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Als Agnes Miegel am 26. Oktober 1964 - nur wenige Monate nach ihrem 85. Geburtstag - in einem Krankenhaus von Bad Salzuflen ihre Augen für immer schloß, trauerten nicht nur eine große Lesergemeinde, sondern auch viele Menschen, die diese große Dichterin auf ihrem Lebensweg begleiten durften. Besser noch als das karge Gerippe eines Lebenslaufes, als nüchterne Daten und Fakten zeigen die Stimmen der Freunde und Zeitgenosse n eines Menschen das wahre Erbe, das dieser hinterlassen hat. Wenn an dieser Stelle nun einige Persönlichkeiten zu Wort kommen, die Agnes Miegel noch selbst gekannt haben, so mag das dazu beitragen, das Lebensbild der "Mutter Ostdeutschland", wie die Dichterin verehrungsvoll schon zu Lebzeiten genannt wurde, anschaulich zu machen. Fritz Kudnig, der Dichter und Schriftsteller aus Königsberg und erster Träger der 1959 vom Tatenhausener Kreis gestifteten Agnes-Miegel-Plakette, schrieb über die Dichterin: "Sie besaß eine unbeschwerte Naivität, die brüderliche Liebe und Lebensinnigkeit aller wahrhaft großen Menschen und Künstler." Und Ina Seidel würdigte nach dem Tod der Freundin ihr Werk: "Agnes Miegel war so wenig eine ostdeutsche Heimatdichterin, wie Annette von Droste-Hülshoff eine westfälische. Beide sind als Dichterinnen im weitesten und höchsten Sinn zu betrachten, nicht allein was die schöpferische Imagination und die gestaltende Sprachgewalt betrifft, sondern auch im Hinblick auf eine seherische Gabe, die in der ihnen eigenen Form häufiger Frauen als Männern verliehen zu sein scheint, aber nur selten in Verbindung mit hochgradig dichterischer Veranlagung auftritt." Auch Paul Fechter verwies einmal auf die Beziehung zur Droste: "Das stimmt und stimmt nicht, wie alle Vergleiche. Sie hat die gleiche großartig gestaltende Kraft des dichterischen Menschen wie Annette, aber der dichterische Mensch in ihr ist Mensch des Ostens, das heißt des strömenden, ungebundenen, hinreißenden Gefühls gegenüber allem, was Leben heißt." Tochter Sabine Fechter erinnerte sich an eine Begegnung mit Agnes Miegel an einem heißen Sommertag 1957 in Berlin: "Unvergeßlich bleibt mir das Bild dieses sonnenheißen Mittags. Die Dichter wissen nicht nur das Grauen und den Spuk ebenso zu bannen, wie sie beides beschworen - auch das Bleibende stiften sie. Agnes Miegel jedenfalls besaß diese Gabe vor vielen." Der Schriftsteller Bernt von Heiseler sah die Bedeutung ihres Werkes eher im Sichtbarmachen des Alltäglichen: "Es war bei Agnes Miegel immer wieder dies: aus dem wachen menschlichen Tages-Erleben kam ihr der Zeigestab; aber es schien ein unsichtbarer Huldgeist des Landes zu sein, der ihn ihr zureichte und sie dazu anstiftete, auf die magischen Bildtafeln hinzudeuten, die unseren Lebensbereich umgeben und unter der Stabanrührung Sichtbarkeit und Farbe gewinnen. So lernten wir das Schlichte als Bedeutungsbereich, das Alltägliche als Geheimnis erkennen." Den Verehrern und Freunden Miegelscher Dichtkunst, die es auch heute, vier Jahrzehnte nach dem Tod der Dichterin, noch in großer Zahl gibt, hat die Schriftstellerin Gertrud von le Fort zweifellos aus dem Herzen gesprochen, als sie schrieb: "Von früher Jugend auf hat mich die Dichtung Agnes Miegels begleitet ... Sie wird lebenlang bei mir bleiben, denn sie altert nicht, sie wandelt sich nicht, sie stirbt nicht. Dem jeweiligen Zeitgeist nicht unterworfen, übersieht sie dessen wechselnde Forderungen ... Agnes Miegels Stimme ist gleicherweise der Zeitlichkeit wie der Ewigkeit verbunden ..." Elly Heuss-Knapp, die Gattin des späteren Bundespräsidenten Theodor Heuss, begegnete Agnes Miegel 1931 während einer Vortragsreise in Königsberg; es kam zu einem regen Austausch: "Diese Stunde bei Agnes Miegel, die mir bisher gar nicht viel bedeutete, gehört zu meinen allerschönsten Erlebnissen überhaupt ..." Zwei Jahre später war sie wieder in Ostdeutschland: "In Königsberg Vortragspublikum glänzend, sehr sympathische Frauen darunter. Ich stand ganz unter dem Eindruck von Agnes Miegels Gedichten, die seherisch sind. Ich kauf sie mir und bitte um Autogramm darein ..." Werner Müller war noch ein Kind, als sie Agnes Miegel zum ersten Mal begegnete. Als Schülerin erlebte sie schließlich eine Lesung der Dichterin: "Sie nahm uns, wie man Kinder an der Hand ergreift, und führte uns durch das Land unserer Kindheit. Sie sprach von Muscheln und Brunnen und Bernstein. Alles war so klar und bildhaft, als würfe sie eine Handvoll Sand in die Luft und finge ihn auf und ließe ihn zwischen den Fingern zerrinnen. Es war eine Sprache, die wir verstanden ..." In dem hektischen Literaturbetrieb unserer Tage wird über Wesen und Werk der Dichterin kaum noch gesprochen. Sie aber lebt weiter bei all denen, die sich den Sinn für das Unvergängliche bewahrt haben. Peter van Lohuizen
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