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Es gibt keine Hoffnung, daß der Mord an dem russischen Ex-Agenten Alexander Litwinenko jemals restlos aufgeklärt werden kann. Bei allem Vertrauen in die Justiz, aber welcher Staatsanwalt darf es sich zutrauen, in diesem Geflecht von Tätern, Opfern und geopferten Mittätern den richtigen Zugriff zu haben? Und wer kann, wenn Staatsmächte im Spiel sind, ohne verbleibende Zweifel zwischen fingierten Spuren, verfälschten Beweisen und letztlich der Wahrheit unterscheiden?
Die Litwinenko-Ermittler müssen, offen gesagt, schon ohnehin eine Menge Mut aufbringen, um so viele Mosaiksteinchen wie möglich zu diesem spektakulären Fall zusammenzutragen. Wenigstens sollen die Umrisse des Falles rekonstruiert werden können, in dem sich alles um zwei Fragen dreht: Wer verfügt über eine so fürchterliche Waffe wie das Nukleargift Polonium-210 und wer setzte alles daran, den Ex-Agenten damit zu liquidieren?
Aus dem Fall Litwinenko lassen sich jetzt schon zwei erschreckende Lehren ziehen, zunächst diese: Die Täter und ihre Auftraggeber hatten weit mehr vor, als einen abgesprungen Agenten zu töten. Da hätte auch gebräuchliches Gift seine Wirkung gehabt oder eine andere, alltäglichere Waffe. Die Kreml-Kritikerin Anna Politkowskaja wurde zum Beispiel in ihrem Hausflur erschossen - die Täter entkamen unerkannt. Der Anschlag auf Litwinenko ist hingegen eine exemplarische Drohung, ein Stellvertreter-Mord. Die aufsehenerregende Inszenierung mit dem Nukleargift, das nur in ganz wenigen Atomlabors auf der Welt hergestellt werden kann, soll ganz bewußt die Spur zu den Auftraggebern lenken - um eines unmißverständlich klar zu machen: Wer sich der "Macht X" entgegenstellt, muß um sein Leben fürchten, überall auf der Welt. Selbst der einflußreichste Widersacher der "Macht X" weiß nun, daß man ihm die Speisen, das Wasser und die Luft mit Polonium-210 vergiften kann. Wem diese Todesdrohung gilt, das wissen die Betroffenen von allein. Denn wer glaubt nach Lage der Dinge nicht, daß "X" für Rußland steht oder eine seiner geheimen Organisationen?
Die zweite Lehre muß Deutschland ziehen. Wieder einmal zeigt sich, daß auf deutschem Boden ungeniert die Fäden für Verbrechen und Terrorakte gezogen werden können. Die Anschläge auf das World Trade Center im September 2001 wurden von Hamburg aus geplant, der Terrorüberfall auf - auch zahlreiche deutsche - Touristen in der Synagoge La Ghriba auf Djerba im April 2002 wurde von Duisburg aus gelenkt. In der Litwinenko-Verschwörung weisen die Spuren wieder nach Hamburg. Offensichtlich leben die Terroristen und Agenten in dem Glauben, sich hier unbehelligt fühlen zu dürfen.
Deutschlands Sicherheit droht Opfer föderalistischer Eifersüchteleien zu werden - kein anderer Flächenstaat in der EU leistet sich eine zersplitterte Landschaft von Sicherheitsdiensten, Polizeibehörden und Strafverfolgern - jeweils 16 Dienstherren und das Pendant auf Bundesebene wachen über ihre Kompetenzen. Effektive Sicherheitspolitik sieht anders aus. |
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