|
Es war ein zündender Aufruf, der am 17. März 1813 in Breslau erschien, unterschrieben von König Friedrich Wilhelm III. von Preußen. "An mein Volk" war er überschrieben und rief eben dieses Volk auf zum Widerstand gegen die napoleonische Besatzung der letzte Anstoß zu den Befreiungskriegen. Erst 27 Jahre später bekannte ein Ostpreuße, diesen Aufruf verfaßt zu haben: Theodor Gottlieb von Hippel.
Hippel? Theodor Gottlieb von
? Ja, das war doch
Halt: es gab im ostdeutschen Geistesleben zwei Persönlichkeiten, die diesen Namen trugen. Theodor Gottlieb von Hippel der Ältere, der Jurist, der Freund Kants und Hamanns, der Dichter und Stadtpräsident (Oberbürgermeister) von Königsberg, lebte von 1741 bis 1796; er zählt zu den rätselhaften Repräsentanten der deutschen Literat ur und gilt als Begründer der Todespoesie im modernen deutschen Roman. Sein Neffe gleichen Namens, Theodor Gottlieb von Hippel der Jüngere, schlug wie sein Onkel die juristische Laufbahn ein. Beiden Hippels ist eines gemeinsam: beide bekannten sich nur zögernd zu ihren schriftstellerischen Fähigkeiten. Auch Theodor Gottlieb der Ältere hielt sein schriftstellerisches Wirken lange geheim; so erfuhr man erst spät, wer wirklich Bücher wie "Über die Ehe" oder "Lebensläufe nach aufsteigender Linie" geschrieben hatte.
Dieser Tage nun jährt sich am 10. Juni zum 155. Mal der Todestag des jüngeren Hippel. Wer war dieser Mann? Wo lagen seine Wurzeln?
Das Licht der Welt erblickte Theodor Gottlieb von Hippel am 13. Dezember 1775 in Gerdauen als Sohn des Pfarrers Gotthard Friedrich und dessen Frau Henriette, geb. Stogler. Die Mutter des Knaben starb früh, so daß der Junge zunächst in der Obhut des Vaters aufwuchs. Der gab ihn auf die Burgschule nach Königsberg, wo sich der Onkel, der den Jungen 1786 offiziell adoptiert hatte, um ihn kümmerte. Mit eiserner Strenge wurde der Knabe von dem gewissenhaften Beamten erzogen. Immer wieder kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den beiden. Joseph Kohnen schildert in einer Biographie über den älteren Hippel (Verlag Nordostdeutsches Kulturwerk, Lüneburg, 1987) die Schwierigkeiten, die sich fast zwangsläufig ergaben: "Wenn Onkel und Neffe sich auch weiterhin mit großer Liebe begegneten, so begriff der einsame, kranke Bürokrat doch keineswegs den jugendlichen Schwärmersinn Theodor Gottliebs. Dies hatte zur Folge, daß der inzwischen selbst zum Juristen aufgestiegene Neffe krampfhaft versuchte, sich aus den Fesseln des pedantisch-gestrengen Mentors zu lösen. Er war immer häufiger abwesend, suchte neue Bekanntschaften und gedachte ein unabhängiges Leben aufzubauen."
"Schon 1792 hatten beide einen überaus peinlichen Streit, als der jugendliche Hitzkopf plötzlich auf den Gedanken kam, sich als Freiwilliger zu den preußischen Husaren zu melden, um am Rhein gegen die Franzosen zu kämpfen. Hippel, der um seine großgesteckten Pläne bangte, verbot dem Neffen kurzerhand diesen seiner Ansicht nach unbedachten Schritt. Als das Verbot nichts fruchtete, drohte er ihm mit einem ewigen Bruch, indem er sagte: ,Wer 15 Jahre hinter sich hat, muß seinen Lebensweg selbst wählen können. Du gehst den deinigen, ich den meinigen. Du vernichtest alle meine Pläne. Ich werde andere fassen. Wir sehen uns nie mehr wieder. Wenige Stunden später ließ er ihm durch einen Verwandten wiederholen, daß er ihm im Falle, daß er sich für die militärische Laufbahn entschiede, jedwede Unterstützung entzöge. Daraufhin setzte der Sohn Gotthards an der Albertina sein Studium fort. Das Zusammenleben wurde jedoch seither immer unerträglicher
"
"Im Juni 1795", so Kohnen, "haben sie sich endgültig getrennt. Als Theodor Gottlieb sich anschickte, seine erste Verwaltungsstelle als Justizreferendar in Westpreußen zu übernehmen, lud der Onkel ihn ein letztes Mal feierlich zum Essen. Nur schwer soll er damals seine Rührung zurückgehalten haben. Beim Abschied übergab er ihm
Briefe seiner Mutter. Er schloß ihn in seine Arme und legte ihm ans Herz, so zu werden, wie diese früh verstorbene Frau gewesen war. Dann segnete er ihn. Sie sollten sich nicht mehr wiedersehen."
Der Referendarzeit in Marienwerder folgten Jahre als Land- und Kreisjustizrat mit Sitz und Stimme in der Kriegs- und Domänenkammer. 1810 holte ihn Staatskanzler Hardenberg als Mitarbeiter; ein Jahr später wurde Theodor Gottlieb von Hippel Staatsrat. 1814 schied er aus dem Ministerium aus, wurde zunächst Vizepräsident und dann Chefpräsident der Regierung in Marienwerder. 1832 ging er für fünf Jahre als Regierungspräsident nach Oppeln und nahm dann seinen Abschied. Bis zu seinem Tod am 10. Juni 1843 lebte er in Bromberg.
Seine Güter, darunter auch das vom Onkel ererbte Gut Leistenau mit den dazugehörigen Besitzungen, mußte Hippel 1835 verkaufen, zu sehr hatten sie in der Franzosenzeit und danach gelitten. Auch die kostbare Gemäldesammlung und die umfangreiche Bibliothek aus dem Besitz des Onkels konnte er nicht mehr halten; sie gingen in das Eigentum des Staates über und wurden der Stadt Königsberg vermacht. Die Gemälde bildeten übrigens später einen beachtlichen Teil der Städtischen Kunstammlungen.
1786 hatte Theodor Gottlieb von Hippel in einem Landhaus in Arnau bei Königsberg einen fast gleichaltrigen Knaben kennengelernt, den zukünftigen Dichter, Komponisten und Juristen Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann, der seinen dritten Vornamen später aus Verehrung für Mozart in Amadeus umändern sollte. Zwischen den beiden entwickelt sich eine innige, wenn auch, durch die unterschiedlichen Charaktere bedingt, nicht immer ungetrübte Freundschaft, die sich nicht zuletzt durch den Briefwechsel, den beide miteinander führten, nachvollziehen läßt. Hippel übergab nach dem Tod des Freundes eine Auswahl von Jugendbriefen an den Hoffmann-Biographen Hitzig, der sie in seine Arbeit einfließen ließ. So haben auch diese Briefe das Bild, das wir heute von E.T.A. Hoffmann haben, entscheidend geprägt.
Wie eng die Freundschaft zwischen den beiden Männern war, kann man den Zeilen entnehmen, die Hippel 1822 schrieb: "Daß ich sein Freund gewesen, wie man es hienieden nur sein kann, fühle ich seit seinem Tode mehr denn je. Ohne oft mit ihm Briefe zu wechseln, war ich gewohnt, ihn mir nahe und unzertrennlich von mir zu denken, und von einer Zukunft zu träumen, die uns an einem gemeinschaftlichen Wohnort vereinigen sollte. Auch bei ihm war dieser Gedanke eine feste Einbildung geworden, deren Erfüllung der Tod nun hinausgeschoben hat."
Hoffmann, der Zweifler, der Grübler, ist kein einfacher Freund. Er sieht in Hippel den "Weltmann", in sich selbst eher "den eingezogenen Stubenhüter". So schreibt er 1795 an den Freund: "Du
wirst gewiß längst Rat sein, wenn ich noch als Auskultator
herumlaufe, und irgendwo Präsident, wenn ich irgendeine kleine Stelle von ein paar hundert Taler Gehalt erhasche. Doch das alles soll in unserer Freundschaft nichts ändern. Der Gedanke Dich so ganz zu kennen, daß ich davon überzeugt sein kann, ist äußerst wohltätig für meine ganze Stimmung!" Wenn auch Hoffmann zunächst mit seiner Prophezeiung recht behalten sollte, hat die Geschichte doch anders entschieden: der Name E.T.A. Hoffmann ist heute aus der Literaturgeschichte nicht wegzudenken Theodor Gottlieb von Hippel d. J. jedoch dürfte nur Eingeweihten bekannt sein. Schade! Peter van Lohuizen
|
|