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Domkapitel zu Frauenburg und die Stadt Allenstein

 
     
 
Es war der Tag vor Allerheiligen, als im Jahr 1353 das gesamte Domkapitel zu Frauenburg einer Ansiedlung an der unteren Alle die Handfeste, das privilegium civitatis zu kulmischem Recht, übergab und damit die Stadt Allenstein begründete. Wohl etwa fünf Jahre zuvor hatte das Domkapitel den Bau einer Burg zu ihrem Schutz veranlaßt, die zunächst als Residenz und Verwaltungssitz den Frauenburger Domherren diente. Im Anschluß an jenen Bau, etwa um 1370/80, begann das zweite Großbauwerk der Stadt, die Pfarrkirche
St. Jacobi, die heute Kathedralkirche ist. Diese beiden bis auf den heutigen Tag erhaltenen Zeugen ordenszeitlicher Baukunst bilden noch immer markante Punkte in der Allensteiner Stadtsilhouette.

Die Anlage entsprach den ordenszeitlichen Städtegründungen in Altpreußen: in der Mitte des Marktplatzes stand das Rathaus, Straßenzüge mit den Häusern der Gewerbetreibenden und Handwerker verliefen rechtwinklig dazu. Gebaut wurde üblicherweise, von Ausnahmen abgesehen, meist aus Holz, die Dächer waren mit Stroh oder Schilf gedeckt, Scheunen und Schuppen setzte man häufig vor die Stadtmauer.

Nach einem Vierteljahrhundert begann die Erweiterung der Stadt durch die Gründung der Neustadt nach Osten hin, um die Nachfrage nach Siedlerstellen zu befriedigen. Auch ging man daran, anstelle des mit Palisaden bestückten Erdwalls eine Stadtmauer zu bauen, die drei Tore, einige Pforten und Türme aufwies. Von allem ist lediglich das "Hohe Tor", nach einem schlimmen Stadtbrand Anfang des 18. Jahrhunderts wieder aufgebaut, erhalten geblieben.

Die Besiedlung des Umlandes lag bei Johann von Leysen, der als Lokator die Werbung und Ansiedlung von Leuten aus Deutschland mit geschickter Hand betrieb. Das Leben in der Stadt prosperierte, sie wuchs langsam. Doch auch sie blieb in jenen Zeitläufen nicht verschont von Bränden, Seuchen, Kriegsnöten mit all ihren Begleitern wie Plünderungen, Brandschatzungen, Kontributionen, Greueln, so daß es zu wirtschaftlichem Stillstand und Rück- schlägen kam. Diese Periode wurde nach 13 Jahren Krieg 1466 mit dem Zweiten Thorner Frieden beendet, durch den das Fürstbistum Ermland unter die polnische Krone geriet. Als dann 1520 der sogenannte Reiterkrieg ausbrach, war Nicolaus Copernicus in Allenstein gerade Administrator des Domkapitels. Er konnte die Stadt zwar halten, das Umland jedoch nicht vor Verwüstung bewahren.

Nach fast 100 Jahren Atempause vernichtete ein Stadtbrand den mühsam erarbeiteten Wohlstand. Es folgten Hungersnot durch Mißwachs und Teuerung, die Pest mit vielen Toten kam. Wieder überzogen in Abständen Kriege Stadt und Land mit polnischem, schwedischem, russischem Kriegsvolk, in deren Gefolge Not und Brand sich einstellten.

Mit der sogenannten Ersten polnischen Teilung fiel 1772 das Ermland an Preußen. Es brachte der Stadt 40 Jahre der Erholung, die erst durch die napoleonischen Kriege abrupt unterbrochen wurden. Erneut drückten ungeheure Lasten auf die Bevölkerung. Schleppend verlief der Wiederaufbau, wieder einmal durch Brände verzögert. Allerdings blieben bis 1914 kriegerische Bedrohungen aus, und die zweitägige russische Besetzung damals scheint in der Rückschau fast wie eine Episode, wenn sie auch die Flucht eines großen Teils der Bevölkerung bewirkte. Der in der Stadt verbliebene Oberbürgermeister Zülch mit seinem Bürgermeister Schwartz bewahrte durch kluges Handeln das Anwesen vor größeren Schäden.

Weit einschneidender wirkten die Folgen des Diktats von Versailles 1919, mit dem der Erste Weltkrieg beendet (und der Keim zum Zweiten gelegt) wurde; unter anderem kam es zur Abtrennung der Provinz vom Reich durch den sogenannten polnischen Korridor und für das südliche Ostdeutschland zur Anordnung einer Volksabstimmung über den Verbleib beim Deutschen Reich. Das Ergebnis der Abstimmung vom 11. Juli 1920 war für die überwachenden Alliierten frappierend, hatten doch 97,5 Prozent der Stimmberechtigten für Deutschland votiert. Die wirtschaftlichen Folgen der Abtrennung vom Reich indessen waren schwer, denn für alle Güter, soweit sie auf dem Landweg zwischen Ostdeutschland und dem Reich transportiert wurden, mußten Transitgebühren an Polen bezahlt werden, was sie entweder verteuerte oder ihre Subventionierung erforderte.

Ein Blick auf die Stadtentwicklung in den ersten Jahrhunderten zeigt deutlich, wie sehr hemmend die Katastrophen, kriegerischen Ereignisse, aber ebenso die periphere Lage sich auswirkten. Die Stadt hatte bis zur großen Pest 1710 gerade 1.500 Einwohner und lag erst nach dem Befreiungskrieg 1813 knapp über 2.000 Seelen. Danach nahm die Bevölkerungszahl langsam, doch stetig weiter zu, was nicht zuletzt auch auf die 1818 eingeführte neue Kreiseinteilung der Provinz zurückzuführen war.

Die friedlichen Jahrzehnte verschafften Allenstein nunmehr die notwendige Zeit, nicht nur innerstädtische Strukturen zu verändern, sondern auch nach außen die Kommunikationen zu verbessern. Der Bau der Chaussee nach Guttstadt im Jahre 1859 war ein hoffnungsvolles Zeichen dafür, denn als einziges öffentliches Verkehrsmittel rumpelte bisher die Personenpost mühselig auf ausgefahrenen Naturstraßen. Der einsetzende Eisenbahnbau in Ostdeutschland erwies sich als Schub für die Vermehrung der Posten als Zubringer, der städtische Handel wuchs. Noch vielmehr bewirkte dann die unmittelbare Anbindung der Stadt an dieses neue Verkehrsmittel, indem 1872 die Strecke nach Rothfließ eröffnet und der Bahnhof erbaut worden war und sie damit aus ihrer abgeschiedenen, peripheren Lage herauskommen konnte.

Unter der Ägide des 1877 gewählten neuen Bürgermeisters Oskar Belian geriet Allenstein geradezu sprunghaft in ein völlig neues Stadium. Innerhalb weniger Jahre wurden ein staatliches Gymnasium und ein Landgericht errichtet, die Eisenbahnen nach Johannisburg, Wormditt, Mohrungen und Hohenstein fertiggestellt, das 1. ostpr. Jägerbataillon kam in Garnison, der Chausseebau nahm seinen Fortgang in allen Richtungen. Damit war ein bedeutender Verkehrsknoten bis zum Ende des 19. Jahrhunderts entstanden, der Verwaltungsmittelpunkt folgte danach. Die Stadt erhielt ein Eisenbahnbetriebsamt, das Postamt wurde zu einem solchen 1. Klasse heraufgestuft, die bestehende städtische Realschule wurde zu einer Oberrealschule und die höhere Töchterschule zu einem Lyzeum fortentwickelt, ein Regierungsbezirk mit Sitz in der Stadt wurde gebildet sowie schließlich die Garnison durch Infanterie- und Artillerie-Einheiten sowie Truppenstäbe bis hin zu einem Armee-Korps-Stab vergrößert. In jenen 25 Jahren mauserte sich das vormals kleine, unbedeutende Landstädtchen zur drittgrößten Stadt der Provinz. Allenstein hatte seine alten Mauern längst hinter sich gelassen und sich besonders nach Osten und Norden ausgedehnt. Teilweise sind diese Baulichkeiten aus der "Gründerzeit" auch heute noch, ansprechend renoviert, erhalten.

Die St.-Jacobi-Kirche reichte längst nicht mehr für die überwiegend katholischen Einwohner aus, nachdem im Laufe der Jahrhunderte zwei kleinere Kirchen Bränden zum Opfer gefallen und nicht mehr aufgebaut worden waren. Um dem Mangel abzuhelfen, konnten Anfang des 20. Jahrhunderts in den neuen Stadtteilen die Herz-Jesu- und Josephi-Kirche, dazu auch das Franzis-

kanerkloster erbaut werden, die sich vergrößernde evangelische Kirchengemeinde erhielt Ende des 19. Jahrhunderts eine kleine Pfarrkirche, 1915 bekam die evangelische Soldatengemeinde ihre Garnisonkirche, die jüdische Gemeinde baute sich, ihrer Größe entsprechend, schon 1877 eine Synagoge (die 1938 zerstört wurde).

Das Versailler Diktat hatte auch Auswirkungen auf die Stärke der Garnison, die erheblich reduziert werden mußte, aber nach Einführung der Wehrpflicht 1934 wieder verstärkt wurde, was auch neue Kasernenbauten notwendig machte. Damit war Allenstein, das während der Kriegszeit anstelle der aktiven Garnison Ersatz- und Ausbildungstruppenteile sowie Reservelazarette beherbergte, bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs größte Garnisonstadt in Ostdeutschland geworden.

Unter den Stadtvätern Belian, Zülch und Schiedat erfolgte die Weiterentwicklung der Infrastruktur mit dem Bau von Wohnungs-, Siedlungs-, Krankenhaus-, Volksschul- und Jugendherbergsbauten, der Einführung der Straßenbahn und der O(berleitungs)-Busse, der Modernisierung der Feuerwehr, dem Ausbau der städtischen Betriebwerke und vielem anderen mehr. Die Stadt war 1940 schließlich auf rund 50.000 Einwohner gewachsen.

Es gab vielfältige kulturelle Aktivitäten wie die erfolgreiche Gewerbeausstellung 1911, den Bau des "Treudank"-Landestheaters, an dessen Orchester sogar der später berühmt gewordene Günter Wand als Kapellmeister von 1934 bis 1938 tätig war, dessen Ensemble auch viele kleinere Städte in Südostpreußen bespielte und dessen Repertoire vom Schauspiel über die Operette bis zur Oper reichte. Es gab Dichterlesungen, Kunstausstellungen sowie in den 1930er Jahren steigenden Fremdenverkehr, der von der zauberhaften Wald- und Seenlandschaft besonders angezogen wurde.

Von Johannes von Leysen, dem Locator aus der Ordenszeit, und dem großen Astronomen Nicolaus Copernicus war schon die Rede. Er weilte zweimal als Administrator des Domkapitels längere Zeit im Schloß. - Lukas David wurde 1503 in Allenstein geboren. Zunächst als Kanzler des Bischofs Tiedemann Giese tätig, später als herzoglicher Hofrat zum Hofgericht in Königsberg berufen, wurde er über die Grenzen seiner Heimat durch seine "Preußische Chronik" bekannt. Er gilt als "moderner" Historiker, der Quellenforschung betrieb. Auch stiftete er für Allensteiner Studenten ein Stipendium an der Universität Leipzig. - Ebenfalls Allensteiner Kind war Dr. Knolleisen, zuletzt Domherr in Merseburg (1489) und Stifter einer Freistelle zur Erziehung eines armen Schülers aus Allenstein. Dr. Franz Hipler (1836-1898) geht in die Stadtgeschichte als fruchtbarer und bedeutender ermländischer Historiker ein. Einer der Ehrenbürger der Stadt war Karl Roensch (1859-1921), der sich mit Gründung einer Maschinenfabrik und anderen Aktivitäten große Verdienste erwarb. Der Name Max Worgitzki ist eng verbunden mit der Volksabstimmung 1920 und dem Bau des Treudank-Theaters, für dessen Bau er erhebliche Mittel einwerben konnte. Schließlich sei auch des Allensteiner Architekten Erich Mendelsohn gedacht, der durch den Einstein-Turm bei Potsdam und nach seiner Emigration in die USA als Professor für Architektur bekannt wurde. Seine Bauten lassen sich mit denen von Gropius, Mies van der Rohe und Le Corbusier durchaus vergleichen.

Die Reihe Allensteiner Wissenschaftler und Kulturschaffender läßt sich bis in die Gegenwart fortsetzen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien genannt Hedwig Bienkowski-Andersson, Marie Brückner, Walther Harich, Georg Hermanowski, Eva Maria Sirowatka, Ruth-Maria Wagner, Edith Wiedner, Irmgard Falken, Hermann Groß, Paul Kewitsch, Albert Lieven, Walther Schories, Hubert und Leo Schrade, Walther Schultz, Hans Steffen, Frieda Stromberg, Annemarie Suckow-von Heydendorff, Erich Trunz, Hansheinz Trunz, Ingrid Wagner-Andersson, Günter Wand sowie Erika-Maria Wiegand.

Die Zeit der deutschen Verwaltung endete fürs erste mit dem 22. Januar 1945, jenem frostkalten Tag, an dem die Rote Armee in die Stadt eindrang. Die Bevölkerung war weder gewarnt noch evakuiert worden. Eine nennenswerte Verteidigung hat nicht stattgefunden. Nicht allen gelang die Flucht. Eine unbeschreibliche Tragödie spielte sich ab, die Alexander Solschenizyn 1950 in seiner Dichtung "Ostdeutsche Nächte" geschildert hat.

Im Mai 1945 ging die Verwaltung an Polen über, die eine gebrandschatzte, entleerte Stadt übernahm. Im Laufe von Jahrzehnten stieg die Einwohner- zahl, neue Stadtteile, eine landwirtschaftliche Hochschule wie auch Verwaltungszentren und bescheidene Industriean- siedlungen entstanden, allein das kommunistische Regime tat sich insgesamt mit dem Wie- deraufbau in seiner ideologischen Befangenheit schwer. Erst nach 1989 fand eine deutliche Belebung statt, die sich nicht nur wirtschaftlich und kulturell, beispielsweise in der Gründung einer Universität, sondern auch im neuen Verhältnis zur deutschen Volksgruppe und den alten Allensteinern ausdrückte. Möge sich dieses in europäischem Geist zu aller Nutzen weiter fortentwickeln und die 650jährige Jubilarin zu neuer Blüte führen.

Kapitelschloß: Die bereits vor der Stadtgründung erbaute Burg mit ihrem unten quadratischen und oben runden Eckturm gehörte zu den festesten im Osten. Im Nordflügel residierte von 1516 bis 1519 und von 1521 bis 1524 der Landpropst Nicolaus Copernicus

Hohes Tor: Von der Stadtmauer mit ihren drei Toren sowie diversen Pforten und Türmen ist es allein erhalten geblieben
 
     
     
 
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