|
Von den etwa 100 Galerien in Köln ist in all den Jahren nur die Naive-Kunst-Galerie von Marianne Kühn in Kölns Gartenvorstadt Dellbrück geblieben. Die Galeristin, Witwe des Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen Heinz Kühn, sichtet mit Hingabe das schier unübersehbare Angebot an Arbeiten naiver Malerinnen und Maler, sondert den Weizen von der Spreu aus und gelangte so zu manchen Entdeckungen. Sie verhalf Hunderten von Künstlern die nie eine Kunstakademie besucht haben, nie in Ästhetik und künstlerischem Handwerk unterrichtet wurden, sich nie mit Anatomie und Linear- und Farbperspektive befaßt haben, zu Ausstellungen. Nun feiert Marianne Kühn, einst Mitglied des Kulturausschusses der Stadt Köln, das 20jährige Jubiläum ihrer Galerie mit einer umfassenden Ausstellung, in der Expo nate von 35 naiven Künstlern zu sehen sind.
Im Mittelpunkt stehen Gemälde und Skulpturen aus ganz Deutschland, umrahmt von Werken aus Äthiopien, Israel, Tansania und Haiti sowie aus unseren Nachbarländern Niederlande, Tschechien und Polen. Bisweilen entdeckt man nicht nur Motive und Themen aus deren Heimat, sondern auch nationale stilistische Merkmale. Die biblischen Bilder aus Äthiopien erinnern an Ikonen, jene aus Tansania sind von einer dekorativen Schönheit, und die bemalten Holzfiguren der naiven Polen weisen auf deren traditionsreiche Volkskunst. Demgegenüber bezeugen die expressiven Skulpturen aus Holzabfällen und allerlei Fundstücken Renate Hilles eine außergewöhnliche künstlerische Individualität. Ihr Werk könnte sich in Ausstellungen moderner Klassiker behaupten, obwohl die Naivität nicht zu übersehen ist.
Geboren ist Renate Hille im pommerschen Bodenhagen, Kreis Kolberg. Ihre Biographie spiegelt die Schicksale vieler Ostdeutscher wider. Ihr Vater fiel im Krieg, die Familie flüchtete in den Westen, in Dänemark wurde Renate eingeschult. Heute lebt sie in Niedersachsen. Bewunderungswürdig ist ihr Lebenswille, mit dem sie alle Hindernisse überwand; dementsprechend manifestiert sich in ihren Werken auch ihre Dynamik, gepaart mit Phantasie, Witz und Ironie ("Gartenzwergfrau", "Sexi-Hexy", "Der werdende Vater"). Renate Hille wandte sich der Kunst zu, nachdem alle neun Kinder flügge geworden waren.
Auch Erich Grams, der im vergangenen Jahr in Neuerburg/Eifel verstarb, stammt aus dem Osten (geb. 1924 in Altenfelde/Ostdeutschland), kam aber schon als Vierjähriger mit seiner Familie nach Westfalen. Zunächst Bergmann unter Tage, dann Betonarbeiter, erlitt er einen schweren Arbeitsunfall und zog mit seiner Frau und seinen zehn Kindern in die Eifel, wo er zu malen begann. Wie die meisten Gemälde der Naiven zeichnet sich auch Erich Grams Stil durch Optimismus, Fröhlichkeit und Frieden aus. Seine Landschaften und figuralen Kompositionen sind in hellen Farben angelegt und von Blüten und Blumen übersät.
Man begegnet der heilen Welt, etwa im Hochzeitsbild der 1921 in Hamburg geborenen Johanna Oppers, im "Martinszug" des 1921 in Köln geborenen Zahnarztes Franz-Josef Grimmeisen und in "Die Alten auf der Parkbank", umgeben von einer Schar von Gänsen, des in Holland lebenden Jan Martens (1943).
Im allgemeinen wird das Landleben bevorzugt, Städtebilder sind selten. Und wenn mal naive Maler in Großstädte blicken, so malte Mechthild Rehmann (geb. 1943 in Koblenz) z. B. den Kölner Dom aus dem Mittelalter und F. J. Grimmeisen idyllische Hinterhöfe. Nicht nur der naive Stil, auch die Titel künden von einer "Heilen Welt".
Die vor 70 Jahren am 11. März in Görlitz geborene Vertreterin der Naiven Malerei Rita Martin bekannte: "Für mich ist die märchenhafte Darstellung einer heilen Welt, als Gegenpol zur oft fürchterlichen Realität, eine Herzensangelegenheit
Das hat mit Weltflucht nichts zu tun, wohl aber mit dem Urwunsch jedes Menschen, in einer friedlichen Welt zu leben." Auf dieser friedlichen Ebene befinden sich dann auch jene allerdings seltenen Bilder, die sich mit Politik beschäftigen. Die Dortmunder Gastronomin Hanny Settelmeier malte 1989 eine Winterlandschaft, in die sie eine "Geglückte Flucht" hineinsetzt und sich somit mit den mittel- und ostdeutschen Menschen solidarisiert. Und in die Mitte eines anderen Gemäldes "porträtiert" sie einen musizierenden Cellisten, dem eine hellgekleidete Frau eine rote Rose überreicht, und umrahmt diese mit handgeschriebenen Wörtern, Daten und Sätzen: "Cellist Rotrowitsch gibt am Grenzübergang Checkpoint ein Solokonzert
Glückwunsch für Germany
Irgendwo fällt jede Mauer. Freiheit Donnerstag 9. November 1989."
Die meisten Bilder sind besinnlich, wie auch ihre Titel, von denen einige genannt werden: "Sonntag im Bergischen Land" der dort lebenden Marion Cramer (geb. 1956), "Heitere Tierwelt zu Wasser und zu Land" des Ostdeutschland Grams, "Zur Bergkirche" der Schlesierin Dorothea Sedlick (1926 in Görlitz), "Landleben" (mit Küken, Pferden, Schweinen, Schafen und Gänsen) der Monika Brors (1945 in Bad Liebenwerda) sowie "Der Blütenbaum" (Burg von Bergkastel a. d. Mosel) der Hanny Settelmeier.
Die Jubiläumsausstellung in der Naiven-Kunst-Galerie, Köln-Dellbrück, Roteichenweg 5, ist dienstags bis freitags von 14 bis 18 Uhr, sonnabends von 10 bis 14 Uhr geöffnet und nach telefonischer Vereinbarung (02 21/68 83 38) und dauert bis 30. September, gibt also jedem Gelegenheit, sich mit der Naiven Kunst vertraut zu machen und in die "Heile Welt" einzusteigen.
|
|