|
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) hat wieder einen Beweis seiner Gesinnungstüchtigkeit geliefert. Er gab der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit auf den Weg, bei ihrem jetzt stattfindenden Besuch in Washington müsse sie das Thema des „völlig inakzeptablen Gefangenenlagers Guantanamo … offensiv und direkt ansprechen“. Kritiker wenden ein, solche wohlfeilen Ratschläge in bezug auf die Menschenrechtslage in Tschetschenien habe Thierse in seiner früheren Eigenschaft als Bundestagspräsident seinem Parteifreund und Kanzler Gerhard Schröder nicht mit auf den Weg gegeben. Abgesehen von der juristischen und moralischen Fragwürdigkeit des amerikanischen Vorgehens in diesem „Kriegsgefangenenlager“ läßt sich feststellen, daß mit anti-amerikanischen Äußerungen mittlerweile ein breiter Konsens in Deutschland und auch im übrigen westlichen Europa erzielt werden kann; ganz egal, ob es sich um eine Diskussion auf einem Kongreß, ein Gespräch auf der Straße oder während einer Party handelt.
In der aktuellen Ausgabe der Monatszeitschrift „Die Politische Meinung“ bringt Heinrich Kreft, Diplomat im Planungsstab des Auswärtigen Amtes und vormals Leiter des Wirtschaftsdienstes der deutschen Botschaft in Washington, erschreckende Zahlen. Kreft verweist auf die jüngsten Ergebnisse einer Studie des renommierten amerikanischen Meinungsforschungsinstituts PEW über das Ansehen der Vereinigten Staaten in der Welt. „Besorgniserregend ist besonders der ausgeprägte Anti-Amerikanismus unter Europas jungen Erwachsenen“, so Kreft.
Anti-Amerikanismus konnte sich in Deutschland immer einer recht großen Beliebtheit bei der politischen Linken und Rechten erfreuen. Doch inzwischen ist er in der Mitte der Gesellschaft angekommen. 2005 haben 64 Prozent der jungen Deutschen eine negative Meinung von den USA. Die jungen Menschen sind mit amerikanischer Kultur und Lebensweise aufgewachsen. Sie gucken MTV, begeistern sich für amerikanische Popstars, bevölkern Fast-Food-Ketten, lernen Englisch und fahren im Schüleraustausch gern in die Vereinigten Staaten. Dies alles ändert nichts daran, daß die Altersgruppe der 18- bis 29jährigen in Deutschland wie auch in Frankreich, Spanien und den Niederlanden die negativste Einstellung aller Altersgruppen gegenüber den USA hegt.
Nur in Großbritannien, so der Autor, sei die 68er-Generation, deren USA-Bild von Vietnam und Watergate geprägt worden sei, noch immer die US-kritischste Gruppe. Während Präsident Bush sozusagen die „Projektionsfigur für den Anti-Amerikanismus vieler junger Deutscher und Europäer“ darstellt, ist auch ein starker Anstieg der Antipathie gegenüber Amerikanern allgemein festzustellen.
„Wie von einigen Transatlantikern bereits frühzeitig befürchtet, hat sich die anfängliche Anti-Bush-Stimmung in der deutschen und weiten Teilen der europäischen Bevölkerung gerade unter der jüngeren Bevölkerung inzwischen zu einem allgemeinen Anti-Amerikanismus entwickelt“, schreibt der Verfasser. |
|