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Vor mir liegt das Wehrmachtsmerkbuch von 1945, das meiner Mutter, Martha Schulz, geb Kolberg, geboren am 21. Februar 1907 in Pettelkau, gehört. Sie wohnte seit März 1945 in Schwallingen, wohin sie nach der Flucht aus Ostdeutschland verschlagen wurde. Seit Mai 199 wohnt sie nun im Alten- und Pflegeheim "Der Tannenhof" in Schneverdingen in de Lüneburger Heide.
Im Wehrmachtsmerkbuch von 1945 beginnen die Eintragungen am 5. Februar 1945 Fliegeralarm. Vor unserem Haus, wir wohnten am Rande der Stadt Braunsberg in de Angerstraße Nr. 17, fällt eine Bombe. Die meisten der acht Familien befinden sich wi ich im Keller. Ich, Gerhard Schulz, war zu diesem Zeitpunkt zwölf Jahre alt. Nach zwe Tagen ist der Fliegerangriff vorbei, aber jetzt hatte auch bei uns der Krieg begonnen. Wi hatten kein Wasser mehr im Haus und so haben wir von dem zwischen der Kreuzkirche und de Kussallee hinter dem Lehmberg liegenden Bauernhof aus einer Schwengelpumpe Wasser geholt Wir Jungen aus dem Haus, mein Bruder Franz, die Kolberg-Jungen und ich, waren dann vie unterwegs, vor allem um Lebensmittel zu besorgen. Nach dem Fliegerangriff hatten wir vie zu essen, z. B. schwarzes Körnerbrot aus Dosen und Schokolade in Dosen, Fliegerschokolad haben sie die Erwachsenen genannt. Der Sportplatz an der SA-Straße war voll vo Flüchtlingen mit Fuhrwerken, Kühen und Pferde n. Wir Kinder haben viel Milch geholt. Die Schweine wurden von den deutschen Soldaten geschlachtet, in einer Bäckerei in der Näh der Hindenburgstraße wurde Brot gebacken. Wir Kinder haben alles ohne Lebensmittelkarte erhalten. Auf unseren Streifzügen haben wir auch nackte tote Menschen gesehen, die au Pferdeschlitten zum Friedhof gebracht und dort in ein großes Loch geworfen wurden. Die deutschen Soldaten haben uns jedesmal verjagt, aber wir haben uns immer wiede herangeschlichen. Auch viele tote Pferde wurden in die Lehmkuhle am Pulverschuppe hineingeworfen. Am Ufer der Passarge, zwischen dem Hafen und der Brauere Bergschlößchen, in der mein Opa Franz Schulz Kellermeister war, hat die Post Briefe un Schriftstücke verbrannt. Das Feuer war ausgegangen und wir Kinder haben die Brief aufgemacht. Wir haben darin Geld und Bilder gefunden. In der Scheune in der Angerstraß war der Volkssturm untergebracht. Hier haben wir aus der Gulaschkanone immer Esse bekommen. Als der Volkssturm die Scheune verlassen hat, haben sie viel liegenlassen Zusammen mit meinem Bruder Franz habe ich dort einen ganzen Koffer voll Geld gefunden.
Meine Mutter hat nach dem Fliegerangriff die Koffer gepackt und viele Dinge in unsere Holz- und Kohleschuppen vergraben, sie wußte wohl schon, daß wir Braunsberg verlasse mußten. Und so war es auch: am 11. Februar 1945 wurden wir von der SA gegen 16.00 Uh aufgefordert, frühmorgens am nächsten Tag Braunsberg über das Frische Haff zu verlassen. Meine Mutter hatte zum Glück alles schon gepackt. Jeder hatte einen Torniste oder einen Rucksack, ich hatte sogar zwei Tornister, einen hinten auf dem Rücken un einen vorne auf der Brust. In den Tornistern waren nur Lebensmittel, vorn 10 Pfund Zucker Jedes meiner Geschwister hatte die Reichskleiderkarte und die Lebensmittelkarte, seine Rosenkranz, ein paar Geldscheine, einige Bilder und den Impfausweis bei sich. Ich besitz diese Dinge heute noch. Wir hatten auch einen kleinen Sprossenhandwagen, darauf kamen zwe Koffer voller Lebensmittel. Wir hatten viel gesammelt und es war auf einmal genug da, abe zu trinken hatten wir nichts. Das sollte noch schlimm werden.
Am 12. Februar 1945 um 5.00 Uhr früh haben wir mit mehreren Familien unsere Wohnung in der Angerstraße Nr. 17 in Braunsberg (Ostdeutschland) verlassen. Meine Mutter Martha Schul flüchtete mit vier ihrer fünf Kinder: Irmgard, Franz, Gerhard und Erika. Unser Vater wa irgendwo in Rußland und meine älteste Schwester Luzia war schon mit ihrer Herrschaft wie Mutter immer sagte, noch mit dem Zug aus Braunsberg hinausgekommen. Wir haben sie in Dezember 1945 wiedergefunden.
Meine Schwester Irmgard war zu dieser Zeit auch bereits in der Lehre, und zwar bei de Firma Harry Piehl im Sägewerk, Seydlitzstraße, in der Nähe des Obertor-Bahnhofs. Wi drei jüngeren Geschwister gingen noch zur Schule, mein Bruder Franz und ich in die Hindenburgschule, meine Schwester Erika in eine katholische Mädchenschule, die Adolf-Hitler-Schule.
Das erste Ziel unserer Flucht war Alt-Passarge auf der anderen Seite der Passarge. War angezogen, es war noch eisiger Winter, mein Bruder und ich hatten Komißstiefel an, ginge wir los. Meine Mutter und meine Schwester Irmgard zogen den Handkarren. Wir gingen die Angerstraße und dann die SA-Straße an der Zigarrenfabrik entlang. Dort lag ein tote SA-Mann, neben sich ein Schild. Meine Mutter sagte: Jetzt erschießen sich die Deutsche schon gegenseitig. Es ging weiter durch einen kleinen Park, weiter über die Holzbrück und dann immer an der Passarge entlang. In Alt-Passarge angekommen, mußten wir unsere Handwagen stehen lassen, eine Deichsel war gebrochen. Nun hatten meine Mutter und mein Schwester noch mehr zu schleppen. Später haben wir einen alten Mann in Stutthof gesehen der sich unseren zurückgelassenen Handkarren wieder fertig gemacht hatte. In Alt-Passarg war alles voller verwundeter Soldaten, Flüchtlinge und Fuhrwerke, es war ein furchtbare Durcheinander. Unsere Flucht ging von da an weiter über das Eis des zugefrorenen Frische Haffs. Wir sind zu Fuß immer ganz gut vorangekommen, die Fuhrwerke dagegen häufig nicht da sie sich nicht an die vorgegebenen Markierungen gehalten haben. Die deutschen Soldate hatten für die Fuhrwerke eine Fahrstrecke markiert, auf der die Wagen in einem Abstan von 50 bis 100 Metern fahren sollten. Viele der Fuhrwerke, die außerhalb diese Markierungen gefahren sind, sind mit Pferd und Wagen eingebrochen.
Mitten im Haff taucht vor uns eine Wasserrinne auf. Deutsche Soldaten bauten an eine Holzbrücke, sie waren schon fast fertig und wir konnten auf die andere Seite hinüber Wir erfuhren, daß ein Eisbrecher diese Rinne ins Eis gebrochen hatte.
Drei Flüchtlingstrecks fuhren über das Frische Haff: von Heiligenbeil, vo Alt-Passarge und von Frauenburg, alle zur Frischen Nehrung. Am Abend des 12. Februar 194 hatten wir die Frische Nehrung in Neukrug erreicht. Deutsche Soldaten haben für uns eine Sandbunker frei gemacht, sie müßten weiter, haben sie gesagt. Den Bunker, der mit vie Stroh ausgestattet war, haben wir uns mit drei Familien geteilt. Wir waren zirka 1 Personen. Es war ein ruhiger Tag, an dem es keine Fliegerangriffe gegeben hatte.
Am 13. Februar früh morgens ging es weiter die Nehrung entlang. Eine Wehrmachtskolonn mit Pferd und Wagen hat Flüchtlinge mitgenommen, auch meine Schwester Irmgard mit unsere zwei großen Lebensmittelkoffern. Lebensmittel hatten wir zu der Zeit noch genug, blo mit dem Trinken war es schlecht. Wir haben deshalb Schnee zu uns genommen. Mutter hatt grüne Tropfen mit und so haben wir immer grüne Tropfen mit Zucker bekommen. Weil die Wehrmachtskolonne immer wieder zum Stehen kam, sind meine Mutter und wir drei Kinder zu Fuß vorangelaufen, so daß wir am frühen Nachmittag in Kahlberg waren. Wo aber war mein Schwester Irmgard mit der Wehrmachtskolonne? Alle hatten sie Angst, denn es wurde bereit dunkel, und dann kamen sie endlich. Wir haben dann in einem Hotel in der Eingangshalle au der Treppe übernachtet.
Am 14. Februar früh morgens sind wir dann wieder zu Fuß weiter die Frische Nehrun entlang. Mutter wurde es schlecht, sie konnte nicht mehr weiter, und wir Kinder standen u sie herum. Soldaten gaben ihr Knäckebrot, und nach einer Weile ging es ihr dann wiede besser und wir konnten weiter. Wir hatten am Vortag Kaninchenfleisch, das wir noch in Koffer hatten, gegessen, alles eiskalt. Abends waren wir in Schellmühl, wo wir in de Kirche übernachtet haben. Es wurde ein Kind geboren, die Leute suchten einen Arzt.
Am 15. Februar wieder weiter, immer zu Fuß. Wir hatten viel Glück, die ganze Zei keine Tiefflieger. Wir kamen durch die Dörfer Neue Welt und Vogelsang, am Nachmitta waren wir dann in Stutthof. Wir wurden in große Hallen geleitet, die mit viel Stro ausgelegt waren. Es soll sich um ein ehemaliges KZ gehandelt haben. Hier haben wir dan übernachtet.
Am 16. Februar, wir hatten nicht mehr zu essen, haben wir Kinder etwas zu esse gesucht. Am Tor des Lagers gab es ein Pförtnerhaus, wo Brot verteilt wurde. Es gab pr Person ein halbes Komißbrot. Es wurde aus dem Fenster herausgereicht und wir mußten die Arme hochstrecken, damit wir es fassen konnten, und so sind wir öfters vorbeigegangen Wir haben Stutthof an diesem Tag um 13.00 Uhr mit einem Kohlefrachter verlassen, es ga keine Toiletten und das Schiff war total überfüllt, es war schlimm.
Am 17. Februar um 4.00 Uhr morgens waren wir in Danzig. Zunächst wurden wir in ei Kino gebracht, dann um 9.00 Uhr wurden wir von der SA in Baracken geführt. Am Nachmitta kamen die Leute der SA zurück und brachten uns etwas zu essen. Es war viel und gut. Wi blieben dann bis zum 21. Februar 1945 in diesen Baracken. Mutter hatte am 21. Februa Geburtstag, sie wurde 38 Jahre alt. Mutter hatte etwas gebacken, ich weiß aber nich mehr, was es war. An diesem Tag kam die SA und teilte uns mit, daß wir abends um 18.0 Uhr Danzig mit dem Zug verlassen müßten. Um 21.00 Uhr waren wir dann in Stolp, auch hie war wieder alles überfüllt.
Am 22. Februar waren wir dann um 4.30 Uhr auf dem Bahnhof in Groß Pychow. Von hie ging es mit einem Fuhrwerk weiter nach Schmenzin, Pommern, Kreis Belgard. Hier wurden wi in dem Haus eines Sägewerksbesitzers untergebracht, sein Name war August Altenberg. E war eine schöne Villa, die von den Besitzern bereits verlassen war. Die Soldaten habe geschlachtet, so daß wir reichlich zu essen hatten. Dann hieß es, die Russen kommen. A 27. Februar brachten uns deutsche Soldaten dann um 12.30 Uhr von Schmenzin mit de Fuhrwerk zum Bahnhof nach Groß Pychow. Um 14.30 Uhr kamen wir an, um 17.00 fuhren wir vo Groß Pychow bereits weiter.
Am 28. Februar waren wir um 5.30 Uhr in Stargard, am 1. März um 11.00 Uhr in Güstrow Abends um 20.00 Uhr ging es weiter. Wir sind die ganze Nacht durchgefahren. Am Morgen de 2. März waren wir wieder in Güstrow. Von hier erneuter Aufbruch mit einem Güterzug au offenen Waggons. Unterwegs hielt der Zug auf offener Strecke, außer Wiese und Wald wa nichts zu sehen. Viele Menschen kletterten von den Waggons zum Austreten. Da wir nichts zu trinken hatten, sind viele zur Lokomotive gelaufen, um Wasser zu holen. Das Wasser, wa der Lokomotivführen uns gegeben hat, war warm und schmeckte scheußlich. Dann fuhr de Zug wieder an. Alle Leute liefen zurück, viele sind aber nicht mehr mitgekommen. Die Menschen haben geschrien, aber der Zug hat nicht mehr angehalten. Wir sind an Lallendor und Bad Kleinen vorbeigefahren. Um 14.30 Uhr haben wir Schwerin erreicht. Dort mußten wi in Viehwaggons umsteigen.
Am 3. März waren wir dann morgens in Soltau. Wir wurden mit Fuhrwerken abgeholt und in der Lüneburger Heide verteilt. Unsere Familie kam nach Schwallingen, zuerst zu de Familie Möhrmann, am selben Tag sind wir dann noch zur Familie Lünzmann umgezogen. Mein älteste Schwester Luzia haben wir dann am 19. Dezember 1945 wiedergesehen. Unseren Vate haben wir erst nach fünf Jahren wiedergesehen. Er ist in der DDR geblieben |
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