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Der geheimnisvolle Schrank

 
     
 
Leise öffnete er die Tür eines in einer alten Gasse befindlichen Antiquitätengeschäfts, unweit vom grau in den Himmel ragenden Dom. Seine Augen mußten sich erst an das Dämmerlicht gewöhnen, das in diesen scheinbar von der Welt abgeschiedenen Räumen lag. Langsam, knarrend schloß sich die Tür hinter ihm und fiel dann, fast erschreckend laut ins Schloß.

Von diesem Augenblick an bewegte er sich in einer kleinen fremden Welt - wie im Traum - inmitten tausend kleiner und größerer Schätze, Antiquitäten aus aller Herren Ländern, ähnlich der Schatzkammer eines Herrschers, blendeten ihn: glitzernde Ringe und Ketten
, vergoldete und geschnitzte Masken, viele Gesichter aus afrikanischem Holz gearbeitet, Söldner in bunten Trachten und Heilige mit einem Glorienschein, Hirten und Bauern auf dem Felde und in Höfen. Alles lag, fast wie hingestreut, umher. Exotische Teppiche in prächtigen Farben und Mustern, blitzende Säbel und Dolche, eine Reihe Degen aus alter Zeit zierten die Wände des Raumes.

Nur ein einziger kleiner, runder Lampion hing an der niedrigen Holzdecke und strahlte ein rötliches Licht aus. Erst jetzt entdeck-te er einen besonders schönen alten Bauernschrank, der etwas versteckt in einem Winkel stand. Eigentlich ein recht unbedeutender Platz für eine solche Kostbarkeit: Es war eine Art Kasten mit einer Reihe verzierter Türen und buntbemalten Läden. Fast mechanisch öffnete er eine der Türen, um einen Blick ins Innere zu werfen.

"Ist da jemand?" riß ihn plötzlich eine schrille Stimme aus seiner Verträumtheit. Ruckartig drehte er sich um und sah vor sich eine kleine unscheinbare Person, fast zerbrechlich und grau in grau gekleidet. Fast hatte sie das Aussehen eines in der Welt verlorengegangenen, immer mehr aussterbenden Graureihers.

"Ja!" erwiderte er etwas verwirrt. "Ich sehe mich etwas um, sozusagen für ein passendes Geschenk!"

"Sie wollen also etwas kaufen, nichts bringen, ja?" krächzte die Alte unfreundlich und strich wie ein Kater um ihn herum. Und da fiel ihm ein, daß er den Laden eigentlich ohne eine bestimmte Absicht betreten hatte. Mißtrauisch, als hätte sie einen Dieb auf frischer Tat ertappt, sah ihn die alte Frau durchdringend an. Um sie abzulenken, entsann er sich, daß seine Schwester einmal von einer antiken Brosche sprach.

"Nun", sagte er forsch, immer noch nach dem seltenen Bauernschrank schielend, "eine Brosche möchte ich schon kaufen, etwas Antikes!" Wieder blickte sie zum Schrank hin, beider Blicke kreuzten sich. "Einige Minuten!" sagte sie dann. "Also eine Brosche, gut, wir werden sehen!" Gleich danach legte sie ihm ein gutes Dutzend Broschen vor, darunter war aber nur ein antikes Stück. "Diese hier - die gefällt mir!" Er nahm ein auserlesenes Stück, dabei wieder zum Bauernschrank schielend.

Gleichgültig packte die alte Frau die Brosche ein. Ehe er sich zum Ausgang wandte, fiel sein Blick wie zufällig zum Schrank hinüber. Durch einen Windzug hatte sich eine der Türen um einen Spalt geöffnet. Er sah an der rechten Schrankwand einen grünen Spiegel, und in diesem schwebte das Bildnis einer jungen, wunderschönen Frau, gekleidet in fast durchsichtige Honan-Seide.

Als die Alte seine staunenden Blicke sah, klappte sie ihm die Tür des Schranks vor der Nase zu.

Einige Tage danach sollte er von Freunden erfahren, daß jene alte Frau aus dem Antiquitätengeschäft den ausgestellten Bauernschrank an niemanden verkaufe. Er behält auch stets seinen angestammten Platz. Denn aus dem grünen Spiegel trete ihr tagaus tagein ihr eigenes Jugendbildnis entgegen ...

Scheinbar von der Welt abgeschieden

Die Jugend wohnt im Bauernschrank
 
     
     
 
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