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"Die Jugend will, daß man ihr befiehlt", stöhnte einst der französische Philosoph Jean Paul Sartre, "damit sie die Möglichkeit hat, nicht zu gehorchen." Daß die jungen Leute oft nicht so wollen, wie man selbst wohl will, das haben nun auch die 68er entdeckt. Denn die Soziologen-Handschrift der alten Revoluzzer von einst prägt die neue Shell-Jugendstudie. Und was sie dem Bundesbürger zu vermelden haben, klingt zugleich beruhigt und verängstigt.
Die Jugend sei pessimistisch? Das war einmal. Vor drei Jahren, bei der letzten Shell-Studie, wagten lediglich 35 Prozent der jungen Deutschen einen zuversichtlichen Blick in die Zukunft, heute sind es fast zwei Drittel der Befragten. Nach einem Spitzensatz von etwa 70 Prozent Zuversichtlichen im Jahre 1991 (bei West- und Mitteldeutschen Heranwachsenden gleichermaßen) sank diese Zahl bis 1996 auf etwa 50 Prozent. Inzwischen hat sich die Lage hier bedeutend entspannt.
Familie spiele eine höhere Rolle als früher. Ans Heiraten denken nur noch 43 Prozent der männliche n und 45 Prozent der weiblichen deutschen Jugendlichen. Bei den in Deutschland lebenden türkichen Jugendlichen sind dies 68 bzw. 77 Prozent. Der "Wertehimmel" der deutschen Jugendlichen falle in immer verschiedenere Gruppen auseinander: "Die" Jugend gibt es nicht mehr.
Das politische Interesse der Menschen unter 21 Jahren ist weiterhin im Sinken begriffen. Doch auch Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen, vor drei Jahren in Sachen Glaubwürdigkeit unter Jugendlichen noch unangefochten an der Spitze, sind bei Jugendlichen nicht mehr so unangefochten wie früher. Kirchen und Parteien liegen in der Vertrauensskala ganz am Schluß.
Unpolitischer seien sie geworden die Jugendlichen und konservativer, sagt die Studie. Grüne hätten in ihrer Gunst dramatisch abgebaut. Die CDU habe maßgeblich an Einfuß unter ihnen gewonnen, wobei erwähnt werden muß, daß die Befragungen zur Studie im Herbst 1999 abgeschlossen waren, also noch vor dem dramatischen Popularitätsverfall der CDU durch die Spendenaffäre.
Eine Besonderheit dieser Shell-Studie ist, daß sie erstmals nicht nur deutsche Jugendliche befragt hat, sondern auch in Deutschland lebende ausländische Jugendliche. Das ist interessant, was die Ergebnisse angeht, aber höchst bedenklich, was das zugrundeliegende multikulturelle Konzept der Autoren der Studie betrifft. So beklagen sie denn, daß man in Deutschland noch nicht von Multikulturalität sprechen könne. In dieser Feststellung liegt vernehmlich ein im Ton kaum überhörbares Bedauern. Beklagt wird in diesem Zusammenhang vor allem, daß, wer das deutsche Bürgerrecht erwerben wolle, "in einem gewissen Mindestumfang auch im kulturellen Sinn, z.B. durch Erwerb deutscher Sprachfertigkeit ,Deutscher werden" müsse. Deutsch in Deutschland als Leitkultur, anstatt als gleichberechtigte Kultur neben allen anderen, das widerspreche dem Zielbild der multikulturellen Gesellschaft. Doch es kommt noch schlimmer. Die Jugendlichen insbesondere deutsche und türkische Jugendliche leben sich immer mehr auseinander. "Segregation" nennen die Autoren der Studie das im Soziologendeutsch. Eine Entwicklung, die die Städteplaner schon seit langer Zeit beobachten. Deutsche und Ausländer lebten noch immer relativ "entmischt". Zusätzlich komme in letzter Zeit hinzu, daß Deutsche, die es sich leisten könnten, immer häufiger aus Gegenden wegzögen, die nun schwerpunktmäßig von Ausländern bewohnt würden. Übrig blieben die ärmeren deutschen Schichten, die "meist wider Willen und nicht aus Überzeugung" mit ihren Mitbewohnern zusammenlebten. Da diese Abtrennung vor allem die türkischen Jugendlichen in Deutschland betreffe, sei auch dort die ethnische Abwendung von der deutschen Kultur besonders stark. Die Italiener, als die am besten in Deutschland integrierte Ausländergruppe, betreffe diese Entwicklung in ungleich geringerem Maße.
Deutsche Jugendliche halten daher, so die Studie, überwiegend den Ausländeranteil in Deutschland für zu hoch. Für gut 60 Prozent der jungen Leute trifft dies zu. Nur knapp 35 Prozent halten diesen Anteil für "gerade richtig". Diejenigen, die ihn für "zu niedrig" halten, sind zahlenmäßig irrelevant. Bei Jungen ist die Zahl derer, die den Ausländeranteil für "zu hoch" hält, etwas höher als bei Mädchen. Am höchsten ist er bei Jungen aus Mitteldeutschland: 71,1 Prozent. Auch die Parteipräferenz spielt eine Rolle. Mit Ausnahme der Grünen halten Jugendliche, die der CDU, der SPD und der FDP nahestehen, mehrheitlich diesen Anteil für zu hoch. Selbst jugendliche PDS-Sympathisanten finden dies noch zu 54 Prozent. Und je jünger die Jugendlichen würden, desto schärfer werde dieses Bild. Diese Ergebnisse haben einen schrillen Aufschrei in der deutschen Medienlandschaft ertönen lassen.
Die Studie selbst belegt diese Meinung mit dem Attribut der "Ausländerfeindlichkeit". Merkwürdig ist allerdings, daß immerhin auch 23 Prozent der in Deutschland lebenden italienischen und 20 Prozent der türkischen Jugendlichen in Deutschland ebenfalls die Ansicht vertreten, es gebe zu viele Ausländer in Deutschland. Das sind wesentlich mehr als doppelt soviel wie diejenigen unter den ausländischen Jugendlichen, die meinen, der Ausländeranteil sei zu niedrig. So einfach scheint die Sache mit der "Ausländerfeindlichkeit" der deutschen Jugendlichen also nicht zu sein.
Problematisch ist, daß das Deutschlandbild der Jugendlichen insgesamt distanziert ist. Dies könnte dazu führen, daß zunehmende ethnische Konflikte in der Gesellschaft immer weniger durch das zivilisierende Band eines gemäßigten Patriotismus gemildert werden könnten. Zwar versucht die Studie dem Leser Mut zu machen: "Weder anfällig für euphorischen Hurrapatriotismus, noch für Minderwertigkeitskomplexe oder negative Abwertungen" sei die Jugend, doch kann das nicht darüber hinwegtäuschen, daß die deutsche Nation und besonders ihr jüngerer Teil insgesamt in gefährlicher Weise auseinanderfällt. Dies könnte eines Tages zu Konflikten führen, die sich nicht mehr mit multikulturellen Lösungsvorschlägen bewältigen lassen werden.
Antonia Radelbeck
"Jugend 2000". Die 13. Shell Jugendstudie, 2 Bände; Verlag Leske + Budrich, Leverkusen 2000, 896 Seiten, 29,80 Mark
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