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Eines Tages sah es so aus, als sollten die spitzen Zungen im Dorf recht behalten. Nun kommt es also doch zum Prozeß zwischen dem Steigner-Bauern und seinem Nachbarn, dem Brandner, wisperte man. Was wir schon immer gesagt haben: es geht um den Birnbaum!
Und was die Heirat zwischen Steigners Marie und dem Brandner Hans anbelangt - keine Rede mehr davon, jetzt, wo die Väter spinnefeind miteinander sind. Eine richtige Todfeindschaft soll es sein.
Und die spitzen Zungen hatten nicht einmal so ganz unrecht. Als der Steigner kürzlich einmal ins Wirtshaus gekommen ist und den Brandner dort hat sitzen sehen, ist er auf der Stelle wieder umgekehrt. Mit dem atme ich nicht dieselbe Luft, hat er gesagt. Und dabei grenzen ihre Höfe aneinander. Sie schlagen das Holz im selben Wald. Ihre Äcker und Wiesen sind nur durch einen schmalen Rain voneinander getrennt.
Das konnte doch nicht gutgehen! Zumal die beiden den gleichen Dickschädel haben. Keiner von ihnen würde freiwillig nachge- ben ...
Beim Brandner in der Küche herrscht drückendes Schweigen. Wortlos hantiert seine Frau am Herd herum. Der Bauer hat die Fäuste unters Kinn gestemmt und starrt mißmutig in die Zeitung, die aufgeschlagen vor ihm liegt.
Johann, sein Sohn, sitzt ihm am Tisch gegenüber. Er überlegt, wie er seinen Vater doch noch umstimmen könnte. Endlich scheint er den richtigen Weg gefunden zu haben. "Wie wär s, Vater", beginnt er zögernd, "wenn ich einmal ein vernünftiges Wort mit dem Steigner reden würde. Ich könnte doch vielleicht ..."
Der Bauer schlägt mit der Faust auf den Tisch. "Nichts wird mehr geredet!" bestimmt er laut. "Nachdem der Steigner im ganzen Dorf erklärt hat, daß er nicht mehr ins Wirtshaus geht, weil er mir dort begegnen könnte, ist es endgültig aus zwischen uns. - Morgen sehen wir uns noch einmal wieder - vor Gericht!"
"Aber die Marie sagt ..." Der Brandner unterbricht seinen Sohn mit einer schroffen Handbewegung und richtet sich zu voller Größe auf. "Was die Marie sagt, ist mir egal!" schreit er. "Schlag dir das Mädel aus dem Kopf. Es gibt keine Heirat zwischen euch beiden. Sie ist die Tochter eines Ehrabschneiders, eines ..., eines ..." Dem Brandner fällt nicht das richtige Wort ein. Er verstummt.
Die Bäuerin dreht sich am Herd um und sieht zu Jensen, dem Knecht, hinüber. Er hockt in der Ecke am Kachelofen und beschäftigt sich scheinbar teilnahmslos mit seiner erloschenen Pfeife. Dann sagt die Bäuerin zu ihrem Mann: "Richtige Kindsköpfe seid ihr, der Steigner und du. Einen Prozeß anfangen wegen eines Birnbaums. Es ist zum Lachen ..."
Aber damit kommt sie beim Brandner gerade recht an. "Da gibt s nichts zu lachen", begehrt er auf. "Wer hat denn mit dem Streit angefangen? Ich etwa? - Der Steigner war s. Der Birnbaum steht auf meinem Grund. Das soll mir das Gericht bestätigen ..."
"Auf meinem Grundstück steht der Birnbaum!" behauptet zur selben Zeit laut und vernehmlich der Steigner-Bauer, während er mit schweren Schritten in der Stube auf und ab geht.
Seine Tochter Marie sitzt am Fenster und schweigt. Sie weiß, daß ihr Vater keinen Einwand gelten läßt. Dann aber wagt sie doch noch einen Versuch. "Der Birnbaum steht doch mitten im Zaun, der unser Grundstück von Brandners Garten trennt. Ich glaube ..."
"Was du schon glaubst", fährt der Bauer dazwischen. "Es geht hier ums Recht!"
Marie sieht ihren Vater ratlos an. "Aber was soll denn nun aus dem Hans und mir werden? - Wir sind doch einander versprochen ..."
"Die Verlobung wird aufgelöst", entscheidet der Steigner kategorisch.
"Mit dem Brandner und seiner Familie will ich nichts mehr zu tun haben ..." Damit läßt er nicht den geringsten Zweifel daran, daß es keine Versöhnung mit seinem Nachbarn gibt!
Auch der alte Jensen hat längst den Ernst der Lage erkannt. Er weiß, daß der Brandner genauso starrköpfig ist wie der Steigner. Nachdenklich klopft der Knecht seine Pfeife aus und verläßt die Küche. Auf dem Hof bleibt er stehen. Sein Blick geht zum Zaun hinüber. Dort reckt sich der Birnbaum hoch. Mitten ins Gehege ist er hineingewachsen.
Jensen erinnert sich noch genau daran, daß die ersten Früchte unbeachtet verdorrten. Dann jedoch, als die Zweige des jungen Baumes voller und dichter geworden waren, hatte der Steigner die Birnen gepflückt. Eigentlich waren sie nicht viel wert: doch den Brandner ließ es nicht ruhen.
Im nächsten Jahr erntete er die Birnen heimlich nachts vom Baum. Seitdem lagen die Nachbarn in jedem Herbst auf der Lauer. Sah es anfangs noch wie ein harmloser Wettstreit aus, so kam es doch im Laufe der Zeit zu immer heftigeren Zwistigkeiten. Je höher der Baum wuchs, um so mehr vertiefte sich der Groll der beiden Widersacher aufeinander. Selbst die anfängliche Zustimmung zur Heirat von Marie und Hans sollte nicht mehr gelten. Und an allem war der Birnbaum schuld ...
Nachdenklich schaut Jensen zum Abendhimmel hinauf, an dem sich düstere Wolken zusammenballen. Über dem Horizont zuckt Wetterleuchten. Nachts wird ein schweres Gewitter losbrechen.
Jensen denkt daran, daß es morgen zum Prozeß kommen soll - wegen des Birnbaums. Er lächelt verschmitzt, denn er hat im selben Moment einen ganz ausgezeichneten Einfall.
Ohne zu zögern, geht der alte Knecht in den Geräteschuppen und sucht unter Schaufeln und Hacke nach einem geeigneten Werkzeug ...
Stunden später tobt das nächtliche Unwetter mit einem Hagelsturm übers Land. Ziegel splittern vom Dach herab. Was nicht fest im Erdreich verwurzelt ist, wird aus dem Boden gerissen und fortgeweht.
Als der Steigner beim ersten Morgenlicht aus der Tür tritt und sich umsieht, glaubt er, seinen Augen nicht zu trauen. Im Garten liegt der umstrittene Birnbaum, entwurzelt, zerspellt!
Auch der Brandner, der gähnend aus dem Haus kommt, bleibt fassungslos stehen. An der Stelle, wo bisher die Ursache ihrer Zwistigkeiten stand, klafft ein Loch im aufgewühlten Boden. Davor ragen anstatt der Äste nur noch die Wurzeln des Birnbaums in die Luft. Die beiden Streithähne sehen sich an, schütteln fassungslos den Kopf. Dann lächeln sie verlegen und gehen aufeinander zu. Am Zaun treffen sie sich.
Als erster streckt Brandner die Hand aus. "Erledigt!" knurrt er. Der Steigner nickt und schlägt ein. "Starke Wurzeln hat er gehabt, der Birnbaum", meint er anerkennend. "Ein Wunder, daß der Sturm ihn trotzdem umgerissen hat ..." "Ja - verflixt starke Wurzeln hatte er", bestätigt Brandner. Dasselbe denkt auch Jensen, der in diesem Moment über den Hof geht. Eine harte Arbeit ist es gewesen, den fest verankerten Birnbaum noch vor Anbruch des Unwetters aus dem Boden zu lösen. Unbemerkt stellt Jensen Schaufel und Hacke wieder in den Geräteschuppen zurück und zündet schmunzelnd seine Pfeife an ...
Gerhard Hahn: Rastenburg mit Blick auf die Georgskirche (Öl, 2000) |
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