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Der Schmelz seidiger Töne

 
     
 
Immer wieder zog es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Künstler in den Nordosten Deutschlands, genauer gesagt auf die Kurische Nehrung. Dort fanden sie das, was sie suchten: die ursprüngliche Natur, unverstellte Menschen und ein Licht, das ein jedes Malerherz höher schlagen ließ. So hielten sich auch Max Pechstein aus Zwickau und Karl Schmidt-Rottluff aus Chemnitz
in Nidden auf. Pechstein ist derzeit eine Ausstellung des Schleswig-Holsteinischen Landesmuseums Schloß Gottorf gewidmet (bis 9. September), Schmidt-Rottluff wird aus Anlaß seines 25. Todestages vom Berliner Brücke-Museum mit einer Ausstellung seiner Druckgraphik geehrt . Ein anderer, wenn auch nicht so berühmter Künstler wie die beiden Expressionisten, der sich auf der Kurischen Nehrung aufhielt und dort entscheidende Impulse für sein Schaffen erhielt, war der aus Dresden stammende Richard Birnstengel. Ihm ist jetzt eine Ausstellung im Kulturhistorischen Museum Stralsund gewidmet. Gezeigt werden in der Kleinen Galerie im Katharinenkloster 73 Aquarelle aus der Folge "Perlenkette", die aus Birnstengels Nachlaß (er starb 1967 in seiner Vaterstadt) nach Stralsund kamen (dienstags bis sonntags 10 bis 17 Uhr; bis 9. September).

Richard Birnstengel wurde am 27. Oktober 1881 in Dresden geboren und studierte an der dortigen Akademie von 1901 bis 1909 bei Oskar Zwintscher und Gotthardt Kuehl. Längere Studienaufenthalte führten ihn in den Bayerischen und in den Böhmerwald. Von 1915 bis 1918 wurde er zum Kriegsdienst eingezogen. Später zog es ihn in die Ferne – auf Studienreisen lernte er Österreich, das Moselgebiet, West- und Norddeutschland kennen. 1930 reiste er zum ersten Mal auf die Kurische Nehrung, nach Nidden. Die Landschaft und ihre Menschen beeindrucken ihn derart, daß er von nun an jeden Sommer dorthin reist und sich 1939 im Ortsteil Purwin sogar ein Atelierhaus baut. – Dieses Haus, weiß Rudolf Meyer-Bremen zu berichten, hat den Krieg überdauert und vermittelt noch heute das Gefühl von Geborgenheit.

Die in Stralsund gezeigten Aquarelle sind denn auch eine Liebeserklärung an die Kurische Nehrung, an die Menschen und ihre Dörfer, die wie auf einer Perlenschnur aufgereiht dalagen. Birnstengel hat "die Kurische Nehrung unendlich geliebt; sie hat mich erschüttert, beglückt und gesegnet", bekannte er einmal. Er war erschüttert "vom Perlmutt-glanz, vom Schmelz seidiger Töne und traumhafter, grauer Versunkenheit, von tragischer Düsternis nordlandhafter Strahlung". "Ihm imponierte", so Dorina Kasten vom Stralsunder Museum, "die urwüchsige Gegend mit den einfachen, derben Menschen, die im Einklang mit der Natur lebten und denen bald seine Zuneigung gehörte. So malte er mit unermüdlicher, romantischer Begeisterung die unspektakuläre Welt der Nehrungsbewohner ... Er wollte alles festhalten, jede nur mögliche Tageszeit und Stimmung kommt in seinen Bildern vor: das kühle Morgenlicht, die flirrende Luft in der Mittagshitze, der rote Abendhimmel." Und so bleibt zu hoffen, daß man in Zukunft mehr von Malern wie Richard Birnstengel auf Ausstellungen zu sehen bekommt.

 

Graphik von Karl Schmidt-Rottluff / Rund 120 Holzschnitte, Radierungen und Lithogra-fien von Karl Schmidt-Rottluff zeigt das Brücke-Museum in Berlin, Bussardsteig 9, noch bis zum 26. August. Der Künstler, der vor 25 Jahren starb, hielt sich 1913 in Nidden auf. Die Arbeiten (rechts ein Motiv aus Lötzen) zählen zu den herausragenden Leistungen des deutschen Expressionismus.

 
     
     
 
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