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Vor vielen Jahren wurde mir von meinem Freund diese unglaubliche Geschichte zugetragen: "Nach den Kriegswirren fand ich mich an der sogenannten Zonengrenze, die das Land in Ost und West teilte. Über Generationen gewachsene Strukturen wurden zerschlagen; Eltern von Kindern getrennt, freundschaftliche Bande zerstört. Hautnah erlebte ich die Tragödie dieser Region", so erzählte mein Freund.
"Die Nachkriegszeit brachte eigene Moralvorstellungen hervor, Egoismus war das Gesetz der Stunde. Schwache blieben auf der Strecke. Alles, was wert und teuer, lag danieder, doch der Schwarzmarkt blühte. Nach mehrmaligen mißlungenen Versuchen, auf diesem Markt erfolgreich zu sein, gab ich es auf und wandte mich weniger spektakulären Aufgaben zu. Die Ersparnisse waren aufgebraucht, nun war ich gezwungen, mich nach einem Brotverdienst umzusehen.
Mit Festanstellung und Pensionsberechtigung lockte ein Plakat zum Eintritt in den Polizeidienst. Ich nahm das Angebot wahr, und so begann rein zufällig meine Laufbahn bei der bayerischen Grenzpolizei. Im Grenzgebiet tummelten sich damals die Spionagedienste der ehemaligen Waffenbrüder und erschwerten so den illegalen Grenzübertritt. Doch auf Schleichwegen fanden die Menschen aus dem Osten - Wanderer zwischen den Welten - immer noch ein Loch, um zu den Verwandten in den Westen zu gelangen.
Auf der westlichen Seite der Grenze hatten die Amerikaner das Sagen; sie hatten das Recht, verdächtige Personen vorläufig festzunehmen und zu verhören, in der Absicht, Kenntnis über das Verhalten der sowjetischen Truppen zu langen. Ein Leutnant der amerikanischen Spezialeinheit war Mr. Eagle (Adler). Ein Mann, der so einen Namen führt, sei besonders prädestiniert für das Spionagehandwerk, könnte man meinen. Jedes Mal wenn er auf seinen Dienstfahrten die Besatzung unserer Grenzstation besuchte, überreichte er uns mit gönnerhafter Geste Whisky, Zigaretten und sonstige Raritäten. Wegen seiner Großzügigkeit nannten wir ihn den spendablen Onkel aus USA.
In der kleinen Bürger- und ehemals herzoglichen Residenzstadt ließ es sich gut leben. In der intimen Atmosphäre fühlte man sich geborgen, es blieb aber auch nichts verborgen. Auch ohne Schlagzeilen in Boulevardzeitungen wanderten die Neuigkeiten von Haus zu Haus. Und auf diesem Wege erfuhr man in der kleinen Stadt so manches Interessante und auch Amüsante aus dem herzoglichen Haus. Bei den Wohlgeborenen ging es gar nicht immer wohlgeboren zu. Auch dort gab es schwarze Schafe wie bei den Bürgerlichen. Die eine der Prinzessinnen war folgsam und brav, hielt sich an den Rat des Vaters, verließ die Heimat und heiratete den Thronfolger eines europäischen Königshauses. Ihre Schwester dagegen war ganz und gar das Gegenteil. Mit Übermut und überschwenglichem Temperament genoß sie das Leben in vollen Zügen und pfiff auf die Hofetikette. Eines Tages ging dann über das Enfent terrible des Hauses folgende Kunde um: Haben Sie schon gehört, die Prinzessin strippt bei den Amis!
Doch zurück zu Mr. Eagle. Als ich ihn näher kennenlernte, machte ich eine überraschende Entdeckung: Mr. Eagle zeigte sich mehr als Täubchen, denn als Adler. Sollte es ein Zeichen seiner Freundschaft sein, oder wollte er mir einfach einen Gefallen tun? Jedenfalls lud er mich eines Tages zu einem Galaessen in die Offiziersmesse ein. Ich kam mir ziemlich deplaziert vor zwischen den goldbetreßten und dekorierten Leuten. Doch sie ließen mich meine Zweitrangigkeit nicht spüren. Es wurden Köstlichkeiten aufgetischt, die ich bisher nur dem Namen nach kannte. Mr. Eagle beugte sich zu mir und flüsterte: ‚Aber der Höhepunkt des Abends kommt erst noch .
Harte Getränke lösten die Zungen, so kam Leben in die Männergesellschaft. Dann verließ einer der Offiziere, es schien wohl der Rangälteste zu sein, den Raum, kam aber bald wieder zurück und verkündete enttäuscht: ‚Die Prinzessin läßt sich entschuldigen, sie ist indisponiert, wünscht uns aber trotzdem einen amüsanten Abend! Ach, das war das Geheimnis, welches mir Mr. Eagle so verheißungsvoll angekündigt hatte. Und ausgerechnet heute mußte der pikante Auftritt ausfallen - so ein Pech auch, dachte ich nur. Aber was soll s schon, man muß manchmal auch unerfüllte Wünsche ins Reich der Träume versenken können."
Als ich nach Jahren meinen Freund wiedersah und wir uns des mißglückten Amüsements erinnerten, gab ich ihm zu verstehen, daß es zwischen einer strippenden Prinzessin und einer strippenden Bürgerlichen wohl keinen wesentlichen Unterschied gibt. "Da habe ich ja nichts versäumt!", sagte mein Freund erleichtert.
Der Neidenburger Horst Mrotzek starb am 27. April nach langer Krankheit im Alter von 78 Jahren.
Chaussee in Ostdeutschland: Hier zogen vor 60 Jahren die endlosen Trecks der Flüchtlinge Richtung Westen. |
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