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Gedanken zu einem Geburtstag

 
     
 
Laß doch einfach alles in bunter Schrift drucken", schlug mein Sohn vor, als ich erzählte, etwas über Pfingsten schreiben zu wollen, was dann auch gelesen werden möchte. Wir lachten, und damit war die Sache abgetan. Hängen blieb bei mir das Wort "bunt". Paßten das Wort und der Tatbestand der Buntheit nicht ganz gut zu dem Fest? Könnte es nicht so etwas wie ein Schlüssel sein, mit dessen Hilfe man dies Fest noch einmal auf-, erschließen könnte? Pfingsten steht im Schatten von Ostern und Weihnachten. Es gibt keine materiellen Geschenke (außer Konfirmationsgeschenke vielleicht), und wer kennt schon genau die dazugehörige Geschichte? Neulich als ein lokaler Fernsehsender in Berlin am Ostersonntag eine Umfrage unter Passanten machte und sie nach dem Grund von Ostern fragte, hatten die meisten die größten Schwierigkeiten, diese Frage zu beantworten. Was würden sie da erst zu Pfingsten sagen? Christen erzählen von der Ausschüttung des Heiligen Geistes und feiern dieses Fest als Geburtstag der Kirche. Aber ist es nicht ziemlich kompliziert, diesen Sachverhalt in unsere Sprache und in unser Denken zu übersetzen? Und warum soll man den Geburtstag der alten Dame Kirche feiern und ihr gratulieren, wo man sie doch sonst das ganze Jahr kaum besucht? Da fährt man lieber gleich der freien Tage wegen ins Freie. Dort ist es um diese Jahreszeit meistens schön bunt, weil vieles schon blüht. Endlich kann man die neue Sommerkleidung beim Pfingstausflug ausführen und be-wundern lassen. Das Bunte meint man anderswo als in der Kirche zu finden.

Bunt mag es zugegangen sein, damals vor 2000 Jahren in Jerusalem. Das Wochenfest wurde gefeiert, 50 Tage nach dem Passahfest. Ursprünglich war das ein Erntefest, aber immer mehr war es zu einem Fest der Erinnerung an das Geschehen am Berg Sinai geworden. Gott hatte einen Bund mit seinem Volk geschlossen und es begleitet, behütet und beschützt durch alle Gefährlichkeiten hindurch und trotz aller Treuebrüche dieses Volkes. Das alles war Grund zum Feiern, und wenn zu einem Fest auch die Vorbereitung eines guten Essens samt dazugehörigen Getränken, das Säubern, Waschen, Einkaufen gehören, dazu Musik und Spiel, dann kann man sich die Buntheit in Jerusalems Straßen gut vorstellen. Dazu noch war die Stadt voller Pilger, die aus allen Himmelsrichtungen kamen, und das Stimmen- und Sprachengewirr auf den Gassen war gewiß beeindruckend.

Vielleicht kamen sich da die wenigen Anhänger Jesu wie graue Mäuse vor. Ich stelle mir vor, wie sie zu Hause saßen: furchtsam, eingeschlossen, ratlos. Zuviel hatten sie in den letzten Monaten erlebt, was über ihren Verstand und über ihre Vorstellung von Tod und Leben ging. Jetzt hatten sie den Auftrag, in alle Welt zu gehen und Jesu gute Nachricht von Gott als dem Herrn über Leben und Tod, von den guten Möglichkeiten für neues, ewiges Leben weiterzusagen. Aber wie sollte eine Handvoll Leute diese Aufgabe angehen? Waren sie überhaupt dafür geeignet, ausgerüstet? Eingefangen waren sie in ihrer Ängstlichkeit und ihren Zweifeln, in der realistischen Einschätzung ihrer Fähigkeiten.

Am Pfingsttag wurde dies alles von ihnen hinweggefegt. Sie wurden hinausgeführt, sie redeten nicht aus eigener Kraft und Können. Es war Gottes guter Geist, seine Kraft und seine Fähigkeiten, die ihnen mitgeteilt wurden und die sie durcheinanderwirbelten. Sie fanden sich wieder in Situationen, von denen sie nie geträumt hatten. Sie erzählten frei und ohne Angst, allen verständlich, freudig und mit Worten, von denen sie nie gedacht hätten, daß sie ihnen zur Verfügung stünden. Am Abend dieses Pfingsttages gab es eine neue Gemeinschaft von Menschen, nicht den Zwängen von Hautfarbe, Sprache, Herkunft oder Geschlecht unterlegen, bunt zusammengewürfelt, aber ausgerüstet mit Gottes gutem Geist und deshalb vielen ungeahnten Möglichkeiten für die Zukunft.

Und dies sollte erst der Anfang sein. Menschen wie sie gingen in alle Himmelsrichtungen und sagten die gute Nachricht vom neuen Leben weiter. Gottes Geist brachte es fertig, daß in den ersten Gemeinden Sklaven eine Zukunft hatten und menschlich behandelt wurden, daß die Witwen und Waisen einen Platz bekamen neben dem angesehenen Bürger, daß also bestehende Ordnungen zugunsten von Menschen nicht mehr wichtig waren.

Pfingsten ist der Beginn dieser neuen Bewegung unter den Menschen, ausgelöst durch die Botschaft Jesu von Nazareth, die sich stärker als der Tod erwiesen hat. Vielen war dies alles "zu bunt". Die Geschichte der Kirche ist deshalb auch eine Geschichte der Versuche, Gottes Geist zu kanalisieren, einzuordnen, zu überblicken, zu beherrschen. Die Vielfalt der Möglichkeiten des Lebens, neues Leben von Gott, ist nicht immer gut überschaubar. Gegen das Vertrauen auf Gottes Geist und seine Flügel, die tragen und geben, was man braucht, steht unsere Sehnsucht nach Sicherheiten.

So ist Pfingsten also nicht Abschluß, sondern vielmehr der Beginn einer weltweiten Bewegung, die bis heute nicht aufhört. Aus der kleinen Pflanze der ersten Jerusalemer Gemeinde, die sich vor 2000 Jahren zusammenfand, ist ein großer, weltweit verzweigter Baum "Kirche" gewachsen. Der ist sehr unterschiedlich anzusehen, bunt und vielfältig. Und er ist lebendig! Daß er nicht vertrocknet ist oder an zuviel Beschneidungs- und Stutzungsversuchen einging, liegt an seinen Wurzeln und der Kraft, die er aus ihnen schöpft.

Diese Wurzeln reichen tiefer, als wir einschätzen. Sie werden aus Gottes gutem Geist gespeist. Seine Kraft fließt durch Stamm, Äste und Zweige und bringt Früchte hervor. Wir haben manchmal den Eindruck, als ob wir auf einem absterbenden Ast säßen. Wir denken, wir gehen ein, weil wir nichts mehr vermögen, für Menschen nicht mehr attraktiv sind. Bieten wir noch Schutz und Nahrung für Menschen, die auf der Suche oder in Not sind? In manchen Kirchengemeinde
n herrscht Mut- und Ratlosigkeit und Resignation, weil in der Kirche das Geld die größte Rolle zu spielen scheint und alle theologischen Überlegungen erst danach kommen. Unsere Kirche ist verbeamtet, und Zeichen von Lebendigkeit, Begeisterung sehen wir oft nicht. Wer hat da schon Lust, der Kirche zu gratulieren und ihr für die Zukunft alles Gute zu wünschen?

In den Ländern Osteuropas und der ehemaligen Sowjetunion war ein christliches Bekenntnis jahrzehntelang nicht erwünscht, teilweise sogar verboten. Kirche führte ein Schattendasein, und den Machthabern wäre es am liebsten gewesen, sie wäre ganz verschwunden. Doch sie hat überlebt, sie breitet sich weiter aus und wir in Westeuropa lernen aus, ihren Erfahrungen der Vergangenheit und wir lernen, wie Kirche lebendig sein kann in einer nichtreligiösen Umwelt. Ich sehe meine eigene Gemeinde in einem Stadtbezirk Berlins, in dem es nur zwischen vier und sechs Prozent Christen gibt, voriges Jahr haben wir eine neue Kirche gebaut, mitten ins Stadtviertel hinein. Manchmal bekamen wir beim Bauen und Planen Angst vor der eigenen Courage: werden wir sie überhaupt mit der Handvoll Gemeindeglieder füllen können? Seit sie fertig ist, stellen wir fest: Menschen kommen in unsere Gottesdienste, die wir vorher nie erreicht haben – Kinder, Jugendliche und Erwachsene sehen sie sich an und stellen Fragen, die mit dem eigenen Leben und dem Glauben zu tun haben. Gottes guter Geist bewirkt Erstaunliches und von uns nicht Eingeplantes.

Kirche – ein buntes Gebilde. Zu bunt? An manchen Stellen sind nicht alle Farben harmonisch beisammen, manches wirkt kitschig, manches ärgerlich. Aber wäre eine Einheitsfarbe, eine allgemeine Farblosigkeit, ein Schwarz/Weiß die Alternative? Ist Farbigkeit nicht ein Ausdruck von Lebendigkeit? Fordert die Buntheit nicht auch zum Gespräch heraus, meinetwegen auch zum Streiten? Ist die Verschiedenheit der Farben nicht ein Grund, über die eigene Frömmigkeit nachzudenken? Hat unsere Klage über den Zustand der Kirche bei uns, über ihre Farblosigkeit nicht vielleicht etwas mit unserem eigenen Glauben zu tun? Hat der vielleicht vergessen, wie weit unsere Wurzeln reichen und welche Kraft sie uns geben können? Wären wir nicht vielleicht kräftiger und sichtbarer, wenn wir Zutrauen hätten auf Gottes guten Geist und seine ungeahnten Möglichkeiten?

 
     
     
 
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