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Als der SPD-Politiker Johannes Rau vor knapp viereinhalb Jahren seinen Amtseid als Bundespräsident ablegte, bekräftigte er die Verpflichtung, seine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen und Schaden von ihm zu wenden, mit den Worten "So wahr mir Gott helfe". Viele seiner Parteifreunde (und erst recht deren grüne Koalitionspartner) verzichten inzwischen, wenn sie zu Ministerwürden kommen, auf diese religiöse Eidesformel. Und auch unser Staatsoberhaupt, weiten Teilen der Bevölkerung als "Bruder Johannes" bekannt, scheint nicht mehr allzuviel von Gottes Hilfe zu halten, zumindest nicht im öffentlich-staatlichen Leben.
So dürften gläubige Christen etwas irritiert gewesen sein, als sie kurz vor Jahresschluß im ZDF-Interview hörten, was der Bundespräsident zum Thema "Kopftuchstreit" zu sagen hatte. Originalton Rau: "Wenn das Kopftuch als Glaubensbekenntnis, als missionarische Textilie, gilt, dann muß das genauso gelten für die Mönchskutte, für den Kruzifixus." Und weiter: "Ich bin für Freiheitlichkeit, aber ich bin gleichzeitig für Gleichbehandlung aller Religionen. Die öffentliche Schule muß für jeden zumutbar sein, ob er Christ, Heide, Agnostiker, Muslim oder Jude ist. Und es darf nicht durch religiöse Symbole, die der Lehrer mit sich trägt, ein gewisser Vorrang oder Vormachtstellung gesucht werden."
Irritiert zeigte sich an dieser Stelle auch ZDF-Interviewer Peter Hahne und warf ein, es könne doch niemand leugnen, "daß wir in Deutschland aus christlichen Wurzeln leben und nicht aus islamischen".
Nun ließ Rau sozusagen die Kat-ze aus dem Sack: "Wir beide ja. Aber es gibt inzwischen 3,2 Millionen Menschen in Deutschland, die nach islamischen Wurzeln leben. Sie leben unter uns und sie sind damit nicht Bürger zweiter Klasse. Und deshalb müssen wir das, was der Islam an Glaubenskraft hat, auch anerkennen."
Mit solchen Aussagen geht der Bundespräsident deutlich über das altbewährte preußische "Ein jeder möge nach seiner Facon selig werden" hinaus. Was Rau hier predigt, ist nicht Toleranz und Religionsfreiheit, sondern die religiöse Überhöhung des Traums von der multikulturellen Gesellschaft.
Und was soll das heißen: "Die öffentliche Schule muß jedem zumutbar sein"? Wenn in einem Klassenzimmer ein Kruzifix an der Wand hängt oder wenn ein Ordensbruder zum Religionsunterricht in seiner Amtstracht, der Mönchskutte, erscheint - was ist daran "unzumutbar"? Das Kruzifix ist das Symbol der Liebe Gottes, der - so die gemeinsame Grundüberzeugung aller christlichen Konfessionen - seinen eigenen Sohn opferte, um die Menschen zu retten. Die Mönchskutte gilt als Symbol des selbstlosen Dienstes an Gott und den Menschen. Beides wird man, zumal in einem seit Jahrhunderten christlich geprägten Lande, wohl jedem "zumuten" können, der einer anderen (oder gar keiner) Religion angehört.
Hingegen ist das Kopftuch nicht einfach ein harmloses religiöses Symbol. So wie es heute im öffentlichen Meinungsstreit eingesetzt wird, ist es das Symbol einer politischen Ideologie, die in Kernpunkten nicht mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu vereinbaren ist. Man erinnere sich nur, welche radikal-islamistischen Organisationen sich an der Finanzierung des jüngst abgeschlossenen Verfassungsgerichtsverfahrens in Sachen Kopftuch beteiligt hatten!
Von einer "Gleichbehandlung aller Religionen" kann in diesem Zusammenhang also keine Rede sein. Sie läßt sich auch nicht aus dem Grundgesetz ableiten. Zwar wird in Artikel 4, Abs. 1 die Freiheit des Glaubens und des religiösen Bekenntnisses garantiert und in Abs. 2 "die ungestörte Religionsausübung ... gewährleistet". Zuvor aber heißt es im ersten Satz der Präambel unmißverständlich: "Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen". Und damit ist eben nicht Allah gemeint oder Buddha oder wer auch immer, sondern eindeutig der eine Gott des Christentums (der übrigens der Gott des Neuen und des Alten Testaments ist). Streng genommen steht die Forderung des Bundespräsidenten nach "Gleichbehandlung aller Religionen" also im Widerspruch zu jenem Grundgesetz, dessen strikte Einhaltung er bei jedem neuen Gesetz zu prüfen hat.
Es gibt noch einen weiteren Aspekt, den der Bundespräsident leider nicht beachtet hat: Toleranz darf keine "Einbahnstraße" sein. Wie sieht es denn in den wichtigsten Herkunftsländern jener 3,2 Millionen in Deutschland lebenden Muslims aus mit der Religionsfreiheit? Sollte man nicht, statt über die "Zumutbarkeit" der Symbole christlicher Gottes- und Nächstenliebe zu theoretisieren, deutlicher anprangern, daß in vielen islamischen Ländern die sogenannten Ungläubigen in der Tat als "Bürger zweiter Klasse" behandelt werden und, wenn sie ihre Religion ausüben wollen, mit einem Bein im Gefängnis stehen - und nicht selten sogar mit beiden? Hier hätten wir zum neuen Jahr gern ein klares Wort von unserem Bundespräsidenten gehört. |
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