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Chronisch knappe Kassen

 
     
 
Manchmal schießen die Bemühungen europäischer Staaten um Einsparungen bei den öffentlichen Haushalten übers Ziel hinaus. Bestes Beispiel ist der schwindende Wille, ins Bildungswesen zu investieren. Statt dessen sollen die Wirtschaft und andere private Geldgeber in die Bresche springen.

So müssen Universitäten und Forschungsinstitute aller Art mittlerweile einen erheblichen Teil ihrer Arbeitszeit auf die - geistig unergiebige - Beschaffung
sogenannter „Drittmittel“ verwenden.

Die Rotstiftpolitik im Bildungswesen hat längst auch das östliche Europa erreicht. So gibt es zur Zeit in Estland einen Streit zwischen der Regierung und den Universitäten.

Letztere beklagen, unterstützt u. a. von der Estnischen Wissenschaftsstiftung, den rasanten Abbau von Fördergeldern. Hatte der estnische Staat 1999 pro Student noch 13 500 Kronen (etwa 475 Mark) bereitgestellt, so waren es im letzten und in diesem Jahr nur noch 12 600 Kronen (rund 440 Mark).

Die Universitäten fordern statt dessen eine Anhebung der Finanzhilfen auf 20 000 bis 22 000 Kronen pro Student und zogen parallel zu einem Protestaufruf vom 13. September ihre Vertreter aus allen mit Bildungsfragen beschäftigen staatlichen Ausschüssen und Arbeitsgruppen zurück. Dieser Ausstieg soll erst zurückgenommen werden, wenn sich die Regierung „zum konstruktiven Dialog bereitfindet“.

Einen ersten Erfolg konnten die Rektoren aus Dorpat, Reval u. a. bereits einen Tag später verbuchen, als Bildungsminister Tonis Lukas für 2002 die Anhebung der Staatsausgaben für höhere Bildung um 150 Millionen Kronen (über 20 Millionen Mark) - ein Plus um 23 Prozent - ankündigte. Die Aufstockung der Studienförderung auf 20 000 Kronen pro Kopf lehnte er jedoch als unbezahlbar ab. Das Ende des Bildungsstreits ist daher noch nicht absehbar.

Auch in Litauen stehen vergleichbare Auseinandersetzungen an. Besonders jüngste Pläne der Regierung von Ministerpräsident Brazauskas zur Einführung von Studiengebühren in Höhe von 1000 Litas (etwa 550 Mark) im Semester sind Anlaß zur Kritik. Diese angesichts der litauischen Löhne hohe Summe soll u. a. dazu beitragen, die Gehälter der Professoren zumindest so weit anzuheben, daß der Standard der baltischen Nachbarn erreicht ist. Andernfalls befürchtet das Bildungsministerium in Wilna eine Abwanderungswelle hochqualifizierter Akademiker.

Die Entscheidung über die aus sozialen Gründen hochproblematischen Studiengebühren wurde erst einmal verschoben, doch spätestens mit der bevorstehenden Verabschiedung des Budgets für 2002 steht die Frage erneut auf der Tagesordnung.

Auch Rußland erlebt zur Zeit eine Bildungsdebatte. Diesmal geht es ausnahmsweise nicht um weitere Kürzungen des zu Sowjetzeiten gut ausgebauten Bildungsnetzes. Statt dessen entwarf Präsident Putin Ende August zusammen mit Kabinettsmitgliedern und Gouverneuren einen Generalplan, demzufolge die staatlichen Zuwendungen für das Bildungssystem in den nächsten fünf Jahren stark erhöht werden sollen.

Zudem ist eine Verlängerung des weiterführenden Schulunterrichts um ein Jahr bis zur 12. Klasse vorgesehen, und am Ende der Schulzeit sollen landesweit standardisierte Tests stehen, die den Zugang zu den Hochschulen regeln. Das bisherige System weist den einzelnen Universitäten die Entscheidung zu, welche Studenten sie haben wollen und welche nicht. Die entsprechenden Hürden bei Eignungsprüfungen werden jedoch offensichtlich häufig mittels Bestechungsgeldern etc. umgangen.

Den Kernpunkt des neuen Bildungsprogramms stellt die Aufstockung der seit 1991 chronisch niedrigen Lehrergehälter dar. Nach Angaben von Erziehungsminister Filipow sollen Lehrer künftig doppelt soviel erhalten wie bisher, nämlich statt monatlich 1200 Rubel (255 Mark) nun 2450 Rubel (523 Mark).

Damit will man die totale Unterbezahlung einer für die Zukunft des Landes überaus wichtigen Berufsgruppe beenden, schließlich gehören Lehrer heutzutage - wie im östlichen Europa generell - zu den ärmsten Arbeitnehmern und sind zum Überleben auf Nebenerwerbstätigkeiten angewiesen. Diese wiederum beeinträchtigen selbstverständlich den Unterricht.

Fast alle Lehramtsstudenten streben deshalb nicht in den ausbildungsmäßig vorgezeichneten Beruf, sondern in die freie Wirtschaft. Nur jeder zweite von ihnen landet tatsächlich an einer Schule.

Man darf gespannt sein, wie die russische Bildungsreform mit ihrem im Vergleich zur angloamerikanischen und westeuropäischen Entwicklung gegenläufigen Ansatz verwirklicht wird - und vor allem: inwieweit sie sich bewährt.

 
     
     
 
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