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(Erb1ehre vom Menschen, menschliche Erblehre). Den Ausgangspunkt der a 11 g e m ein en und e x p e r im e n t e 11 e n G e n e t i k bildeten die Versuche Johann Gregor M e n d e I s. Ausführlicher wird über die Mendelschen Gesetze in dem Artikel Humangenetik des Fischer-Lexikon-Bandes Medizin II (Bd. 17) gehandelt. Im gleichen Jahr wie Mendels Arbeit Versuche über Pflanzenhybriden (1865) erschien der Aufsatz Erblichkeit von Talent und Charakter (Hereditary talent and character) von Francis Galton, dem Begründer der humangenetischen Zwillings- und Familienforschung. Unmittelbar nach der Wiederentdeckung der Mendelschen Gesetze durch Carl Erich Correns, Hugo deVries und Erich von Tscherm a k- S e y s e n e g g 1900 wurde deren Gültigkeit auch für den Menschen nachgewiesen: 1902 für die Alkaptonurie, eine Störung des Eiweißstoffwechsels (G a r r o d), 1905 für die Brachydaktylie (F a r a b e e ), bald darauf auch für normale Rassenmerkmale (Untersuchungen von Eugen Fischer an Rehobother Bastards, 1908, veröffentlicht 1913). Schon Kant hatte gefordert (1775), daß in der menschlichen Rassenkunde nur diejenigen Merkmale berücksichtigt werden, die »anerben«; dieser theoretischen ,Forderung konnte nunmehr auch in der Wissenschaftspraxis entsprochen werden. Die Humangenetik wurde neben Anatomie, Physiologie und Psychologie zu einer Grundwissenschaft der Anthropologie, die diese mit der Humanmedizin gemeinsam hat.
Zunächst stand die Frage nach Erbbedingtheit und Erbgängen normaler menschlicher Merkmale im Vordergrund (M e 11 d e 1 i s m u s), was insbesondere für die Auffassung von Rassenverwandtschaft und Rassenentstehung von Bedeutung wurde (-÷ Rassendefinition, Rassengenese). Die Umweltlabilität, die dabei für eine Reihe anthropologischer Merkmale entdeckt wurde, führte zu neuen, konstitutionsbiologischen Fragestellungen (Konstitution, Plastizität). Daneben fanden die Erbstruktur von B e v ö l k er u n g en und ihre Veränderungen Beachtung
(i Sozialanthropologie) und auch praktische Berücksichtigung in Bevölkerungspolitik (-4- Demographic) und Eugenik (Erbpflege, Erbhygiene); ihre allgemeinen Bedingungen und der Effekt von Siebungs- und Ausleseprozessen wurden in jüngster Zeit von der - Populationsgenetik mit mathematischen Methoden schärfer gefaßt. In der allgemeinen Genetik spielt neuerdings die Frage nach dem Aktionsmechanismus der Gene (Pliiinogenetik) eine wichtige Rolle, und sie wurde gleichfalls für die Anthropologie bereits fruchtbar (-; Rassenphysiologie, Rassengenese, Konstitution); sie dürfte eine neue Phase in der rassenkundlichen Forschung einleiten und zu einem tieferen Verständnis der psychophysischen Differenzierung der Species Homo sapiens führen. Nachdem die Vererbung von Begabung und Charakter und ihre Bedeutung für Pädagogik und Sozialpolitik schon von Galton erkannt wurde, ist in jüngster Zeit durch die V e r h a l t e n s f o r s c h u n g die Frage nach erblichen Verhaltensweisen und Instinktresten beim Menschen hinzugekommen (- Kulturanthropologie). CHROMOSOMEN UND GENE. Auf große Schwierigkeiten stößt die Z y t o g e n e t i k (genetische Zellforschung) beim Menschen. Selbst über die Zahl der menschlichen Chromosomen (Kernschleifen) als der stofflichen Träger der Vererbungsvorgänge bestand lange Zeit Unsicherheit; sie wurde nunmehr auf 46 in
23 Paaren festgestellt, davon ein Paar G e s c h l e c h t s c h r o m o s o m e n (z X-Chromosomen bei der Frau, ein X- und das kleinere Y-Chromosom beim Mann) und 22 Paare von A u t o -s o m e iv. Im Feinbau der Chromosomen, insbesondere in der linearen Aneinanderreihung der C h r o m o m e r e n, in denen die Einzelgene lokalisiert sein dürften, und in den Mechanismen der Chromosomenteilung und -verteilung bei der Zellteilung stimmt Homo vollständig mit der übrigen Organismenwelt überein. Zahl und Form der Chromosomen sind arttypisch und geben neben anderen Merkmalen Hinweise auf Verwandtschaftsbeziehungen. Homo ist darin anderen Primaten außerordentlich ähnlich (H e b e r e r).
Ei- und Samenzellen weisen durch besondere Zellteilungsvorgänge nur den einfachen (h a p l o i d e n) Satz von 23 Chromosomen auf, die sich bei der Befruchtung zum doppelten (diploid en) Satz verbinden. Dabei wird auch das Geschlecht bestimmt: gelangt eine Samenzelle mit einem X-Chromosom zur Befruchtung der Eizelle mit ihrem X-Chromosom, so entstehen Mädchen (XX), Samenzellen mit einem Y-Chromosom erzeugen Knaben (XY). Bei 23 Chromosomen gibt es 223 = 8 388 6o8 verschiedene Möglichkeiten, wie sich die elterlichen Chromosomen kombinieren können. Daß bei zwei Kindern desselben Elternpaares genau die gleiche Chromosomenkombination auftritt, ist abgesehen von den eineiigen Zwillingen mit einer Wahrscheinlichkeit von 1: 8 388 6o82 = 1 : 70 Billionen zu erwarten. Praktisch besitzt also jedes Individuum eine einzigartige Kombination von Erbanlagen.
Die Zahl der menschlichen Gene kann durch Vergleich der Gesamtchromosomenlänge mit der der Obstfliege Drosophila, des am besten durchforschten Objektes der experimentellen Genetik, geschätzt werden; die Schätzungen schwanken zwischen
24 000 und 42 000 für den einfachen Chromosomensatz (Spuheru.a.). Die Wirkungsweise von Einzelgenen ist nur bestimmbar, wenn von ihnen verschiedene A l l e l e vorliegen (z. B. ein dominantes Allel D für Pigmentbildung und ein rezessives d für Pigmentmangel), die sich bei Kreuzungen zu verschiedenen G e n o t y p e n (Erbbildern) kombinieren können (Dominant-Homozygote DD, Heterozygote Dd, RezessivHomozygote dd) und verschiedene P h ä n o t y p e n (Erscheinungsbilder) bedingen (z. B. stark und schwach Pigmentierte). Vorn Menschen sind bisher mindestens 336 Einzelgene bekannt (v. V c r s c lI u e r), davon 51 für normale Merkmale, 285 für Erbkrankheiten. Das starke Überwiegen der Krankheitsgene erklärt sich daraus, daß die Mehrzahl der normalen Merkmale auf dem Zusammenwirken zahlreicher Gene beruht (Polygenie, P o l y m e r i c), was eine Genanalyse erschwert oder unmöglich macht, Erbkrankheiten dagegen häufig durch ein einziges defektes Gen entstehen (Monogenie, M o n o m e r i c). Verwandte Arten stimmen nicht nur in Zahl und Form der Chromosomen, sondern auch in um so mehr Einzelgenen überein, je näher der Verwandtschaftsgrad ist. Die v e r g 1 e i-c h e n d e Erbbiologie erlaubt daher Analogieschlüsse auf menschliche Gene und Genwirkungen, wenn bei verwandten Gattungen die gleichen Erbmerkmale auftreten (Chondrodystrophie, Pigmentationsmerkmale u. a.). |
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