|
Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Halef als Gossara - diese Aufzählung kennt ein jeder von Karl May. Ähnlich beginnt auch die Autobiographie von Ayaan Hirsi Ali.
Mit ihrer Großmutter unter dem Talalbaum sitzend, muß sie sich die schier endlose Litanei ihrer Vorfahren einprägen. Das hat einen tiefen Sinn, denn die mittelalterliche Gesellschaft Somalias ist ein Clansystem und es ist überlebenswichtig zu wissen, zu welchem Clan man gehört. Mit den Namen seiner Vorfahren saugt man auch den Islam mit seinen in Somalia besonders blutigen Ritualen auf. Das blutigste mußte die kleine Ayaan im Alter von fünf Jahren erfahren, als sie von ihrer Großmutter gepackt wurde und ihr von einem fremden Mann mit einer Schere gewaltsam die kleinen Schamlippen und die Klitoris entfernt wurde, als sei sie ein ranziges Stück Fleisch. Dann wurde sie unbetäubt mit groben Stichen zugenäht.
Diese Szene und den folgenden brennen den Schmerz wird sie ein Leben lang nicht vergessen.
Er wiederholt sich gewissermaßen, wenn beim ersten Koitus ein ungeschickter Mann gewaltsam Eintritt begehrt. Das übrige Leben in Somalia verläuft auch häufig blutig und in immer wiederkehrenden Stammesfehden.
Die Autobiographie Ayaan Hirsi Alis ist eine Entwicklungs- und Bildungsgeschichte, in der es der Protagonistin gelingt, sich aus den mentalen Kerkern ihres Stammes und ihrer Religion zu befreien.
Am Ende steht die Autorin siegreich da als eine moderne Universitätsabsolventin, die es bis zu einer Anstellung an einem "think-tank", dem "Amerika Enterprise Institute", geschafft hat. Dazwischen liegt aber eine schier endlose Asylodysee durch die verschiedensten Regionen Afrikas über Kenia, Riad bis nach Leiden in Holland.
Dieser äußeren Wanderung entspricht eine innere Entwicklung von einer anfangs gläubigen Islamistin zu einer zunehmend skeptischeren Agnostikerin bis hin zu einer tiefungläubigen Atheistin, die heftige Anklagen gegen den Islam erhebt, dem sie zum Vorwurf macht, ein Sklavensystem etabliert zu haben, das die Menschen an selbständigem Denken und Handeln hindert, und in seinem Versuch, alle Bereiche des Lebens zu reglementieren, die Menschen auf die Mentalität arabischer Wüstenstämme des 7. Jahrhunderts zu reduzieren.
Sie schreckt in ihrem durch die rigide Haltung des Islam zu den Frauen verletzten Stolz nicht davor zurück, heftige Anklagen gegen Mohammed als Religionsstifter selbst zu erheben, den sie als einen sexsüchtigen Kinderschänder bezeichnet, weil er die neunjährige Aischa gegen ihren Willen zur Frau nahm. Ayaan Hirsi Ali war es auch, die Theo van Gogh zu seinem Film inspirierte, und dessen brutale Ermordung galt eigentlich ihr. Es ist beinahe unglaublich, wie es ihr gelang, als anfänglich unbedarfte Asylantin Holland beinahe an den Rand eines Religionskrieges zu bringen.
Ayaan Hirsi Alis Autobiographie besitzt die Spannung eines Kriminalromans und die Dichte einer historischen und soziologischen Studie, die uns eine Region verstehen läßt, die gerade heute wieder in den Fokus der Weltpolitik gerät. Holger von Dobeneck
Ayaan Hirsi Ali: "Mein Leben, meine Freiheit", Piper, München 2006, geb., 496 Seiten, 19 |
|