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Hoch auf dem gelben Wagen

 
     
 
Die Kulisse könnte nicht prächtiger sein, der Rahmen nicht passender: Wie zu Herzogszeiten wartet die gelbe Postkutsche vor dem Portal von Schwerins vieltürmigem Märchenschloß auf ihre Fahrgäste. Unter dem gestrengen Blick des 1160 gefallenen Obotritenfürsten Niklot, der hoch zu Roß über die Fassade herrscht. Für den Urvater aller mecklenburgischen Herzöge war die Postkutsche noch kein Thema. Erst Großherzog Friedrich Franz I. begründete in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die gerade einmal 25 Kilometer lange Postkutschenlinie Schwerin-Gadebusch.

Der hochrädrige gelbe Wagen, den der Landwirt Helmut Deutschkämer heute durch Meck-lenburg-Vorpommern lenkt, ist der Original-Nachbau einer englischen Mail Coach von 1806. Romantik pur? Zu echten Postkutschenzeiten gab s davon keine Spur!

"Die ganze Nacht habe ich kein Auge zugetan. Dieser Wagen stößzt einem doch die Seele heraus! Und die Sitze! Hart wie Stein!" klagte Mozart 1780 nach einer Fahrt von Salzburg nach München. Schuld daran waren vor allem die Straßenverhältnisse. Knigge riet, man solle in den Städten schnell fahren, damit, falls am Wagen etwas Zerbrechliches sei, er da zerbräche, wo Hilfe in der Nähe wäre. Über so manche Straße wurde gar Schreckliches berichtet: "Noch 1794 mußten bei Weinheim, Lützelsachsen und Neuenheim fast täglich versunkene Fuhrwerke mit Winden gehoben werden, und zwischen Offenburg und Emmendingen waren im Jahr 1795 40 Güterwagen versunken. Der Knecht des Posthalters in Friesenheim war sogar im Straßenkot erstickt; kaum konnten die Pferde
gerettet werden."

Verständlich, daß viele Reisende vor der Abfahrt ihre häuslichen Angelegenheiten in Ordnung brachten, ihren letzten Willen niederschrieben und Geistliche dem Abenteurer rieten, sich mit Gott zu versöhnen.

Den wohl berühmtesten Postkutschen-Reisenden - Johann Wolfgang von Goethe - konnte das jedoch nicht davon abhalten, zwischen 1775 und 1823, also in knapp 50 Jahren, insgesamt 37765 Reisekilometer zu absolvieren. In den zusammengezählt über 13 Jahren, die er unterwegs war, legte er eine Strecke zurück, die den Erdumfang am Äquator erheblich übertrifft. Nahm er die Postkutsche, kam er pro Tag eher eine als zwei Stationen weiter, also meist nur 25 statt 50 Kilometer. Denn die Reisegeschwindigkeit der Pferde war der Schritt, fünf bis sieben Kilometer pro Stunde. Der Schriftsteller Ludwig Börne (1786-1837) prägte dafür den satirischen Ausdruck Postschnecke, woraus sich später der Begriff Schneckenpost entwickelte.

Bequemer und schneller ging s mit der Extrapost. Auch Goethe gab ihr den Vorzug. Erstens hatte man dieses "Posttaxi" für sich allein, und zweitens verkürzte sich die Haltezeit auf den einzelnen Stationen merklich von durchschnittlich zwei bis drei Stunden auf etwa eine halbe, da keine Briefe und Pakete mitgenommen wurden. Damit war es leichter, zwei Stationen pro Tag zu schaffen, vorausgesetzt die Pferde wurden auf jeder Station gewechselt. Denn bei der Extrapost ging es im flotten Trab voran, sofern es die Straßenverhältnisse erlaubten. Doch wenn Goethe von seiner Fahrt vom Brenner nach Verona schreibt: "Die Postillone fuhren so schnell, daß einem Sehen und Hören verging", dürfte das selbst mit der Extrapost eine glückliche Ausnahme gewesen sein - oder eine gelinde Übertreibung.

Und heute? Vom Zustand der Straßen und Wege konnte der Reisende von einst nur träumen, von dem der Kutschen auch. Ob in Mecklenburg-Vorpommern oder Bayern, den Niederlanden oder der Schweiz, das wiederentdeckte

Pferdefuhrwerk ist stets TÜV-geprüft und gut gefedert. Knapp 20 dieser "modernen" Postkutschen haben sich sogar für Pfingsten im Tharanter Wald bei Dresden verabredet - zu einem internationalen Treffen.

Dennoch, für vier Personen ist der Innenraum recht eng. Die Menschen waren früher einfach kleiner. Auch die Sicht durchs Türfenster gibt nur wenig von der schönen Landschaft preis. Draußen, vom Kutschbock oder der Rückbank, schweift der Blick dagegen grenzenlos über Wiesen, Felder, Wälder und Seen. Ungetrübt ist das Vergnügen dennoch nicht. Nahen Bäume, heißt es: Bücken! Will man nicht am Ast hängenbleiben.

Seit sechs Jahren hat auch Mecklenburg-Vorpommern nun seine Postkutsche. Seit Ende April sind ihre vier bis sechs PS wieder "auf Linie", fahren nach Bedarf stilecht bei Gutshäusern und Schlössern vor oder durchqueren in aller Ruhe weite Seenlandschaften und Naturparks.

Ziel unserer Sondertour ist das Freilichtmuseum Mueß am Süd-ufer des Schweriner Sees. Ob sich das 350 Jahre alte Bauernhaus mit seinem hohen Schilfdach, die ehemalige Büdnerei, Schmiede und Schule des kleinen Museumsdorfes noch an frühere Postkutschenzeiten erinnern?

Weitere Informationen findet man im Internet unter www.postkutschenreisen.de.

Zu Zeiten der Postkutsche gab s keine Romantik

Goethe gab der schnellen Extrapost den Vorzug

Mit bis zu sechs PS stilecht vorbei an alten Schlössern

Wie in alten Zeiten: Mit der Postkutsche unterwegs
 
     
     
 
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