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Militarisierte Gesellschaft

 
     
 
Das kürzlich im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes in Potsdam herausgegebene Buch vermittelt ein umfassendes Bild über die DDR-Streitkräfte. Man übertreibt nicht mit der Feststellung, daß es sich dabei um die beste Veröffentlichung handelt, die auf diesem Gebiet bisher erschien.

Zutreffend wird festgestellt, daß in der DDR mit fast zehn Prozent ein größerer Prozentsatz der Erwachsenen in militärischen und paramilitärischen Organisationen erfaßt worden ist als in jedem anderen Staat des Warschauer Pakt
es und daß elf Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Absicherung des Regimes gegen äußere und innere Gegner verwandt wurde. Damit gehörte die DDR zu den "militarisiertesten Gesellschaften der Welt". Aufgabe der NVA war primär, das Machtmonopol der SED zu erhalten, besaß diese doch keine wahre Massenbasis in der eigenen Bevölkerung und verfügte angesichts der offenen deutschen Frage - im Gegensatz zu allen anderen Ostblockstaaten - nicht über eine eigene nationale Identität.

Als Staatspartei hatte die SED uneingeschränkten Zugriff auf die Streitkräfte, ihr Politbüro verfügte de facto ebenfalls in allen militärischen Fragen über die höchste Entscheidungskompetenz. Mußte man durchschnittlich mit einem Stasi-Spitzel auf 100 DDR-Bewohner rechnen, so lag das Verhältnis in der Armee bereits bei 1:20! Besonders kraß war dies in den Grenztruppen, die ständig zum "Vernichten" von DDR-Flüchtlingen aufgefordert wurden. "Ihr schießt nicht auf Brüder und Schwestern, wenn Ihr mit der Waffe den Grenzverletzer zum Halten bringt", tönte ein Politbüromitglied, und ein hoher NVA-Offizier ergänzte, dabei "darf es kein Zögern, keine Unentschlossenheit geben!" Im Gegensatz zum offiziellen Propagandabild zeigten interne Untersuchungen kein sehr optimistisches Bild: Denn war die "Armee des Volkes" auch durch strenge Kasernierung weitgehend vom Volk abgeschnitten, so blieb sie von dessen Stimmungslage keineswegs unberührt. Mit Beginn der 80er Jahre jedenfalls gingen die Loyalität der Soldaten zum eigenen Staat wie gerade auch die Wehrmotivation auffällig zurück.

Einen aktiven Beitrag zu den Umwälzungen in der DDR im Herbst 89 hat die NVA nicht geleistet, sie tat andererseits aber auch nichts für den weiteren Erhalt des SED-Regimes. Sie griff nicht ein, weil sie gewohnt war, erteilten Befehlen zu gehorchen - die indes ausblieben. Die schwerwiegende Frage, ob die Soldaten notfalls auf die eigene Bevölkerung geschossen hätten, wird im Buch unterschiedlich beantwortet. Zumindest waren viele Wehrpflichtige dazu nicht mehr bereit.

Hans Ehlert, Matthias Rogg (Hrsg.), "Militär, Staat und Gesellschaft in der DDR", Links Verlag, Berlin 2004, geb., 740 Seiten, 34,80 Euro

 
     
     
 
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