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Das Buch "Uneinig in die Einheit" ist eine überarbeitete Fassung der Dissertation des 33jährigen Autors Daniel Friedrich Sturm und erschien unter Förderung der Willy-Brandt-Stiftung.
Anhand sehr vieler Dokumente und Interviews beschreibt der Autor den recht mühseligen Weg der westdeutschen Sozialdemokraten zur Wiedervereinigung.
Mit Regierungsübernahme der SPD/FDP (1969) wurde die DDR von Bonn staatsrechtlich anerkannt, und im Laufe der Jahre fand man sich in West-Deutschland zunehmend mit der Teilung ab.
Viele SPD-Funktionäre betrachteten sogar die Bundesrepublik kritischer als die DDR, und die fehlende Freiheit dort wurde ausgeblendet. Eine klare Abgrenzung zur SED fiel zusehends schwieriger und - was äußerst nachdenklich stimmen muß - "manch einer in der SPD fühlte sich dabei der SED in der DDR näher denn der CDU im Westen".
Der Autor ist in seiner Kommentierung von überhaus großer Offenheit, voller Selbstkritik und scheut keineswegs peinliche Wahrheiten, die heute allzugern vergessen werden.
Sein Versuch, Brandt als ständigen Verfechter der Einheit hinzustellen, entspricht allerdings nicht der Realität.
Dessen Wort von der Wiedervereinigung als "Lebenslüge" bleibt an Brandt haften. Es gibt darüberhinaus genügend Äußerungen, in denen der SPD-Chef die Einheit als unmöglich und sogar "mit dem Frieden nicht zu vereinbaren" erachtete.
Indes sah er als nahezu einziger SPD-Politiker im Fall der Berliner Mauer das beginnende Ende der DDR und trat nun vehement für die Wiedervereinigung ein - gegen den breiten Widerstand in der eigenen Partei. Besonders Egon Bahr, Berlins Bürgermeister Walter Momper und Horst Ehmke beharrten auf den Status quo.
Ein Grund war, so der Autor, daß den "Enkeln" Brandts ein Mailand näher lag als ein Magdeburg; dies waren primär Oskar Lafontaine sowie Gerhard Schröder.
Der SPD-Parteitag im Dezember 1989 wurde, wie Daniel Sturm schreibt, zum "Höhepunkt deutschlandpolitischer Verwirrungen": Brandt trat euphorisch für die Einheit ein, Lafontaine wandte sich kämpferisch dagegen, und Momper warnte vor einer Beteiligung "an einer Wiedervereinigungskampagne".
Brandt machte keinen Hehl aus seiner Enttäuschung: "Es wäre ihm schwer geworden", zitiert das Protokoll, "Ehrenvorsitzender zu bleiben, wenn sich die Partei in der nationalen Frage nicht einig zeige."
Neben dem sich überstürzenden Vorgängen in Mitteldeutschland war es wohl dieser Appell, der bewirkte, daß die Befürworter eines schnelleren Tempos auf dem Weg zur Wiedervereinigung schließlich auch in der SPD dominierten.
Als in der Nacht zum 3. Oktober 1990 eine Million Deutsche vor dem Reichstagsgebäude das "Fest der Einheit" begingen, reichte Brandt allen anwesenden Politikern die Hand - außer Oskar Lafontaine.
Daniel Friedrich Sturm: "Uneinig in die Einheit", Dietz-Verlag, Bonn 2006, Hardcover, 520 Seiten, 29,90 Euro 5816 |
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