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Man schrieb das Jahr 1917. Trotz aller gewonnenen Schlachten war der Krieg immer noch nicht beendet. Truppen zogen durch Königsberg. Offiziere mußten einquartiert werden. Auch bei Werners Eltern war für ein paar Tage und Nächte ein Oberst angemeldet. Über dessen Kommen wurde viel geredet, denn Werner, sechs Jahre alt, war ein unartiges Kind. Von ihm aber wurde verlangt, daß er dem Herrn Oberst einen guten Eindruck mache. Er solle den großen Herrn wie ein Soldat begrüßen, ihn mit „Herr Oberst“ anreden, stramm stehen und nur reden, wenn der Herr Oberst ihn etwas fragte. Jeden Tag wurden ihm die Worte „Herr Oberst“ eingebläut. Werner hatte sogar Freude daran, denn er besaß ein Heer von Zinnsoldaten, und in seiner Vorstellung war der Herr Oberst einer dieser Zinnsoldaten. Er konnte diese Worte bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit aufsagen.
Und eines Tages wurde er vom Stubenmädchen aufgefordert, ins Schlafzimmer der Eltern zu gehen. Dort gäbe es eine Überraschung. Werner ging hinein, und dort sah er in dem Bett neben der Mutter einen fremden Herrn liegen. Wie eingeübt, stand Werner stramm, verbeugte sich, und sprach, wie ihm befohlen, „Guten Morgen, Herr Oberst!“ Er konnte ja nicht wissen, daß am Abend zuvor Vati auf einen kurzen Heimaturlaub aus Wilna eingetroffen. Und der Leutnant war sehr erstaunt über die unerwartete Beförderung zum Oberst.
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