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Ja, Sie haben schon richtig gelesen: Astana, die neue Hauptstadt Kasachstans in Innerasien, mitten in der Steppe, von einer Kleinstadt aus der Zarenzeit zur Stadt mit 400.000 Einwohnern angewachsen, hat ein eigenes Opernhaus. Im Stil des Bolschoi-Theaters, nur viel kleiner und einfacher, ist es gerade fertig renoviert worden. Foyer wie Opernsaal, mit etwa 380 Plätzen, sind ganz in Weiß und Gold gehalten, goldenes Filigran und Arabesken auf weißem Grund. Geschmackvoll sind gekonnt orientalische Stilelemente wie der berühmte maurische Bogen oder stilisierte Ungeheuer überall eingearbeitet. Das Ganze vermittelt eine vornehm-edle Atmosphäre. So sind, optisch, alte russische Theatertradition mit moderner zentralasiatischer In-nenarchitekt ur zu einer, wie man so sagt, glücklichen Symbiose verschmolzen. Die Astanaer, Kasachen wie Russen - die Bevölkerung besteht hauptsächlich je knapp zur Hälfte aus diesen Völkern -, hat ihr Theater angenommen: Ich war gegen zehnmal da, das Theater war immer zwischen halb bis ganz besetzt. Dafür sorgt ein Programm, das sich sehen lassen kann: Italienische Oper, Russisches Ballett, nationale Oper. Da ist ein Barbier, über den man sich in jedem Opernhaus Europas freuen würde! Nicht nur, daß er wirklich im Sevilla des Barock spielt - Bühnenbild und Kostüme sind einfach gelungen -, eine hübsche Idee ist dem Regisseur zusätzlich eingefallen: Die typischen Figuren der Commedia dell arte, Harlekin, Colombine usw. springen fröhlich durch das Geschehen, von der Ouvertüre bis zum Schluß. Sie drehen Bartolo Nasen, teilen Fußtritte an Basilio aus und ahmen die verliebten Gesten von Rosine und Almaviva nach. So zieht sich ein roter Faden neckischer Einfälle durch die ohnehin urkomische Oper.
La Traviata, ebenfalls ganz im Stil der Zeit, der französischen "Belle Epoque", gehalten, mit prächtigen Kostümen und Dekors, überrascht durch ein wohl einmaliges Ende: Violetta lebt, statt ihr liegt Alfred entseelt auf ihrem Sterbebett!
Ein ähnlich überraschendes Ende nimmt "Schwanensee": Der Prinz stirbt nicht in den Fluten, sondern ist am Schluß mit seiner Schwanenprinzessin glücklich vereint. Sowohl Schwanensee als auch das Ballett Giselle von A. Adam, zwei Klassiker, sind farbenprächtig in Szene gesetzt und, aber wen überrascht das groß in einem ehemaligen Teil Rußlands, warten mit guten und teilweise großartigen Tanzleistungen auf. Prinzessin und Hofnarr könnten auf europäischen Bühnen ohne weiteres glänzen, und auch die Ensembleleistungen - zum Beispiel die berühmten niedlichen vier kleinen Schwäne oder die Gesamtauftritte - sind beachtlich!
Überhaupt: Auch die Gesangesleistungen würden teilweise so manchen Opernchef in München, Wien oder Berlin erfreuen. Guermont und Violetta in La Traviata, Figaro und Rosina im Barbier würden auf unseren Bühnen Karriere machen, die Gesang-Ensembles sind absolut präsent.
Präsent sind auch die Chöre in den kasachischen Volksopern "Birschan und Sarah" und "Kasimbek". Hier sind Regisseure und Künstler in ihrem Element. Die Farben und Formenpracht der Kostüme und Requisiten, die Tanzfreude und Tanzkunst der Großgruppen, ihr ausdruckstarker Gesang und die Musik der Komponisten, eine Synthese zwischen europäischem und orientalischem Klang, immer harmonisch und tonal, all das schafft eine Atmosphäre, der man sich nicht entziehen kann. Auch wenn man nichts versteht - man sieht, hört und ist begeistert.
Begeistert sind auch die Zuhörer allemal. Sie klatschen viel Zwischenbeifall, rufen Bravo und bringen am Schluß Blumen auf die Bühne.
Musikkultur im fernen Eu- rasien - auch Staatspräsident Nasarbayew, hört man, geht gerne in Astanas Oper - haben sicher die meisten, die es aus Europa oder Amerika nach Kasachstan verschlagen hat, nicht erwartet, und so ist die Freude an der Überraschung umso größe |
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