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Kürzlich hat sie eine Veranstaltung zur Erinnerung an den ostdeutschen Dichter Johannes Bobrowski besucht und zuvor dessen "Litauische Claviere" gelesen - mehrmals. Da steckt eine "echte" Schauspielerin dahinter. In diesem Fall Annelise Matschulat, die ihrem 80. Geburtstag am kommenden Montag gelassen entgegenblickt. Rostock ade! Auf einer Paris-Reise wird gefeiert.
Ostdeutschland, Königsberg, verbunden mit ihren Anfängen als Schauspielerin, ist für Annelise Matschulat immer präsent. Zuerst wohnte die Beamte ntochter im Samlandweg, später bis zur Flucht in der Schrötterstraße. "Ich war auf dem Lyzeum, aber ich hatte keine rechte Lust zu studieren." Da hatte er sich schon eingeschlichen, der "Tick" mit dem Theater. Sie bewunderte Karl John oder Dorothea Neff auf der Bühne des Schauspielhauses, machte selbst die Eignungsprüfung und nahm Privatunterricht, u. a. bei Werner Rafael. Ihre erste Rolle bekam sie in dem Singspiel "Brillanten aus Wien".
Wenn Annelise Matschulat sich erinnert, blicken immer wieder die Starthilfe und Freundlichkeit durch, die sie von Königsberger Kollegen wie Clara Walbröhl oder Hildegard Jacob ("Mensch Mädchen, du bist ja begabt!") erfahren hat. "Eva im Abendkleid" war das letzte Stück vor Schließung der Theater und ihrer Flucht im Januar 1945 auf einem KdF-Schiff über See bis Warnemünde.
Das Kriegsende erlebte die 22jährige in der Familie ihres Bruders nahe Magdeburg. An den Städtischen Bühnen Magdeburg setzte sie - zwischen Schutt und Asche - ihre Schauspielkarriere fort. Hatte sie als "junges Ding" ihre Kollegin Anna Dammann in der Sudermann-Verfilmung "Johannisfeuer" bewundert, spielte sie hier selbst die Marikke und gefragte Klassiker-Rollen: die Luise, die Jungfrau von Orléans, Ophelia, Iphigenie, die Elisabeth. Auch Tschechow und Shaw wurde gebüffelt. "Die erste Zeit nach dem Krieg, das war eine ganz eigene Theaterzeit. Der innere Zusammenhalt im Ensemble war schon enorm", denkt Annelise Matschulat dankbar zurück.
Der Wunsch nach Veränderung kam. Sie ging 1954 nach Halle. Schon ein Jahr später rief Rostock, wo sie seit nunmehr 48 Jahren, von schweren Schicksalsschlägen nicht verschont, zu Hause ist, angekommen sozusagen. Seit 1952 mit ihrem Filmdebüt "Frauenschicksale" auch bei der DEFA ein Name, konnte Annelise Matschulat am Volkstheater Rostock ihre geschätzte, beflügelnde Ensemblearbeit fortführen, sich aufgehoben fühlen unter Gleichgesinnten. Erneut war sie die Elisabeth in "Maria Stuart", sie war die Mutter in "Der gute Mensch von Sezuan" ("Da haben wir noch Brecht persönlich erlebt"), die Königin in "Hamlet", die Marlborough in "Das Glas Wasser", die Amme in "Der Vater". Unter ihrem persönlichen Motto "Lehrend lernt man" hat sie sich jahrelang dem Schauspieler-Nachwuchs gewidmet. Eine schöne Erfahrung war auch die Mitwirkung auf einer Naturbühne bei den Rügenfestspielen, wo sie um 1980 als Gret Haarmaker in "Störtebeker" Erfolge feierte.
Zu ihren letzten Arbeiten am Volkstheater Rostock, dessen Ehrenmitglied sie seit 1995 ist, gehören "Othello darf nicht platzen", eine singende Äbtissin im Musical "Nonsense" und "Love Letters". Inzwischen betrachtet sie das fremd gewordene Bühnengeschehen von außen, lebt einen Alltag ohne Textstudium und Proben: "Ich reise gern, ich spiele Klavier, lese sehr viel."
Über den Arkaden des Königsberger Schauspielhauses stand: "Ewig jung ist nur die Phantasie". Dieses Schiller-Wort hat Annelise Matschulat stets begleitet. Glückwunsch an die Seine!
Susanne Deuter
Foto: Annelise Matschulat: Als Kristina in "Ostern" von August Strindberg 1945 in Magdeburg und heute Fotos: (1) privat, (1) Deuter |
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