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Die Demokratie ist die Macht der Mehrheit." Das Zitat von Tucídided hat die spanische Regierung unter Zapatero wörtlich genommen und läßt die Bevölkerung am 20. Februar über die Europäische Verfassung entscheiden. Eine Verfassung, die den Spaniern nicht nur Vorteile bringt, sie schwächt ihre Position auch durch das neubeschlossene Mehrheitsrecht. Aber wer weiß das schon in Spanien?
Noch vor gut einer Woche hatten 90 Prozent der Menschen nicht die geringste Ahnung über das neue Fundament der Europäer. Sichtlich besorgt über "solch" eine Mehrheit, begann die Regierung vergangene Woche mit einer groß angelegten Kampagne zur Verbreitung der Inhalte der EU-Verfassung. Reichlich spät, meint der Oppositionsführer Rajoy von der Partido Popular und belächelt die kläglichen Versuche des Innenministers Moratinos von der PSOE gerade mal sieben Wochen vor dem Referendum die Inhalte der EU-Verfassung bekannt zu machen.
47 Tage um 170 Seiten zu lesen, zu verstehen und zu verarbeiten. Ziemlich viele Seiten, wenn man bedenkt, daß fast fünf von zehn Spaniern nie Bücher lesen und wirklich passionierte Leseratten gerade mal ein Viertel der Bevölkerung ausmachen. Da ist das kostenlose Verteilen der EU-Konstitution nicht gerade ein geeignetes Mittel, den Menschen ihre Inhalt näher zu bringen.
Das weiß auch Moratinos. Deswegen stützt sich seine Kampagne eher auf das visuelle Medium - das Fernsehen. Immer wieder werden schöne melancholische Spots eingeblendet, in denen berühmte Persönlichkeiten zwei Minuten lang die wichtigsten Sätze der Verfassung (natürlich nur die, die von Freiheit, Gleichheit oder Gerechtigkeit sprechen) vorlesen und dabei wunderbar nachdenklich schauen. Ob allerdings einzelne Zitate den Verfassungstext in seinem vollen Ausmaß der Bevölkerung näherbringen können, das bezweifelt auch Rajoy. Seiner Meinung nach würden nur öffentliche Debatten helfen, um das wichtige Dokument zu verstehen, diese sind aber von der Regierung nicht vorgesehen, könnten sie doch das "Ja zur EU" ins Schwanken bringen.
Positiv und überzeugend soll die Propaganda sein und auch den letzten Uninteressierten erreichen. Da ist auch die große Leidenschaft der Spanier, der Fußball, ein gutes Mittel zum Zweck. Man hat sich mit der Fußballliga geeinigt und darf nun auch die Fans mit der kleinen, nur sechsseitigen Version der Informationsbroschüre über das gewichtige Dokument versorgen. Und sogleich bei dem ersten "Ja zur EU"-Spiel hatten die Kameras der Nachrichtensendungen einige Fans mit dem dünnen Heftchen in der Hand abgelichtet. Aber um zu vermeiden, das es heißt, die Spanier würden eine Wahl über eine sechs Seiten lange Broschüre abhalten, hat man auch die lange Version unters Volks gebracht, denn die komplette Version gab es als kostenlose Beilage zu der Sonntagszeitung.
Ja, Spanien informiert sich. Und Spanien wird "Ja zur EU" sagen. Aber nicht, weil die Spanier an die EU glaubten und von der Richtigkeit überzeugt wären, sondern weil ihre Lieblingsschauspieler, -sänger oder Fußballstars dafür sind, weil alle zehn Minuten ein "Ja zur EU" im Fernsehen in allen möglichen Formen erscheint, weil die Zeitungen ganze Seiten mit Werbung zur EU füllen. Anna Gaul |
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