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Im Schatten des neuen Berlin

 
     
 
Gegen den Plan der Deutschen Bahn, den West-Berliner Bahnhof Zoo vom Fernverkehr abzukoppeln, laufen die Einzelhändler, Hotel- und Gaststättenbetreiber in der Umgebung Sturm. Manche sehen sich vom Ruin bedroht: Im Café Zoo beispielsweise sind 90 Prozent der Gäste Fernreisende. Sollten die ab Mai 2006 ausbleiben, ist es wohl aus. Souvenirhändler und Ladenbesitzer sehen ihre Zukunft ganz ähnlich.

Die Berliner CDU, die ihre stärksten Bataillone im West-Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf besitzt, macht sich ihre Proteste zu eigen. Der neue Parteivorsitzende Ingo Schmitt nennt die Bahnpläne "undenkbar", und der zuständige Baustadtrat, ebenfalls CDU-Mitglied, spricht vom "Abbau West". Geplant ist ein Bürgerbegehren, das die Bezirksverordnetenversammlung veranlassen soll, sich mit dem Thema zu befassen. Zwar haben die Abgeordneten sich schon einstimmig gegen das Bahnkonzept gestellt, doch ein Bürgerbegehren, so hoffen die Organisatoren, verleiht den Bemühungen noch mehr Nachdruck.

Dabei geht es um weit mehr als bloß um irgendeinen Bahnhof. Der Bahnhof Zoo hatte jahrzehntelang auch eine Art mythische Funktion: Er war das Tor nach West-Berlin. Sogar in den Liedern der "Neuen Deutschen Welle" in den 80er Jahre
n schimmerte eine schnoddrig-sentimentale Zuneigung zu dem Bahnhof durch. DDR-Bewohner kannten ihn zumindest dem Namen nach. Einen anderen Stoff, aus dem Mythen gemacht werden, bot der Drogen- und Kinderstrich-Report "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" aus dem Jahre 1976. Seitdem erschien die Station Millionen Deutschen als Brennpunkt des sozialen Abgrunds.

Diesen Ort jetzt zum normalen Regionalbahnhof degradiert zu sehen, kommt den alten West-Berlinern einer Entwertung der eigenen Vergangenheit gleich und kehrt den Bedeutungsverlust heraus, den der Westteil der Hauptstadt seit 1989 jedenfalls im Empfinden der Alteingesessenen hinnehmen mußte. Für sie riecht es überall nur noch nach Abschied und Ende, während das neue Berlin "drüben" im Stadtteil Mitte von Richtfest zu Richtfest eilt. Die Kultfiguren wie Brigitte Mira, Hildegard Knef, Günter Pfitzmann, Horst Buchholz oder Harald Juhnke sind tot. Von den vertrauten Institutionen ist nur noch das Nobelkaufhaus KaDeWe unangefochten. Das berühmte Café Kranzler am Ku damm ist auf eine Bar in der Rotunde im zweiten Stock zusammengeschrumpft. Unten befindet sich jetzt ein billiges Textilgeschäft. Das Café Möhring, auch am Ku damm, hat zugemacht, das Restaurant "Kopenhagen", in dem Berliner Lokalgrößen verkehrten, ist längst verschwunden.

Nun müßte jene Entwicklung doch wenigstens im Ostteil für Optimismus sorgen. Doch weit gefehlt: Ein langer Besinnungsartikel im Berliner Tagesspiegel sprach statt dessen kürzlich von einem insgesamt "verfehlten Stadtgefühl". In Ost wie in West sähe man sich als Opfer der Entwicklung seit 1989, statt sich als Gewinner zu begreifen - wofür die Berliner Traditionszeitung wenig Verständnis aufbringt. Schluß mit dem Gejammer fordert der Tagesspiegel: Die West-Berliner sollten endlich Abschied nehmen und den Blick dafür öffnen, daß sie alles, was sie mit dem verschwundenen West-Berlin verloren hätten, durch das neue Gesamtberlin kompensiert erhielten, und noch viel mehr. Das gleiche gälte für den Ostteil. Garniert wurde das mit der Aufforderung, Berlin müsse sich "neu erfinden", indem es in der Mitte "zusammenfinde".

Das ist nicht falsch, doch solche Formulierungen bleiben Leerformeln, solange die Stadt ohne ein ausreichend solides wirtschaftliches Fundament dasteht. Was ist denn das "Zusammenfinden" anderes als die gesellschaftliche Teilhabe, etwa in Theatern, Varietés, Cafés und Restaurants? Doch davon fühlen sich viele Berliner angesichts hoher Arbeitslosigkeit und allseits knapper Kassen weithin ausgeschlossen. Sie erleben das funkelnde, neuerstandene Berlin als eine ihnen fremde Welt für Touristen und wohlhabende Zugereiste. Die Finanzkraft der Stadt ist seit 1989 durch den Wegfall der Subventionen vom Bund und dem DDR-Umland trotz dem Regierungsumzug drastisch zurückgegangen. Das Festklammern am Bahnhof Zoo ist daher nicht nur ein Zeichen von Provinzialismus, sondern auch der Angst vor dem weiteren sozialen Abstieg.
 
     
     
 
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