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Es sind 32 Grad im Schatten. Grillfest ist angesagt. Urgroßmutter, schnell aus dem Altenheim geholt, thront schon erwartungsvoll am Tisch und überblickt streng Salate und Fleischstücke. "Wie - keine bunte Decke, keine Blumen?" - "Ach Omi, wir grillen doch. Da braucht man so was nicht!" Die alte Dame wird in den Garten zu dem Beet mit den Stockrosen verfrachtet. Korbsessel, dickes Kissen in den Rücken, schon mal eine Limonade. "Geht s so, Omi?"
Da kommen sie schon, die Sprößlinge mit ihren Sprossen. Allgemeines Herumrennen, Schnattern, Lachen. "Wie aufgescheuchte Hühner ", spöttelt Sohn Marco.
Und nun stehen die beiden Enkel vor mir, der Junge ein bißchen verlegen, seine Schwester temperamentvoll plappernd. Sie haben etwas gezeichnet. "Das bist du, Oma!" Heimlich gucke ich in den Spiegel. Oje, sehe ich wirklich so aus? Lisas Kunstwerk zeigt nämlich ein Mondgesicht mit Segelohren und rötlichem Haar. Na ja, wenigstens die Nase ist an der richtigen Stelle.
Manuels Eisenbahn hat keine Räder. Ihm ist wohl beim Malen die Lust vergangen. Egal, der bunte Zug rollt mir auch ohne Räder direkt ins Herz, und dort ist Endstation.
Beschwingt laufe ich mit der riesigen Schüssel Kartoffelsalat in den Garten. Mm, wie das duftet! Die Würstchen sind schon fertig.
Über dem Geklapper der Bestekke verebbt das Gespräch, entfacht sich aber schnell wieder. Wie kommen die jetzt bloß auf das Thema Schutzengel? Bei so profanen Dingen wie glühenden Kohlen, Würstchen, Salat und sprudelnden Getränken?
Logisch, fast alle sind Musiker und in der Kirche beschäftigt. Gerade entbrennt ein Streit über Kunst oder Kitsch bei Schutzengelfiguren. Prima Thema beim Grillen? Warum nicht?
Als Kind waren für mich die kitschigsten Statuen die schönsten, und die süßlichen Engelbilder im Schlafzimmer meiner Oma habe ich geliebt.
Angeregt durch das Gespräch zeichnet unsere angehende kleine Malerin ihren persönlichen Engel auf die Rückseite ihrer Serviette. Wozu sind Servietten sonst da?
Ich hefte das Kunstwerk erst einmal an den Stamm des Kirschbaums. Von hier aus schaut der Schutzgeist mit heiligem Ernst auf den Betrachter hinunter, und wenn seine Glieder auch zu kurz geraten sind und die Flügel sich anscheinend in der Mauser befinden, so ist es vielleicht doch der schielende, zum Himmel gerichtete Blick des Engels, der einen so anrührt, und natürlich auch der feurige Heiligenschein mit den fünf Zacken.
Später stehe ich wieder an meinem Arbeitsplatz in der Küche, mache Espresso und Cappuccino und verteile den Schokopudding in die Schälchen. Struppi, unser Mischling, liegt quer in der winzigen Küche, so daß jeder, der herein will, über ihn steigen muß. Der Hund zuckt mit keiner Wimper, wenn ihn ein Fuß berührt. Das nenne ich Vertrauen.
Manuel und Lisa setzten sich zu meiner Rechten und Linken auf den Tisch und plappern mir was ins Ohr, jedes Kind gleichzeitig und in voller Lautstärke. Ich versuche beiden genau zuzuhören, damit sich keiner benachteiligt fühlt. Dabei schwappt mir ein Löffel Pudding über den Rand des Tisches. "Schlapp" macht Struppi und der Boden ist wieder sauber.
Wieder draußen singen Baby Laura und der Hund ein Lied im Duett. Opa meint, diese kleine Improvisation sei sicher für die Nachbarn bestimmt. Ob die sich darüber freuen?
Uroma, endlich mal zu Wort gekommen, möchte wissen, woran unser Kanarienvogel gestorben sei. "An Altersschwäche, Omi."
"An kalter Wäsche?" entrüstet sich die schwerhörige alte Dame.
Wir erzählen ihr nicht, daß Struppi vorgestern auf den in der Küche herumflatternden Vogel Jagd machte. Und auch nicht, daß er ihn gekriegt hat. - Dann lieber kalte Wäsche.
So ein Familiengrilltag strapaziert meine Nerven manchmal ganz schön, bin schließlich nicht mehr die Jüngste. Aber nicht für 100.000 Euro möchte ich ihn missen.
Bin ich da altmodisch? |
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