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Es ist immer wieder ein Erlebnis der besonderen Art, dieser Weg vom Alex über die Schloßbrücke, dann Unter den Linden bis zum Brandenburger Tor - da spürt man, daß die Einheit Deutschlands eben doch mehr ist als ein bislang ungelöstes ökonomisches oder gar parteipolitisches Problem. Wie eng auch die Termine sein mögen, bei jedem Besuch in der deutschen Hauptstadt gönne ich mir dieses Erlebnis, diese Erinnerungen: 1961, als Schüler, war ich zum erstenmal hier, als ein gewisser Walter U. verkündete, niemand in der DDR denke daran, in Berlin eine Mauer zu bauen; zwei, drei Jahre später, es hatte leider doch irgendjemand "daran gedacht ...", als Student aus der "BRD" mit Tagespassierschein für die "Hauptstadt der DDR"; und jetzt, immer wieder, nach dem Fall dieser Mauer, als Bürger eines vereinten Deutschland.
Wenn ich an der Schloßbrücke haltmache und mein Blick zurückfällt, dorthin, wo einst das Stadtschloß, dann eine Zeitlang gar nichts und nun immer noch Berlins häßlichstes Bauwerk steht, kommen ganz spezielle Erinnerungen auf: diese kahle Asphaltfläche namens Marx-Engels-Platz, die sich nur mit Leben füllte, wenn das Regime zu martialischen Mai-Aufmärschen blies, sonst nahezu menschenleer und auch kaum befahren - so viele Trabis gab es damals noch nicht.
Da konnte man also noch richtig auffallen, und das taten wir Studenten damals auch mit höchstem Genuß. Der Genuß hatte einen Namen: Ente! Man traf sich damals in einer Kneipe, die neuerdings "Bistro" hieß, man rauchte Gitanes Mais und trank Pastis, las Sartre, ohne ihn zu verstehen, hörte Juillette Greco (ohne allzuviel zu verstehen). Und man fuhr Dö-sche-woh, wenn man das Glück hatte, sich nach harter Semesterferien-Arbeit für ein paar hundert Mark ein Gebrauchtmodell des Wundergefährts aus Tatis "Ferien des Monsieur Hulot" leisten zu können.
Ich hatte dieses Glück. Für 400 Mark hatte ich einem Kommilitonen eine mehr oder weniger weiße "Ente" abgehandelt, mit TÜV für noch fast zwei Jahre, mit der unverzichtbaren Handkurbel für den Fall, daß mal wieder die Batterie über Nacht schlappgemacht hatte.
Und natürlich mit diesem legendären, wahrhaft filmreifen Schaukeleffekt - mit der Schaltkrücke solange im Getriebe herumrühren, bis man den zweiten Gang erwischt hat, dann zackig aufs Gas treten und rythmisch das Lenkrad hin- und herdrehen. Ob es nun möglich ist oder nicht, einen Citroen 2CV in der Kurve umzukippen, beherrschte Anfang der 60er Jahre Studentendiskussionen mindestens ebenso heftig wie wenig später die Frage, wie man den Kapitalismus abschaffen und den "Muff von 100 Jahren" lüften könne.
Um die Kippgrenze des Kultgefährts der Vor-68er auszuloten, bot sich uns damals eine Stelle mit durchaus antikapitalistischem Hintergrund an: eben jener Marx-Engels-Platz in Ost-Berlin. Da konnte man die Klappfenster flattern und die 16 PS aufheulen lassen und so den Zweitaktstinkern mit ihren Trabis zeigen, was Überlegenheit des westlichen Systems bedeutet. Der Effekt war immer wieder beachtlich; im "Arbeiter- und Bauernstaat" mußte die "Ente" wie aus einer anderen Welt wirken. Obwohl sie ja ursprünglich nicht für frankophile Intellektuelle, sondern für Bauern und Arbeiter konzipiert war. Ähnlich der Grundidee für den deutschen Volkswagen wollten auch die Franzosen ein Auto bauen, das so billig sein sollte, daß ein Arbeiter es sich leisten könnte. Und seine Fahreigenschaften sollten es ermöglichen, einen Korb Eier unbeschadet über einen Acker zu transportieren; ferner sollten damit - so die Vorgabe - zwei Bauern mit zwei Zentnern Kartoffeln notfalls in Holzpantinen vom Feld zum Markt fahren können.
Als 1948 der erste 2CV (deux cheveaux: zwei französische Steuer-PS) in die automobile Welt tuckerte, fragte ein amerikanischer Fachjournalist konsterniert: "Und wo ist der Dosenöffner?" Andere wähnten, "vier Räder unter einem Regenschirm" zu erspähen. Der weltweite Erfolg aber war nicht aufzuhalten. In 42 Produktionsjahren liefen über fünf Millionen Enten vom Band, 3,8 Millionen Limousinen und 1,2 Millionen Kastenwagen. Im französischen Stammwerk Levallois war 1988 Schluß, im portugiesischen Zweigwerk Mangualde rollte am 27. Juli 1990 als letztes eine graue Charleston-Ente aus der Montagehalle.
Heute, 15 Jahre danach, ist der 2CV auch in seinem Heimatland weitgehend aus dem Straßenbild verschwunden. Die Legenden und Anekdoten aber leben weiter. Eine besonders originelle sei hier wiedergegeben.
Lange wurde darüber gerätselt, warum man der Ente diese merkwürdigen Klappfenster verpaßt hat, deren einziger Sinn darin zu bestehen scheint, auf Ellbogen blaue Flecken zu erzeugen. Der Rätsels (angebliche) Lösung: Um teure Elektrik und Mechanik zu sparen, verzichtete man anfangs auf Fahrtrichtungsanzeiger. Beim Linksabbiegen streckte man den Arm raus, und beim Rechtsabbiegen? Nun, bekanntlich hat der typische Franzose stets ein Baguette zur Hand, und damit drückt er das rechte Klappfenster auf, um zu zeigen, wo er hin will. Klingt unwahrscheinlich. Aber es könnte doch was dran sein, schließlich hieß der damalige Citroen-Chef und geistige Vater der Ente Pierre Boulanger (zu deutsch: Bäcker). Nina Schulte |
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