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Es war in den Nachkriegswirren des Jahres 1948. Meine Mutter und mich hatte es in das kleine Haffdörfchen Loye verschlagen. Hier wurden alle noch lebenden deutschen Bewohner aus der Umgebung zusammengezogen, um dann irgendwohin weitertransportiert zu werden. Mutter und ich wohnten in einem Zimmer mit dem Hausbesitzer Windeit, einem Fischer, zusammen. Windeit hatte seinen kleinen Handkahn irgendwo wiedergefunden, auch das dazugehörige Segel war noch vorhanden. So planten er und ich nach dem nicht sehr weit entfernten Heydekrug zu segeln, um dort in Litauen auf dem Markt einige Fische und leere Kapselflaschen gegen Kartoffeln und etwas Fett einzutauschen. Bei gutem Wind kamen wir aus dem Loyestrom in das Kurische Haff, segelten an der Karkeler Bucht vorbei, kamen in den Skirwieth-Strom, dann in den Ruß-Strom und schließlich in die Sziesze bis in den Heydekruger Hafen. Schon während des Tauschgeschäftes zogen bedrohlich dunkle Wolken auf, der Wind begann aufzufrischen, Frühlingskälte breitete sich aus.
Schnell machten wir uns auf die Heimfahrt. Stromab kamen wir gut voran. Als wir aber aus dem Skirwieth-Strom kamen, heulte uns der Sturm entgegen, und Regen prasselte auf uns hernieder. So war keine Möglichkeit, auf das Haff hinauszukommen. Wir holten das Segel ein und suchten mit dem Boot Schutz im ufernahen Rohr. Windeit hoffte, daß sich der Wind gegen Abend legen würde. Es sah auch so aus, und da wir durchnäßt entsetzlich froren, wagten wir uns auf das offene Wasser. Im Schutz des Ufers segelten wir anfangs ruhig dahin.
Doch dann packte uns der Westwind mit voller Wucht. Unser kleines Boot wurde seitwärts bis fast an die Wasseroberfläche gedrückt. Wir atmeten auf, als es sich wieder aufrichtete. Doch dann rollte eine große Welle auf uns zu und drohte uns zu vernichten. Windeit reckte sein kantiges Kinn vor, packte die Ruderpinne ganz fest, gab dem Segel viel Spielraum, und schon ritten wir auf der Welle, aber dann ging es steil hinunter. Windeit gelang es mit aller Kraft, das Boot nun senkrecht zur Welle zu stellen, aber da rollte schon die nächste an. Ihr Vorläufer schwappte zum großen Teil in unser Boot. "Marjell, schepp", wurde mir befehlend und zugleich flehend zugerufen. Das Wasser stand mir bis zur Wade. Die nächste Welle wäre unser Untergang gewesen. So lange hatte ich mit der hölzernen Wasserschippe gearbeitet. Nun packte ich einen leeren Marmeladeneimer, kniete mich auf den Schiffsboden und schöpfte, schöpfte ... Eimer um Eimer aus dem Boot in das tobende Wasser.
Windeit war es inzwischen gelungen, das Boot wieder herumzureißen, wir ritten wieder auf einer Welle, die nächste schwappte wieder in das Boot. "Marjell, schepp, Marjell, schepp", drang es immer wieder an mein Ohr. Meine Arme waren entsetzlich müde, ich wollte aufgeben. Da wurde der Notruf zu einem Befehl: "Marjell, schepp!" Ich schreckte auf, sah ein entsetzlich müdes Gesicht und doch die Entschlossenheit, nicht aufzugeben. So schöpfte ich wieder und wieder. Kaum waren die Planken des Bootsgrundes zu sehen, schwappte die nächste Welle über den Bootsrand.
Ich weiß nicht, wie lange wir so gegen Wind und Wellen kämpften, bis wir endlich beim Dörfchen Karkeln das rettende Ufer erreichten. Erschöpft kauerten wir in unserem Boot. Wir waren noch einmal davongekommen. Wie wir dann auf einem kleinen Kanal die letzten etwa sieben Kilometer bis zum Dörfchen Loye geschafft haben, entzieht sich meiner Erinnerung. Es wurde auch nie mehr darüber gesprochen. |
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