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Die Integration von jungen Menschen mit Migrationshintergrund stellt sich als besondere Herausforderung dar. Die Polizeistatistik in Berlin zeigt schon seit Jahren, daß Jugendliche mit Migrationshintergrund wesentlich öfter mit Gewaltdelikten in Zusammenhang gebracht werden, als es ihrem Bevölkerungsanteil entsprechen würde."
Diese nüchterne Analyse der Situation in "Problembezirk en" wird nach der bundesweiten Erregung über die alarmierenden Zustände an der Berliner Rütli-Schule jeder teilen, erst recht, wenn er einmal selbst mit offenen Augen durch Kreuzberg oder Neukölln gegangen ist. Vor allem in der Dunkelheit.
Für die Teilnehmer eines Seminars der Friedrich-Ebert-Stiftung unter dem Titel "SCHLAGwort Integration: junge Zuwanderer, Lebenslagen und Gewalt" war sie hingegen selbst wenige Tage vor Ausbruch der "Rütli-Debatte" noch eine skandalöse Neuigkeit.
Rund einhundert Sozialpädagogen, "Streetworker" (Sozialarbeiter) und Ausländerbeauftragte sollten auf der Veranstaltung der SPD-nahen Stiftung mit unfreundlichen Wahrheiten konfrontieren sollten - Wahrheiten, denen die meisten von ihnen bislang lieber aus dem Wege gegangen waren, um nicht "rassistisch" zu erscheinen, oder die sie in verquastem Sozial- und Psychogefasel zu vernebeln trachteten.
Überwiegend kamen Frauen wie Karin Korte, ihres Zeichens "Migrationsbeauftragte" des Berliner Bezirks Neukölln. Sie alle sitzen nun in der Hiroshima-Straße in Berlin-Tiergarten und lauschen in- und ausländischen Experten. Über ein Thema, das sie früher nicht einmal in den Mund genommen hätten: Ausländerkriminalität.
Das ganze steht unter der Regie einer Kommission des Landes Berlin namens "Berlin gegen Gewalt". Insofern haftete an dem Seminar etwas Regierungsamtliches. Es darf also offen über Probleme mit Multikulti gesprochen werden. Innenstaatssekretär Thomas Härtel forderte sogleich von den Anwesenden: "Wir müssen uns mit der überdurchschnittlichen Gewaltdelinquenz von jungen männlichen Personen mit Migrationshintergrund auseinandersetzen."
Als wäre das nicht schon bahnbrechende Erkenntnis genug, folgt dem Politiker Prof. Dr. Dr. Hans-Jörg Albrecht vom Max-Planck-Institut. Der Experte für ausländisches und internationales Strafrecht kommt gleich zu Beginn auf den Punkt: "Es gibt keine schnellen und keine gutfunktionierenden Lösungen für Probleme bei der Integration. Unter Umständen gibt es gar keine."
Routiniert beschreibt der Jurist die Lage. Die höheren Kriminalitätsraten junger Ausländer weist er mit bunten Tabellen nach. "In den 90er Jahren hatten wir eine starke Zunahme der Gewalt bei jungen Immigrantengruppen wie Türken und Jugoslawen." Die Zuwanderer-Kinder geraten in der Regel zwei- bis zweieinhalbmal so schnell mit dem Gesetz in Konflikt wie Durchnittsjugendliche.
Es gibt Unterschiede, ja. Zum Beispiel regionale Unterschiede. Albrecht zeigt die nächste Tafel: "In Berlin ist die Rate krimineller Ausländer höher als in Duisburg", faßt er seine Grafik zusammen.
Für die Zuhörer sind das offenbar völlig neue Gedankengänge. Im Publikum sitzen überwiegend reife Damen mit kurzen Haaren. Ihr Leben lang hätten sie solche Gedanken als ketzerisch gebrandmarkt: Ausländer öfter kriminell als Deutsche? Und dann noch in Berlin, wo doch der rot/rote Senat für soziale Gerechtigkeit zu sorgen vorgibt? Die Verunsicherung der Zuhörer ist ihnen ins Gesicht geschrieben.
In der anschließenden Befragung des Referenten bemüht eine typische Alt-68erin hinsichtlich der Brutalisierung die angebliche Traumatisierung. "Besteht da kein Zusammenhang mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und Jugoslawiens, wenn Jugendliche aus diesen Staaten plötzlich zur Gewalt neigen?" fragt sie.
Der Rechtsprofessor muß die Dame enttäuschen: "Wir denken gerne, daß Böses von Bösem kommt. Daß Gewalt aus Arbeitslosigkeit resultiert zum Beispiel. Daß zu viel Gewalt im Fernsehen die Ursache für Gewalt auf der Straße ist. Das ist schön, dann hat man eine einfache Antwort. Man kann damit arbeiten: Man muß nur die Gewalt im Fernsehen stoppen, dann hört auch die Gewalt auf der Straße auf. Das dumme ist nur: Das stimmt nicht."
Und als hätte Professor Albrecht jetzt noch nicht genug Kopfschütteln geerntet, widerlegt er gleich das nächste Gutmenschen-Klischee: "Es ist nicht so, daß jemand ins Gefängnis kommt, nachdem er kriminell geworden ist, nur weil ihm niemand einen Job geben wollte. Vielmehr ist es so, daß jemand, der zur Kriminalität neigt, auch Schwierigkeiten haben wird, im richtigen Leben einen Job zu finden."
Alle Menschen sind nicht gleich? Sondern es gibt gute und böse? Nicht die "Gesellschaft" ist schuld, wenn jemand zum Verbrecher wird, sondern er selbst? Skeptische Augenpaare starren den Referenten an. So als sei er Dorfpfarrer in Oberbayern und habe gerade mitten in der Heiligen Messe erklärt, er glaube nicht an Gott.
Auch einer anderen Sozialpädagogin, mit einem bunten Batik-Schal bekleidet, bleibt die unerwartete Begegnung mit der Wirklichkeit nicht erspart: "Welche Rolle spielt denn das Geschlecht?" fragt die feministisch motivierte Lehrkraft. Keine, jedenfalls keine andere als bei Deutschen auch, läßt sie der Professor im frauenpolitischen Regen stehen.
Nur einmal gibt es kleines Aufatmen während der Befragung. Als Albrecht über die größten Unterschiede zwischen deutschen und ausländischen Jugendlichen spricht, gelangt er zu Drogendelikten: Wenigstens bei Verstößen gegen das Betäubungsmittel-Gesetz seien Deutsche überrepräsentiert. Wenigstens etwas.
In der Pause kommen zwei Pädagogen miteinander ins Gespräch: Christiane Kortlang betreut ein Palästinenserprojekt in Pankow, Paul Schütz arbeitet an der Fachschule für Sozialpädagogik im selben Bezirk.
Der junge Mann hat seinen Erkenntnisprozeß bereits weitgehend abgeschlossen: "Vielleicht muß man mal zur Kenntnis nehmen, daß da nichts aufzufangen ist", sagt er und nimmt sich einen Kaffee. Und weiter sinniert er: "Vielleicht ist unser Allmachtglaube an die Sozialpädagogik einfach falsch." Selbst mit einem Nobelpreis in der Tasche könnten Sozialpädagogen wie er manch einen schlimmen Finger nicht mehr auf den Pfad der Tugend zurückbringen, grübelt er laut weiter.
Das Gespräch wandert weiter zu Politikern allgemein. "Sie sind problematisch, aber die bezahlen uns ja auch", weiß Schütz. Aber das tun doch eigentlich die Bürger, die Steuerzahler! "Das stimmt nicht", feuert der selbstbewußte Pädagoge zurück, "uns bezahlen verantwortungsbewußte Politiker."
Die Bürger würden ihm sofort den Geldhahn zudrehen, schildert er: ",Wat? Für so ne Rotzgören gebt ihr so viel Geld aus? , würden die fragen und uns den Laden schließen, wenn die wüßten, was das alles kostet", da ist er sich absolut sicher.
Was kostet das denn? "Bei betreutem Wohnen so Pi-mal-Daumen: 5000 Euro pro Jugendlichem pro Monat." Schütz weiter: "Ich habe da ein Projekt im Bezirk, ein Einfamilienhaus, da wohnen Minderjährige, die rund um die Uhr betreut werden müssen. Das sind insgesamt vier bis fünf Erzieher. Was denken Sie, was das kostet? Das zahlen alles die Kommunen."
Schütz Kollegin Kortlang berichtet über deutlich bessere Familienstrukturen bei Ausländern: "Die sind nicht so verwahrlost. Manche Deutsche sind total gleichgültig. Die Ausländer ernähren ihre Kinder wenigstens, auch wenn es da autoritär zugeht."
Trotzdem sorgt sie sich wegen der Integration. In ihrem Bezirk Pankow gebe es keine Probleme mit der Integration, allerdings leben in dem Ost-Kiez auch kaum Ausländer. Der Nachbarbezirk Wedding jedoch heißt mit Vornamen "Brennpunkt". "Ich wollte es nicht glauben", sagt Kortelang erschüttert, "aber es stimmt: Die Kinder kommen wirklich aus dem Nachbarbezirk zu uns nach Pankow, weil sie als deutsche Kinder im Wedding total untergehen."
Auch Kortlang meldet sich während der Diskussion zu Wort: "Ich fühle mich nicht ernstgenommen. Wie kann man veränderungsresistenten Jugendlichen entgegentreten?" fragt sie. Der Professor weiß keine Antwort. "Ich bin überrascht, welchen Druck manche Pädagogen da aushalten", antwortet er resignierend und bekommt reichlich Applaus. Das Ohnmachtsgefühl scheinen hier alle nachvollziehen zu können.
Nach der Pause beginnt Dr. Fabien Jobard aus Paris seinen Vortrag (in erstklassigem Deutsch). Der Franzose hat in seinem Land gegen Gesetze verstoßen müssen, um die hohe Rate der Ausländerkriminalität zu ermitteln. "Es ist untersagt, in Frankreich solche Statistiken zu führen", berichtet er. Fassungslos lauschen die Konferenzteilnehmer seinem Referat.
In Deutschland ist es nicht "politisch korrekt", öffentlich über die hohe Ausländerkriminalität zu sprechen oder die ausländische Herkunft von Tätern in den Medien zu thematisieren. Aber ein Verbot? Die meisten machen einen nachdenklichen Gesichtsausdruck.
Als Jobard seine Erkenntnisse auszubreiten beginnt, wird es mucksmäuschenstill: 1800 Urteile hat er analysiert. Nur aufgrund des Namens und des Geburtsortes konnte er eine herkunftsbezogene Statistik erstellen. Ergebnis: Im Laufe der Jahre ist der Anteil von Nordafrikanern an den Verurteilten von 20 auf 25 Prozent gestiegen, der der Schwarzafrikaner von zehn auf 20. Bei minderjährigen Tätern liegt er sogar bei 38 beziehungsweise 28 Prozent. Die Zahlenkolonnen des Franzosen tragen immer wieder die gleiche Botschaft in sich: Die Kinder von Zuwanderern werden früher und häufiger in Straftaten verwickelt als urfranzösische Kinder.
Aufgrund der Gesetzeslage und weil sie dem Paß nach in der Regel alle Franzosen sind, sei es schwierig, das statistisch zu erfassen. Der offizielle Ausländeranteil in Frankreich betrage nur fünf Prozent. Paul Schütz meldet sich zu Wort. Er hat große Schwierigkeiten, seine Frage zu formulieren: "Der Ausländeranteil, äh, also Ausländer sind das ja nicht, äh, der betreffende Teil eben, wie hoch ist der in den Banlieus?" Er liegt auch dort nur bei zehn Prozent. Die Krawallkinder im letzten November waren - rechtlich gesehen - alle kleine Franzosen.
Am Ende wollen die Zuhörer von Jobard wissen, wie es denn nun weitergehen kann. Hat er denn keine Lösungsvorschläge mitgebracht? Gibt es kein Regierungsprogramm, mit dem der Probleme Herr zu werden ist? Hat er nicht, gibt es nicht.
Jobard lenkt die Aufmerksamkeit auf ein Städtchen bei Paris und auf Verdun in Ostfrankreich. "Beide Städtchen haben eine ähnliche Struktur", sagt er. In dem Städtchen bei Paris habe es trotz hoher finanzieller Zuwendungen massive Krawalle gegeben. Das Städtchen hatte nämlich auch einen hohen Ausländeranteil.
Verdun dagegen erhalte keine großartigen strukturpolitischen Maßnahmen trotz ähnlicher wirtschaftlicher Probleme. Es habe aber auch keine Probleme mit Ausschreitungen gegeben. Schließlich habe Verdun nur einen verschwindend geringen Ausländeranteil.
Sprach- und ratlos läßt der Franzose seine Zuhörer zurück, als er sein Referat beendet. Zeit für die Mittagspause. Es gibt ein bekömmliches, vegetarisches Menü aus Pilzen und Knödeln. Doch die meisten Seminar-Teilnehmer haben mehr zu verdauen als diese - politisch korrekte - Mahlzeit.
"Unter Umständen gibt es gar keine Lösung"
"Deutsche Kinder gehen total unter"
Sozialpädagogische Therapieangebote (li.) verpuffen weitgehend bei Schülern ausländischer Herkunft wie hier an einer Berliner Hauptschule. Fotos: (1) Luedecke, (1) argum |
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