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Erlebnisse eines Regentropfens

 
     
 
Im Hufengymnasium zu Königsberg hatten wir großartige Lehrer wie den Dichter Ernst Wiechert, den Zeichen- und Kunstlehrer Handschuk, den Gesangslehrer Hugo Hartung, der mit dem Schulchor Oratorien in der Stadthalle aufführte. Nicht zu vergessen den Direktor Postelmann, der im Sommer in kurzen Hosen zum Unterricht erschien. Es gab aber auch einen Studienrat, der mich nicht leiden konnte. Diese "Liebe" beruhte auf Gegenseitigkeit.

Einmal gab er u
ns einen Hausaufsatz auf mit dem Titel "Die Erlebnisse eines Regentropfens". Er stellte uns frei, diese Geschichte in Prosa oder Poesie zu schreiben. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen, denn ich war in dem Alter, in dem ich zu dichten anfing. Wir hatten einen ganzen Monat Zeit für diese Aufgabe, und ich dichtete dreißig vierzeilige Strophen nach dem Prinzip "Reim dich, oder ich schlag dich". Nach 30 Tagen lieferte ich mein Werk ab und wartete mit Spannung auf das Resultat. Es kam, und zu meiner Überraschung stand darunter mit roter Tinte "Sehr gut, wenn selbständig".

Ich war empört und drauf und dran, dem Studienrat zu sagen: "Meine Eltern sind nicht imstande, einen solchen Mist zu fabrizieren." Meine Kameraden aber rieten mir ab: "Nachdem der Studienrat die Arbeit mit ,sehr gut zensiert hat, wäre das Wort ,Mist eine Beleidigung", und ich könnte dafür aus der Schule fliegen. Das wollte ich nicht riskieren.

Zum Glück ist das Gedicht nicht mehr vorhanden, und es bleibt der Nachwelt erspart, es zu lesen. - Der Studienrat, will ich hoffen, ruht in Frieden.
 
     
     
 
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