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Kinder hatten schon seit eh und je Probleme mit dem Taschengeld: Es reichte nie aus. Zu verlockend waren die Angebote, was Kinderherzen beflügelte. Ein Junge, der was auf sich hielt, las Karl May und natürlich die kleinen Schmöker wie Rolf Torring, Jörn Farrow, Hein Class, Billy Jenkins und Tom Trox. Sie kosteten nicht viel, aber die Dittchens mußte man ja erst mal haben, denn das Taschengeld ging meistens für Lakritze, Brausepulver, Zündplätzchen und auch mal für ein neues Taschenmesser drauf. So war man gezwungen, irgenwie und irgendwo, ein paar Dittchen zu verdienen, jeden gebotenen Job anzunehmen, bedingungslos, denn mit elf Jahren hatte man ja keine "Berufs erfahrung", um wäh- lerisch zu sein.
Allerdings war die Konkurrenz groß, denn in meiner Heimatstadt Schloßberg, 6.000 Einwohner, gab es wohl genügend Geschäfte und Firmen, doch nicht alle boten Taschengeldaufbesserung. So blieb mancher "Arbeitsuchende" draußen vor der Tür.
Mein Schulfreund Heinz und ich hatten gute Beziehungen, machten Botengänge für Kaiser s Kaffeegeschäft, eine Drogerie und für die Adler-Apotheke. Die Dittchen klimperten nur so in der Hosentasche. Reichten auch, mal ins Kino zu gehen, seine Idole zu bewundern.
Eines Vormittags, die Sommerferien hatten gerade begonnen, bummelten Heinz und ich durch die Stadt, drückten uns an den Schaufenstern die Nasen platt, bis wir ein Kolonialwaren-Geschäft betraten, das viele Artikel führte, in damaliger Zeit so eine Art Kaufhaus, um Salmiakpastillen zu erstehen.
"Wollt ihr euch nicht ein paar Dittchen verdienen?"
"Ach, das ist ja prima, euch beide zu sehen", begrüßte uns der Kaufmann freundlich. "Von Frau Kurth, der Apothekerin, seid ihr mir empfohlen worden ... Wollt ihr euch paar Dittchen verdienen?"
"Aber immer", schlug ich sofort ein. "Was gibt es zu tun?"
"Auf dem Speicher, meinem Warenlager, muß unbedingt Ordnung geschaffen, alles umgeräumt werden. Vielleicht könnt ihr dann gleich so ein bißchen Inventur machen. August Kossmann machte das bisher, aber der ist plötzlich krank geworden. Wird viel Arbeit sein, aber ich glaube, ihr beide schafft das schon."
Per Handschlag wurde der "Arbeitsvertrag" besiegelt. Mit je zwei geschenkten Dosen Salmiakpastillen verließen wir schließlich den Laden. "Na bitte, da haben wir s", sagte ich, als wir über den Markt schlenderten. "So gefragt sind wir. Wahrscheinlich genießen wir den Ruf, gewissenhaft, pünktlich und vor allem ehrlich zu sein." Heinz nickte zustimmend und meinte: "So wollen wir es auch künftig halten, obwohl Gelegenheit Diebe macht, aber wir sind ja so erzogen worden, daß man sich nicht an fremdem Eigentum vergreift."
War das ein Durcheinander auf dem Speicher! Und was da alles lagerte an Konserven, Süßigkeiten, Herings- und Gurkenfäßchen, Konfitüren und auch Hartwürsten. Wir kamen aus dem Staunen nicht heraus. Die Versuchung war groß, das Gewissen plagte, aber mal so eine von den exklusiven Würsten zu probieren, zumal ja niemand in der Nähe war, konnte schließlich kein Verbrechen sein. Die Wurst schmeck-te köstlich. Hinterher genehmigten wir uns noch jeder eine Dose Sild, die natürlich Durst hervorrief. Folglich mußte auch noch eine Flasche Traubensaft daran glauben.
"So", riet Heinz, "jetzt dürfen wir aber nichts mehr anrühren, sonst könnte das auffallen."
"Kann doch gar nicht bei der Menge", warf ich ein. "Und zum anderen machen wir doch die Inventur."
"Na ja, schon richtig, doch wir müssen auch damit rechnen, daß man uns beobachtet, beim Naschen gesehen hat und nur dar-auf ..."
"Ach was, wenn jemand die Treppe hochkommt, hört man doch. Außerdem gelten wir als ehrlich", warf ich ein. "Das wollen wir auch wieder sein", meinte Heinz. "Von nun an wird nichts mehr geklaut."
Voller Eifer und akribisch räumte Heinz weiter auf. Plötzlich entdeckte er einen großen Karton, vollgefüllt bis oben mit Zigaretten. Alles 100er Packungen. Aufgeregt holte er mich heran und zeigte mir seinen Fund. Zigaretten der billigsten Sorte. Minderwertiger Tabak.
"Na und?" bemerkte ich. "Was reizt dich daran? Wir rauchen doch nicht, dürfen doch gar nicht rauchen."
"Nur mal eine probieren", entgegnete Heinz schmunzelnd. "Wir nehmen nur zwei aus der Packung und machen sie wieder zu."
"Du spinnst doch!" warnte ich ihn. "Gerade dann fällt es auf. Und außerdem wollten wir doch nicht mehr klauen. Warum bist du nur so erpicht auf die Zigaretten?"
Heinz tippte sich an die Stirn und hielt mir entgegen: "Denk doch mal ein bißchen nach ... Niemand verkauft uns Zigaretten, und hier liegen sie massenhaft rum. Warum sollten wir die Gelegenheit ausschlagen?"
Feierabend. In meiner Hosentasche steckten 100 Zigaretten ...
Das Kriegerdenkmal von 1871/1914-18 in den Anlagen neben der Ebenroder Straße war ein beliebter Treffpunkt, auch für unsere Clique, bestehend aus fünf Jungen und drei Mädchen. Man tauschte Lack- und Zigarettenbilder, zerfledderte Schmöker, alberte rum und neckte die Mädchen, die ihrerseits keineswegs Memmen waren, sondern mit uns gern Räuber und Gendarm spielten, jeden Baum wie wir erklommen.
Heinz und ich waren von unserer "Arbeitsstelle" direkt zum Denkmal geeilt, wo man schon auf uns wartete. Kurze Begrüßung. Edith, meine Nachbarin, verteilte selbstgebackene Makronen. Köstlich. Und Alfred Poschinski spendierte Brausepulver. Langsam zog ich die Zigarettenpackung aus der Tasche und drehte sie zwischen meinen Händen. Im Nu war ich umringt... "Wo hast du denn die her?" - "Sind die auch echt?" - "Kann man die wirklich rauchen?" tönte es durcheinander.
"Natürlich", sagte ich, "aber wir müssen hinter die Büsche, damit uns keiner sieht, sonst gibt es Ärger."
Eng zusammengerückt im tiefen Gras sitzend, ließen wir die Packung erst einmal von Hand zu Hand wandern, sie wurde bestaunt und beschnuppert. Nun ergriff Heinz das Wort: "Aber ihr müßt den Rauch auch ganz tief einziehen, wie die Schauspieler in den Filmen, sonst macht das Rauchen keinen Spaß."
Manfred, der Sohn vom Schuhmacher, holte Streichhölzer hervor. Die Mädchen zierten sich zunächst, griffen schließlich auch noch in die Schachtel und nahmen den Glimmstengel zwischen die Lippen, dann war es so weit: Die Streichholzflamme wanderte von einem zum anderen. Bei den meisten verursachte der erste Zug sofort starken Hustenreiz.
"Stellt euch bloß nicht so an", sagte Peter, der wahrscheinlich schon mal heimlich geraucht hatte. "Immer tief einziehen, wie ihr es von den Schauspielern im Film gesehen habt."
Die ersten wurden kreidebleich, bekamen Kopf- und Bauchschmerzen. Einer mußte sich übergeben. Auch mir drehte sich alles im Kopf, aber nicht nur das, sondern auch der Magen rebellierte. Doch ich wollte mich nicht blamieren und machte wieder einen tiefen Zug. Plötzlich überkam mich ein seltsames Gefühl, das nichts Gutes ankündigte. Es war allerhöchste Zeit. Wie von der Tarantel gebissen, rannte ich los, versuchte den nächstbesten Busch zu erreichen, was mir nicht mehr gelang, denn das Mißgeschick war bereits geschehen. Doch nicht nur mich bestrafte die erste Zigarette erbarmungslos: Auch noch drei andere Jungen und zwei Mädchen unserer Clique traf das gleiche Schicksal. Beschämt und gaaanz langsam fortbewegend schlichen wir uns von dannen. Jedenfalls hatten wir vom Zigarettenrauchen auch die Nase restlos voll, schnitten das Thema nie wieder an..... |
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