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Die Konsequenzen trägt das Opfer

 
     
 
Fall Daschner bringt den Rechtsstaat ins Wanken." So überschrieb Martin Lutz seinen Artikel vom 21. Februar in der Welt. In ihm kommt insbesondere der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz zu Wort. Zur Erinnerung: Nachdem der Mörder des kleinen Jakob von Metzler, Magnus Gäfgen, wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, hat nunmehr die Staatsanwaltschaft Frankfurt gegen den Chefermittler, Polizeivizepräsident Wolfgang Daschner, ein Verfahren wegen Folterdrohung angestrengt. Daschner hatte den Vernehmungsbeamte
n angewiesen, dem inzwischen verurteilten Mörder Gäfgen im Verhör mit Gewalt zu drohen, wenn er nicht den Ort angebe, wo er den entführten kleinen Jungen versteckt hatte. Daß der Kleine bereits tot war, wußten die vernehmenden Beamten nicht. Gäfgen hatte die Beamten über das Versteck getäuscht. Es kam aber ganz wesentlich darauf an, den Jungen rechtzeitig zu finden, da die Gefahr bestand, daß er verhungerte. Zwar sind sich die Juristen nicht ganz einig, wie weit ein "verschärftes Verhör" gehen darf, aber Gewaltanwendung gegen einen Verdächtigen, wie wir sie mehr oder minder regelmäßig bei "Schimanski" erleben, ist absolut verboten. Auch die Androhung von Gewalt ist nicht erlaubt. Insofern hat Daschner gegen klare Vorschriften verstoßen. Wenn Wiefelspütz aber erklärt, "völlig klar müsse sein, daß niemals gefoltert werden dürfe, um Beweise für einen Strafprozeß zu gewinnen", hat er den eigentlichen Streitpunkt verfehlt. Es ging gar nicht darum, "Beweise für einen Strafprozeß zu gewinnen". Der Mörder hatte ja die Entführung bereits gestanden. Es ging also nur darum, den vermeintlich noch lebenden Jungen vor dem Verhungern zu bewahren. Dasch-ner gab klare Anweisungen für das Verhör: keine Schläge, keine Tritte, nichts, was schwere Verletzungen hinterlasse. Er hatte erwogen, Gäfgen bestimmte narkotische Substanzen zu verabreichen und das gesamte Verhör mit Videokamera zu dokumentieren. Zwar nennt die Staatsanwaltschaft das Motiv Daschners verständlich, aber eben rechtlich nicht zulässig.

Neben Wiefelspütz gehen auch andere Rechtsexperten von einer anderen Rechtslage aus, wenn sie erklären, "daß Folter in einem Rechtsstaat kein legitimes Mittel zur Erlangung von Beweisen sei".

Hat Wolfgang Daschner mit seiner Weisung tatsächlich den Rechtsstaat ins Wanken gebracht? Daß er gegen eine klare Vorschrift verstoßen hat, ist unstrittig. Der hessische CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Gehb hält den Foltervorwurf gegen Daschner und den mit ihm angeklagten Hauptkommissar für "abwegig". Der Rechtsstaat lasse es sehr wohl zu, "daß man ein Menschenrecht einem anderen Menschenrecht vorziehen kann. Das gesamte Notwehr- und Nothilferecht, das selbstverständlich auch für Polizeibeamte gelte, basiere auf einer solchen Rechtsgüterabwägung. Nach Gehbs Auffassung standen die Polizeibeamten vor dem Dilemma, die Rechtsgüter zweier Menschen gegeneinander abzuwägen: einerseits das Leben des entführten Kindes, das in Gefahr war zu sterben, wenn es nicht rechtzeitig gerettet wurde, und andererseits die körperliche Unversehrtheit eines Verbrechers, der seine Entführung bereits gestanden hatte, aber das Versteck des Jungen nicht verraten wollte. Gehb verglich die Situation mit derjenigen, in der eine Geisel nur durch einen finalen Rettungsschuß gerettet werden könne. Zu Recht fragt der Abgeordnete: "Was für ein Aufschrei wäre durch die Republik gegangen, wenn das Entführungsopfer nur deshalb zum Beispiel erstickt, verdurstet oder verhungert wäre, weil es die ermittelnden Beamten unterlassen hätten, Druck auf den tatverdächtigen Entführer auszuüben, das Versteck des Kindes preiszugeben, um dessen Leben zu retten?

Der aufmerksame Beobachter des Zeitgeschehens hat bisweilen den Eindruck, hierzulande herrsche die Moral eines Tollhauses. Die gewiß verbotene Anwendung von Gewalt, selbst gegenüber einem Schwerverbrecher, um ein Leben zu retten, soll den Rechtsstaat erschüttern, aber der Verteidigungsminister soll ermächtigt werden, ein Großraumflugzeug abzuschießen, wenn die Gefahr bestehe, daß es zu einer lebenden Bombe werde. Ist der sichere Tod von Hunderten Menschen leichter zu rechtfertigen als die körperliche Gewaltanwendung gegen einen Schwerverbrecher, der mit seiner Aussage unschuldiges Leben retten könnte?

Als die Amerikaner Saddam Hussein festnahmen, wurden bei uns gleich Stimmen laut, er dürfe aber auf keinen Fall zum Tode verurteilt und hingerichtet werden, auch wenn seine Massenmorde eindeutig bewiesen würden. Wie wäre es, wenn man etwa zur Zeit, da die Todesstrafe bei uns längst abgeschafft war, Herrn Eichmann gefaßt hätte? Hätte er auch lediglich zu einer Haftstrafe verurteilt werden dürfen, wo er dann Zeit für seine Memoiren gehabt hätte?

Denken wir einmal das Unausdenkbare: Dem Geheimdienst sei die Entschlüsselung eines Befehls von Osama Bin Laden an einen Terroristen gelungen, der eine mit Anthrax gefüllte Rakete auf eine Großstadt abfeuern sollte. Die Polizei hätte diesen Mann festgenommen, aber er weigere sich beharrlich auszusagen, wann er die Rakete abfeuern solle, und auf welche Großstadt. Es wäre mit Hunderttausenden Toten zu rechnen. Müßte sich die Polizei mit dem Schweigen des Terroristen abfinden, um dessen Menschenwürde zu wahren, gleichzeitig aber den Tod von ungezählten Menschen in Kauf nehmen?

Jahr für Jahr werden bei uns zwar "rechtswidrig, aber straffrei" wenigstens 200.000 Kinder im Mutterleib "beseitigt". Die Bevölkerungsmehrheit findet das durchaus in Ordnung. Als der verstorbene Erzbischof Dyba von "Tötungslizenz" sprach, löste er einen wütenden Proteststurm aus. Als Papst Johannes Paul II. an die nordamerikanischen Bischöfe schrieb, er werde sich mit dem noch immer anhaltenden Baby-Holocaust nicht abfinden, zog man es vor, hiervon keine Notiz zu nehmen. Die frühere Justizministerin Däubler-Gmelin beklagte larmoyant, wir verfügten immer noch nicht über flächendeckende Abtreibungskliniken. Nach der Entscheidung zweier deutscher Gerichte darf man Abtreibungskliniken "Mordinstitute" nennen. Also Mord zwar "rechtswidrig, aber straffrei" - aber körperliche Gewaltanwendung gegen einen Schwer- verbrecher, um unschuldiges Leben zu retten, bringt den Rechtsstaat ins Wanken?

Der Rechtsstaat sollte sich beizeiten darüber schlüssig werden, wie in "unausdenkbaren", aber leider nicht unmöglichen Situationen verfahren werden kann und soll. Mehr noch, er sollte dies auch der Öffentlichkeit überzeugend verständlich machen.
 
     
     
 
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