Kasse gebeten.
Die russische OK nutze ausländische Investoren zudem "gezielt zur Geldwäsche", heißt es in einem Bericht des Bundesnachrichtendienstes (BND) über "Sonderformen der internationalen organisierten Kriminalität". Etwa 35 Milliarden Mark betrage das Geldwaschvolumen. 4000 Banken und Zweigstellen würden von OK-Gruppen kontrolliert, mehrere hundert Banken seien ausschließlich am Finanzsektor tätig. Nach Erkenntnissen der Polizei in Moskau sind auch Regierungskreise in die OK verwickelt. "Bei Ermittlungen zu zahlreichen Wirtschaftsverbrechen führen die Spuren in die höchsten Staatsstrukturen, auch in die Regierung", berichtete der Chefermittler der Polizei, Andrej Stepanzew, im Juli 1996. Damals saß ein Vizeminister wegen Korruptionsverdacht in Untersuchungshaft, der stellvertretende Leiter der Behörde für Insolvenzfälle, Pjotr Karpow, wurde wegen Schmiergeldannahme festgenommen. Seine Behörde treibt unter anderem Schulden von Unternehmen dem Staat gegenüber ein. Hohe Beamte des Gesundheitsministeriums hätten Kreditgelder abgezweigt. "Praktisch alle Geschäftsbereiche in Moskau, die mit Bargeld und Geldumlauf zu tun haben, sind von Kriminalität betroffen", so Stepanzew.
Korrupte Beamte hätten auch einen Teil der Unterstützungskredite des Internationalen Währungsfonds (IWF) veruntreut, vermutet der russische Finanzkontrolleur Wenjamin Sokolow in dem Beitrag für die "öffentliche Sicherheit". Mehrere Milliarden Dollar seien in dunklen Kanälen verschwunden, sagte Sokolow in einem Interview.
Die zunehmende Verschmelzung von Kriminalität und politischer Macht sei ein besonders großes Problem, sagt Wladimir Pronin, Chef der Moskauer Kriminalpolizei. "Unsere Wirtschaft ist die Wurzel der organisierten Kriminalität." Die Liberalisierung des Strafrechts und der Wirtschaft seien ein Anreiz für Verbrecher, berichtet der Moskauer Polizeichef Nikolai Kulikow. Wirtschaft und Kriminalität seien zusammengewachsen. Geschäftsleute profitierten von der Verbindung von Schattenwirtschaft und OK.
Die Verbrechersyndikate hätten immer mehr Einfluß in der Wirtschaft. Die Direktoren großer Unternehmen seien korrumpiert und Teilhaber an den Verbrechen, Geschäftsanteile würden an die Bandenbosse abgegeben. Die Paten hätten überdies ausgezeichnete Beziehungen zu Ministern und hohen Beamten. "Die Allianz zwischen organisierter Kriminalität und korrumpierten Behörden hat die Schattenwirtschaft in der Hand", resigniert Kulikow. Die "verbrechensfördernde Atmosphäre" in Rußland mache es immer schwieriger, die Bürger zu schützen.
Ein blutiger Kampf tobt sogar um den Einfluß in Sport-, Invaliden- und Behindertenstiftungen. Mit diesen Stiftungen läßt sich viel Geld verdienen. Ihnen stehen große Vergünstigungen im Außenhandel sowie den Invaliden- und Sportstiftungen etwa der weitgehend abgabenfreie Handel mit Autos, Spirituosen, Zigaretten, Lebensmitteln und Rohstoffen zu. Eine Reihe von "Subunternehmen" nutzt die Vergünstigungen der Stiftungen. 1996 wurden zwar die Außenhandelsprivilegien der Stiftungen wieder abgeschafft, die Steuerbefreiung aber blieb. Am 10. November 1996 detonierte auf einem Friedhof in Moskau beim Begräbnis des ermordeten Vorsitzenden der Afghanistan-Invaliden-Stiftung eine Bombe. 14 Menschen wurden getötet, darunter fast die gesamte Führung der Stiftung. Die Täter wurden bis heute nicht gefaßt. Fortsetzung folgt
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