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Zu einem "Allerweltswort" sei der Begriff "Soziale Marktwirtschaft" geworden, stellte der frühere Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Thüringen sowie heutige Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung Dr. Bernhard Vogel fest, als die in der Frankfurter Paulskirche ihren diesjährigen "Preis Soziale Marktwirtschaft" an die Unternehmerin Dr. Sybill Storz aus den baden-württembergischen Tuttlingen als erste Frau verlieh. Sie leitet seit zehn Jahren erfolgreich das Unternehmen "Karl-Storz GmbH & Co KG" für technische Geräte der Endoskopie, das sie zu einem Weltmarktführer gemacht hat.
Vogel sagte, der Begriff "Soziale Marktwirtschaft" sei zwar jedermann bekannt, aber es sei mittlerweile vergessen worden, welche Inhalte diese Soziale Marktwirtschaft eigentlich habe, mit denen Ludwig Erhard den "dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus" gewiesen habe.
Als Festrednerin erklärte Bundesforschungsministerin Annette Schavan , Soziale Marktwirtschaft gründe auf Initiative, dem Gespür für Leistung, auf Eigenverantwortung und Wettbewerb. Sie sei vor allem verbunden damit, "gewinnen zu wollen", und nicht, sich "einzurichten", was bedeuten würde, den status quo zu erhalten. In der Konsequenz der Wohlstandsentwicklung einer Gesellschaft dürfe nicht durch Schaffung von immer mehr Rechtsansprüchen persönliche Leistung durch Handeln des Staates auf der Grundlage solcher Rechtsansprüche ersetzt werden. Der Bürger müsse dabei die Partnerschaft und Verläßlichkeit des Staates spüren, daß dieser ihm etwas zutraue.
Der von Bernhard Vogel angesprochene "dritte Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus" könnte zu der Interpretation verführen, daß die Soziale Marktwirtschaft so etwas wie die "goldene Mitte" zwischen zwei sich bekämpfenden Ideologien sei. Annette Schavans Aussage wiederum unterstellt, es gebe einen grundsätzlichen Gegensatz von Staat und Bürgern auch im demokratischen Staat. Vogel und Schavan haben mit ihren Aussagen gewiß wichtige Teilaspekte der Sozialen Marktwirtschaft angesprochen, aber nicht den grundsätzlichen Ausgangspunkt des Erhardschen Denkens und daraus wachsenden Handelns nach dem Zweiten Weltkrieg. Dieser aber liegt in den geschichtlich gewachsenen Unterschieden deutscher und anglo-amerikanischer Wirtschaftsentwicklung sowie dem daraus erwachsenden Denkansätzen. Erhards Soziale Marktwirtschaft hat ihre Wurzeln in der Jahrhunderte zurückreichenden konkreten Entwicklung des "deutschen Weges" im wirtschaftlichen Geschehen und der daraus resultierenden Volkswirtschaftslehre des 19. Jahrhunderts. Für diese waren soziale Verantwortung und Gerechtigkeit die leitenden theoretischen Grundlagen. Das Erfolgsrezept dieses "deutschen Weges" in der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg gründete wegen dieser historischen Erfahrungen in erster Linie auf Gemeinsamkeit und nicht auf individualistischer Selbstverwirklichung. Damit steht der "deutsche Weg" im Gegensatz zu der von Rationalismus und Materialismus, Angebots- und Nachfragekurven geprägten reinen Markt- und Tauschlehre anglo-amerikanischer Provenienz, von der die Munition für Klassenkämpfe aller Art geliefert wurde und bis heute wird. Die Überwindung dieses Klassenkampfes aber war für Ludwig Erhard ein moralisch-politisches Anliegen, weil es langfristig erfolgreiches Wirtschaftshandeln überhaupt erst möglich macht.
Erhards Soziale Marktwirtschaft gibt Antwort nicht nur auf die Probleme des Marktes und der Wirtschaftslenkung, sondern auch auf die Frage der sozialen Gerechtigkeit in einer freien Gesellschaft. Erhard hat dazu festgestellt, seine Soziale Marktwirtschaft sei keine Modifikation der Marktwirtschaft, sondern Ausfluß einer spezifischen, nicht nur ökonomischen Denkweise "... für den deutschen Wiederaufbau nach all dem schaurigen Erleben von Sterben und Morden und dazu auch noch des totalen materiellen und moralischen Zusammenbruchs von geradezu schicksalhafter Bedeutung", hat Erhard einmal bemerkt. Soziale Marktwirtschaft ist, so gesehen, nicht nur ein wirtschaftspolitischer Wegweiser, sondern hat eine gesamtpolitische Dimension, die im Patriotismus gründet und nicht übersehen werden darf. |
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