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Aus altem Schweizer Geschlecht stammend, Juristen, Afrikaforscher und Historiker zu seinen Vorfahren zählend, hat der vor 115 Jahren in Basel geborene Carl Jacob Burckhardt eine erstaunliche Zahl von Autoren, Künstlern, Wissenschaftlern und Politikern seinem näheren Bekanntenkreis zuordnen können. Er selbst galt lange Zeit als ein Zeuge des alten Europa. Wohlhabend, gut aussehend, sprachgewandt, sich seiner äußeren Wirkung stets bewußt, hatten besonders die Deutschen in ihm einen Sympathisanten gesehen, der ihrer nach 1945 so schlecht gemachten Reputation zu neuem Licht verhelfen sollte. Im Jahre 1954 erhielt Burckhardt den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels , die Laudatio hielt Bundespräsident Theodor Heuß, der ihn den "guten Europäer" nannte. Ein Jahr darauf durfte sich die Lichtgestalt mit dem Orden "Pour le Mérite" schmücken, der Friedensklasse für Verdienste um die Wissenschaft und Künste.
Der junge Burckhardt wuchs ohne Vater auf, der, Professor für Römisches Recht und Gerichtspräsident, tragisch durch Freitod geendet hatte. Nach einem Studium der Philosophie, Geschichte und Kunstgeschichte in Basel, München und Göttingen war er von 1918 bis 1922 Mitglied der Schweizer Botschaft in Wien, wo er hautnah den Untergang der österreichischen Monarchie miterlebte. Während dieser Zeit schloß Burckhardt Freundschaft mit Hugo von Hofmannsthal. Die Verbindung mit dem Wiener Dichter des "Jedermann" wirkte außerordentlich befruchtend auf den 17 Jahre jüngeren Diplomaten. Hugo von Hofmannstahl, Mitbegründer der Salzburger Festspiele, entwickelte das abendländische Geisteserbe schöpferisch weiter, mit Stefan George fühlte er sich einig in der Sehnsucht nach Schönheit und erlesener Sprachform. Die Anregung, "das Schrifttum als geistigen Raum der Nation zu begreifen", was die eigentliche Aufgabe der nationalen Literatur sein sollte, entsprach ganz den Intentionen Carl Jakob Burckhardts.
Der ehemalige Schweizer Diplomat Paul Stauffer ließ in seiner quellenkritischen Studie, "Zwischen Hofmannstahl und Hitler", zum erstenmal Zweifel an dem lichtgestaltigen Wirken seines Landsmannes aufkommen. Stauffer nannte den von Burckhardt edierten Briefwechsel mit Hugo von Hofmannstahl "beschönigend" und "verfälschend". Auch andere Autoren bestätigten, daß der Briefwechsel "getürkt und nachträglich überarbeitet" worden ist.
C. J. Burckhardt war Zeitzeuge umwälzender Epochen der europäischen Geschichte. Als Mitglied des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz machte er die Bekanntschaft mit Ernst von Weizsäcker, damals deutscher Gesandter in der Schweiz. Weizsäcker soll ihn dann auch zur Bewerbung um die Position des Hohen Kommissars des Völkerbundes für die Freie Stadt Danzig veranlaßt haben. Am 1. März 1937 traf Burckhardt zur Übernahme seines Amtes in Danzig ein, eine Stellung, die er später als schwierigste und undankbarste Mission seines Lebens bezeichnet hat. Allein schon die Zahl seiner acht Vorgänger auf dem Stuhl des Hochkommissars hätte ihm zu denken geben müssen, ob er da nicht etwa seinen geruhsamen Lehrstuhl für Geschichte an der Genfer Universität mit einem Schleudersitz vertauschte.
Die Versailler Friedensmacher hatten die deutsche Stadt Danzig - ohne Befragung der Bevölkerung - vom Reich abgetrennt, um daraus einen "Freistaat", zwar mit eigener Regierung, aber beschränkten Hoheitsrechten, zu bilden, dessen Garantie der Völkerbund übernahm. Die Aufgabe des Hohen Kommissars war die eines Schiedsrichters bei strittigen Fragen zwischen Danzig und Polen. Gegen die Entscheidungen des Hohen Kommissars stand beiden Staaten das Recht der Berufung beim Völkerbundsrat zu, dessen Spruch dann endgültig und bindend war. Burckhardt träumte davon, die wichtige Rolle eines Vermittlers zwischen England und dem Reich zu übernehmen, obwohl ihm Anthony Eden, Präsident des Völkerbunddreierkomitees, vor Dienstantritt den Rat gab, in Danzig nur als Berichterstatter zu fungieren.
Tatsächlich konnte Burckhardt an der politischen Wirklichkeit nichts ändern. Gerade in jener Zeit bahnte sich im Volkstag, dem aus 72 Abgeordneten bestehenden Danziger Parlament, eine brisante Entwicklung an. Verschiedene Oppositionsabgeordnete hatten sich der NSDAP angeschlossen, deren Mandatszahl damit auf 46 anstieg. Die Nationalsozialisten waren sozusagen auf kaltem Wege dabei, die Zweidrittelmajorität zu erlangen, was nach kurzer Zeit infolge der Auflösung der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) auch eintrat. Am 10. Oktober 1938 konnte Gauleiter Albert Forster erklären: "... durch den Übertritt von Abgeordneten der anderen Parteien hat unsere Fraktion die legale Zweidrittelmehrheit erreicht, die uns zur Änderung der Verfassung berechtigt." Eines verschwieg der braune Parteiführer allerdings, der Völkerbund hätte als Garant der Danziger Verfassung einer Änderung dieses Grundgesetztes zustimmen müssen.
In dem Buch "Meine Danziger Mission" (München, 1960) schildert C. J. Burckhardt ausführlich seine Danziger Zeit von 1937 bis 1939. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß der Hochkommissar seine Mission auch darin sah, der eigenen Person eine politisch hoch bedeutsame Wichtigkeit zu verleihen. Burckhardt hatte am 10. Oktober 1939 den Diplomaten Perkowski des polnischen Kommissariats in der Freien Stadt zu einem Diner eingeladen, als ein dringender Anruf Forsters erfolgte, der Hohe Kommissar möge sich zu einem Treffen mit Hitler bereithalten. Mit einer eigens geschickten "Führermaschine" traf Burckhardt zusammen mit dem Gauleiter auf dem Salzburger Flugplatz ein. Von dort ging es mit dem Personenkraftwagen am Berghof vorbei in Serpentinen zum Kehlsteinhaus (dem heute wieder zugänglichen Teehaus) in 1 834 Metern Höhe. Hitler dankte dem Hochkommissar für seine Vermittlerdienste in den Danzig-polnischen Auseinandersetzungen. Er gab zu erkennen, daß er nicht mehr bereit sei, zurückzustecken; "... wenn das geringste in Danzig passiert oder unseren Minderheiten geschieht, werde ich hart zuschlagen." Auf Burckhardts Frage, ob er seine Kinder in Danzig lassen solle, antwortete Hitler: "Es kann jeden Tag in Danzig etwas geschehen, aber nur, wenn die Polen es wollen. Ich glaube, daß Ihre Kinder besser in der Schweiz wären." In Burckhardts Buch nimmt diese Unterredung mit Reichskanzler Hitler den Platz von acht Buchseiten ein.
Fabulös erscheint Burckhardts Beschreibung über den Besuch des Kommandanten der "Schleswig-Holstein", Kapitän zur See Kleikamp, in seinem Hause. Das deutsche Linienschiff lief am 25. August 1939 zu einem Freundschaftsbesuch in Danzig ein und ankerte gegenüber der Westerplatte. Es war üblich, daß ausländische Flottenbesuche mit Einladungen der führenden Persönlichkeiten des Freistaates verknüpft waren. "Der Kommandant des Kriegsschiffes", schreibt Burckhardt, "anvertraute mir plötzlich mit einem verstörten Gesichtsausdruck: Ich habe einen furchtbaren Auftrag, den ich vor meinem Gewissen nicht verantworten kann. Wäre dieses Geständnis bekannt geworden, so ist anzunehmen, daß dieser Offizier zum Tod durch Erschießen als Hochverräter wäre verurteilt worden."
Am 1. September 1939 erschien Forster mit großem Gefolge in der Residenz des Hohen Kommissars, dem ehemaligen Generalkommando. Burckhardt sollte innerhalb von zwei Stunden das Danziger Territorium verlassen. "Persönlich habe ich nichts gegen Sie", fügte der Gauleiter hinzu. Carl Jakob Burckhardt war reisebereit, zuvor hatte er tagelang seine Schriftstücke verbrannt. |
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