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Etwa ein Kilometer von dem Gedenkstein für die Tote im Lager entfernt, umgeben vom Wald, befindet sich ein großes Erholungslager mi winterfesten Häusern des "SCHAAZ"-Werkes, das jetzt während der Schulferie mit 400 Kindern belegt war. Hier befanden sich auch die Kinder aus dem Waisenhaus, das wi eigentlich besuchen wollten, um unseren Obolus zu entrichten. Anläßlich unserer Goldene Hochzeit hatten wir unsere Gäste gebete n, anstatt uns zu beschenken, für derartig Zwecke zu spenden. Bald war ich von einem dicken Knäuel Kinder umringt, unzählig Händchen streckten sich mir entgegen, um nach meinen Kaugummis und Lollis zu greifen. Wa hat ein Kind schon vom empfangenen Geld der Heimleitung! Drei Kilo Süßigkeiten hatte ic dabei, gespendet von einer lieben Nachbarin. Nachdem ich ein paar Worte an die ältere Kinder gerichtet hatte, u.a. mit der Bitte, nicht gewaltätig zu werden, sagte die Heimleitung, ein richtiger "Mama-Typ" :"Wir sind das Lager der Liebe."
Und 12 Kinder aus diesem "Lager der Liebe" begleiteten uns in einem kleine Bus zu unserer Toten-Gedenkstätte. Alle hatten sie Feldblumen gepflückt und legte diese, unter Trommelwirbel von fünf kleinen Knaben, am Stein nieder !
Beeindruckt hat uns auch der Besuch im Altenheim. Gemüse und Kartoffeln werden hie auf heimeigenem Acker angebaut, Tomaten und Gurken reiften bereits in einem Gewächshaus und die alten Leutchen, die noch rüstig genug sind, dürfen hier arbeiten; jeder ist fü sein Stückchen zugewiesenen Ackers selbst verantwortlich. Gestattet ist die Arbei allerdings nur in den Morgen- und Abendstunden, wenn es noch nicht oder nicht mehr s heiß ist. Im Kulturraum war die große Bühne mit gesammelten Kräutern bedeckt, die zu Trocknen lagerten. "Sind besser als Pillen", meinte die Ärztin, die uns gemeinsam mit dem Direktor durch das Haus führte. So sahen wir auch das "Zimmer de Stille". Über mehreren kleinen Kommoden mit Spitzendeckchen und Leuchtern hinge ringsum an den Wänden Ikonen, mehrere Sessel luden zum Verweilen, ein faszinierende Raum. "Hier verweilen unsere Menschen im Schweigen und gehen gestärkt hinaus" erfuhren wir.
Für den Sonntag-Vormittag war der Kirchgang angesagt, wir besuchten alle drei Kirche während des Gottesdienstes, der sich über mehrere Stunden erstreckt. Es gibt dort kein Bankreihen wie in unseren Kirchen, die Leute stehen, und es ist ein Kommen und Gehen. I jeder Kirche standen die Menschen dicht gedrängt, in der Mehrzahl waren es junge un solche mittleren Alters. Gab es 1991 immer nur noch die Kirche, die ich schon währen meiner Gefangenschaft besucht hatte, so sind jetzt auch die beiden anderen in der Stad vollkommen restauriert und mit einer wunderschönen, beeindruckenden Innenausstattun versehen worden. Zuvor war eine von ihnen als Frauengefängnis mißbraucht worden.
An den Eingängen der Kirchen holte mich die Vergangenheit ein, als ich die Bettler in ihrer demütigen Haltung sitzen sah; war ich doch einst selbst dankbar für jed erbettelte Kartoffel gewesen. Heute konnte ich die Gebende sein, und das erfüllte mic mit Dank. In der Kirche Nikolskoje befindet sich die Suppenküche, die den Armen der Stad täglich eine Suppe ausgibt, und wie wir nach dem Gottesdienst vom Pfarrer erfuhren kommen die Zutaten, Gemüse, Obst und andere Nährmittel, aus Spenden zusammen, auc abgelegte Kleidung wird hier gesammelt und verteilt.
Noch eine Besonderheit gibt es im Zusammenhang mit dieser Kirche. Ihr ist in einem etw 15 km entfernten Dorf ein altes Blockhaus überlassen worden, das jetzt eine Äbtissin zu einem kleinen Kloster umbauen läßt. Nadjas Mann Sascha meinte, daß wir das sehe müßten, und er fuhr mit uns hin. Der Ort war in einer idyllischen leicht hügelige Landschaft eingebettet. Am Ende, auf dem höchsten Punkt, präsentierte sich ein mächtige Kirche, etwas abseits davon standen Ställe und Silos einer ehemaligen Kolchos - aber alles dem Verfall preisgegeben! Von Sascha erfuhren wir, daß hier während de Zarenzeit ein blühender Handelsplatz für Getreide gewesen war. Mit dem Bau de Eisenbahnlinie (1912) war damit Schluß. Im Dorf selbst werden einige Häuser noch als Datschen von den Schadrinskern genutzt.
In dieser, wörtlich genommen, verlassenen Gegend sollte nun das kleine Kloste entstehen. Wir trafen die Äbtissin in Arbeitskleidung an, die sich deshalb genierte, un zu empfangen, dann aber führte sie uns schließlich durch das Haus. Im größten Rau zeigten kleine goldverzierte Säulen bereits Ansätze vom Aussehen der Kapelle, all anderen Räume waren noch ein einziges Chaos, in denen ein intensiver Farbengeruch un fast den Atem nahm. Und die tapfere Äbtissin wohnte und schlief hier, ja, sie bereitet hier sogar das Essen für die Bauarbeiter, die, wie sie sagte, ohne Entgeld arbeiteten Eine bewundernswerte Frau mit einer gütigen Ausstrahlung, die sich mit Würde paarte, als sie, zu einem Foto für uns bereit, ihr Ornat überstreifte.
Es erstaunte uns immer wieder, welche Welle der Hilfsbereitschaft unter den Mensche dieser Stadt praktiziert wurde. Auch kommt mir erst jetzt so recht zum Bewußtsein, da sie trotz ihrer eigenen Sorgen und Probleme noch Intresse an einer ehemalige "Njemka" und deren Schicksal haben.
Am vorletzten Tag erwartete man uns in der Zeitungs-Redaktion "Isset". Dor hatte man mein ins Russische übersetzte Buch "Verschleppt nach Sibirien" herausgegeben. Natjas Mann Sascha ist dort Redakteur. Es freute mich zu hören, daß, als nach unserem Besuch 1991 übersetzte Folgen meines Buches in der Zeitung veröffentlich wurden, die Auflage um ein Drittel anstieg. Daraufhin machte ich den Vorschlag, jetzt auc aus meinem, in Königsberg in Russisch erschienenen Buch "Zuhause in Pillkallen" (von der Aktion Freies Deutschland finanziert) Auszüge über unser Leben in Ostdeutschland zu bringen.
In der Redaktion war auch ein Herr im Sonntagsstaat erschienen und stellte sich als "Willi" vor.Er hatte mein Buch gelesen und wollte von mir wissen, ob ich wüßt wo Kurt wohnt. Der Kurt, der mir, wie ich im Buch geschrieben habe, ein kleine Messingherz geschenkt hat. Er hatte einst neben ihm an der Werkbank gestanden, und Kur hatte ihn gebeten, ihm eine Feile zu besorgen, damit er in das Herz etwas eingraviere konnte. So kam also "Dein Kurt" in mein Herz, dessen Inschrift ich aber immer verschämt, nach innen gekehrt trug. Willi schenkte mir dann noch ein Büchlein mit eine von ihm enthaltenen Beitrag und (!) vier große Kartoffeln.
Es gab in diesen Tagen keine Begegnung, von der wir ohne ein Andenken verabschiede wurden; sei es mit einem Buch, informativen Schriften, Anstecknadeln, einer kleine Taschen-Ikone, zwei Sportmützen beim Besuch des Konzertes im Sportstadion und sogar eine antiken Rechenbrett, dem "Abakus", dessen rasante Handhabung mich schon frühe fasziniert hatte.
Ich gestehe, unmittelbar nach den überwältigenden Eindrücken dieser sieben Tag herrscht in meiner Gefühlswelt noch ein kleines Cha-os Ausgerechnet an dem Ort, a dem ich die schwersten Jahre meines Lebens leben mußte, schlug mir eine Welle de Herzlichkeit und des Mitgefühls entgegen, Ehrungen wurden mir zuteil und immer wiede Dankesworte, das Geschehen der Nachkriegszeit den nachfolgenden Generationen in Bewußtsein gerückt zu haben. Schließlich: Im Museum wird an uns Deportierte gedacht unseren Toten ist eine Gedenkstätte errichtet. Gibt es eine in Deutschland? Meine Wissens nicht. Und in jedem historischen Museum wird man bei uns wohl vergeblich nac einer Ecke ausschauen, die diese Problematik behandelt. Was mich aber besonders empört ist, daß während der Verhandlungen um die Entschädigung der Zwangsarbeiter nie ein Wor über die deutschen Zwangsarbeiter gefallen ist, die mit ihrer Arbeitskraf Reparationskosten für Deutschland geleistet haben und auch vom deutschen Staat dafü entschädigt werden müßten. Verlautet ist davon jedenfall nichts.
Bitte, mir persönlich geht es nicht um eine Entschädigung! Aber uns Verschleppt überhaupt nicht zu erwähnen, uns totzuschweigen das haben wir nicht verdient un das schmerzt tief.
Oft stehe ich jetzt vor meinen zwei Birken-Reliefbildern aus sibirischem Stein, zu Abschied vom Werksdirektor und der Ärztin des "Profilaktoriums" erhalten, die mich an die stille Landschaft und die mitfühlenden Menschen erinnern. Können sie da verstehen, liebe Landsleute?
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