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West-Berlin sollte in 24 Stunden fallen

 
     
 
Vor zehn Jahren zogen sich die vier Alliierten Siegermächte endgültig aus Berlin zurück. Sie verabschiedeten sich getrennt. Die Russen paradierten Ende August 1994 in der Nähe ihres Hauptquartiers in Berlin-Karlshorst. Höhepunkt war eine Kranzniederlegung am Sowjetischen Ehrenmal in Treptow durch Bundeskanzler Kohl und dem russischen Präsidenten Boris Jelzin. Einige Stunden später, vor dem Einzug ins Rote Rathaus, präsentierte Jelzin sich den Kameras im Zustand der Volltrunkenheit.
Die Amerikaner, Briten und Franzosen zogen einige Tage später ab. Ein Großer Zapfenstreich am Brandenburger Tor
setzte den Schlußpunkt unter fast 50 Jahre Nachkriegsgeschichte. Es hatte damals heftige Diskussion gegeben, ob nicht eine gemeinsame Parade der vier Mächte angemessen wäre, anstatt den Russen einen Abschied zweiter Klasse zuzumuten. Doch die Verletzungen aus der Zeit des Kalten Krieges überwogen die Gemeinsamkeit, die der Sieg über Deutschland gestiftet hatte.

Nach Öffnung der DDR-Archive konnte belegt werden, was man bis dahin nur erahnt hatte: Die DDR und die Sowjetunion hatten auch nach dem Mauerbau und dem Vierseitigen Abkommen über Berlin 1971 keineswegs das Ziel aufgegeben, den Westen der Stadt ihrem Machtbereich einzuverleiben. Die Pläne für eine Besetzung der drei Westsektoren sind bis 1989 immer wieder aktualisiert worden. An 60 Stellen wären NVA und Sowjetarmee durch die Mauer gebrochen und hätten versucht, die Stadt dreizuteilen und die Westalliierten voneinander zu isolieren. Für die Eroberung waren 24 Stunden vorgesehen. Fallschirmjäger hätten die wichtigsten strategischen Punkte aus der Luft eingenommen, darunter das Rathaus Schöneberg - Sitz des Regierenden Bürgermeisters und des Landesparlaments -, den Sender Freies Berlin und Rias, den Fernsehturm am Wannsee und die Flugplätze in Tegel und Tempelhof.

Angesichts solcher Planspiele erscheint die damalige Forderung der Berliner Grünen, die alliierten Truppen auf eine symbolische Zahl zurückstutzen, im Nachhinein geradezu wahnwitzig. Denn so real, wie die Bedrohung war, waren die Aufgabenstellungen der Amerikaner, Briten und Franzosen für den Ernstfall. Die rund 11.000 alliierten Soldaten in Berlin hätten Brücken gesprengt und versucht, die wichtigsten Straßen - vor allem die Stadtautobahn Avus - zu blockieren und ein zusammenhängendes Stadtgebiet zu halten. Als gemeinsame Einsatzzentrale hätte das britische Hauptquartier am Olympiastadion gedient. Zehn Tage lang sollte West-Berlin verteidigt werden: In dieser Zeit sollte eine Verhandlungslösung erzielt bzw. der Nato-Mechanismus in Gang gesetzt werden. Das hätte den Kriegsfall bedeutet. Zum Glück funktionierte das Prinzip Abschreckung. Der getrennte Abmarsch der Besatzungsmächte aber war nur logisch gewesen.

In West-Berlin gehörten die Soldaten der drei Westmächte zur städtischen Folklore. Ihr Abzug hinterließ eine Leerstelle, die erst langsam aufgefüllt wurde. Im Ostteil sah man keine russischen Soldaten im Stadtbild, höchstens einmal in Gruppen und völlig verschüchtert. Im ehemaligen Gebäude des Alliierten Kontrollrats, aus dem die Russen während der Berlin-Blockade 1948 mit Aplomb ausgezogen waren, befinden sich heute das Berliner Kammergericht und das Landesverfassungsgericht. Im russischen Hauptquartier in Berlin-Karlshorst, wo Feldmarschall Wilhelm Keitel am 9. Mai 1945 die Kapitulationsurkunde unterschrieb, wurde ein Museum eingerichtet. Im Britischen Hauptquartier am Olympiastadion ist ein Sportmuseum geplant. Die Villa des US-Stadtkommandanten in Dahlem wird für Empfänge des Auswärtigen Amtes genutzt, und in der amerikanischen Andrewskaserne in Lichterfelde (bis 1945 SS-Kaserne) befindet sich das Bundesarchiv. Im französischen Offiziersklub am Tegeler See soll die Kantine der Diplomatenschule eingerichtet werden. Die riesige Anlage des "Quartier Napoleon" in Tegel, einst französisches Hauptquartier, heißt heute Julius-Leber-Kaserne und ist Sitz des Standortkommandanten der Bundeswehr.

Durch den Abzug der Alliierten wurden rund 6.000 Wohnungen frei, darunter einige in attraktiver Lage im Nobelbezirk Zehlendorf. Sie wurden entweder verkauft, an Bundesbedienstete vermietet oder der städtischen Wohnungsbaugesellschaft übergeben.

 
     
     
 
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