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Ein "Ausrutscher" sei es gewesen, mehr nicht und folglich kein Grund zur Aufregung - so versuchte der amerikanische Botschafter in Berlin die Äußerungen des US-Verteidigungsministers herunterzuspielen. So leicht kann man es sich machen: Erst ein kräftiger Tritt vor s Schienbein, dann ein joviales "Sorry, war nicht so gemeint, good old Europe ..."
Aber so leicht sollten wir es diesen Pax-americana-Cowboys nicht machen. Wenn es "nicht so gemeint" war, warum hat Mister Rumsfeld es dann so gesagt?
Old Europe, altes Europa - das plappern Amerikaner nicht so einfach daher, ohne sich etwas dabei zu denken. Mancher denkt sich dabei sogar einiges mehr als der Poltergeist aus dem Pentagon . Old Europe, das drückt in knappen Worten vielfältige, widersprüchliche Empfindungen und Ansichten aus, von tiefster Bewunderung bis zum primitivsten Neid.
Es ist eine immer wieder interessante und eindrucksvolle Erfahrung, gegenüber amerikanischen Gesprächspartnern von unseren kulturellen Schätzen zu schwärmen, von unseren Altstädten mit den Häusern aus dem 17. Jahrhundert, von den deutschen Burgen und französischen Schlössern aus dem 14., den gotischen Kathedralen aus dem 12., den römischen Wasserleitungen und Arenen aus dem 2. oder gar den griechischen Tempeln aus dem 5. vorchristlichen Jahrhundert. Oft enden solche Gespräche in der Sprachlosigkeit des Gegenübers; der kluge Amerikaner schweigt, weil er genau weiß, daß seine Geschichte, von heute aus betrachtet, da endet, wo die unsere gerade erst so richtig anfängt. Der weniger kluge Amerikaner versucht, die eigene Geschichtslosigkeit mit einfältiger Gigantomanie zu kompensieren - oder mit Aggressivität. Letztere Kategorie scheint in der derzeitigen US-Administration tonangebend zu sein.
Sollen wir uns nun also wie ein einig Volk von beleidigten Leberwürsten um unseren friedliebenden Kanzler scharen? Nein, das haben wir nicht nötig, und so viel der Ehre hat dieser Mister Rumsfeld auch nicht verdient. Jawohl, wir sind "das alte Europa", und darauf sind wir stolz. Wir haben unsere ganz, ganz "alte" Geschichte, und den Stolz darauf lassen wir uns auch durch jahrzehntelange Umerziehung nicht austreiben. Wir sollten aber auch darauf achten, uns unsere Geschichte nicht abkaufen zu lassen.
Hat man je vernommen, daß Deutsche oder Franzosen, die Taschen prall gefüllt mit Euros, durch die "neue Welt", jenes merkwürdige Land der kaum begrenzten Unmöglichkeiten, rasen und sich - koste es, was es wolle - kulturelle Identität zusammenkaufen? Nein, bislang waren es stets Amerikaner, die am liebsten mit ihren Dollars gleich das ganze "alte Europa" gekauft, verschifft und in Las Vegas wieder aufgebaut hätten. Daß es bislang nur zu einer kitschigen Kopie von Venedig gelangt hat, erweckt mehr als nur klammheimliche Schadenfreude.
Doch sollten wir die Gefahr nicht unterschätzen. Wo Geld und Wirtschaftskraft - beides in Amerika überreichlich vorhanden - nicht zum Ziel führen und man (noch) nicht zur Waffe greifen will, werden subtilere Waffen eingesetzt, zum Beispiel die schleichende kulturelle Unterwanderung. Man denke nur an die zunehmende Dominanz eines der klassischen englischen Sprache entfernt ähnelnden Kauderwelschs, an den pseudokulinarischen Vormarsch von McDonald und Coca Cola, an die totale Anglisierung der Unterhaltungsbranche, schließlich an die Amerikanisierung der Politik, nicht nur der Wahlkämpfe: Die handelnden Personen und Parteien sind kaum noch unterscheidbar; um zu wissen, wer welcher Volkspartei angehört, muß man genauer auf Frisur oder Krawatte schauen als auf Inhalte und Programme.
Natürlich ist auch nicht alles schlecht, was da über den "großen Teich" kommt. Schließlich sind die Amerikaner nicht "vom Himmel gefallen", sondern größtenteils europäischer Abstammung. 60 Millionen US-Bürger zählen Deutsche zu ihren Vorfahren, und die junge Geschichte dieses Landes war in wichtigen Phasen deutlich preußisch geprägt. Und auch wenn heute die negativen Einflüsse klar dominieren, so darf man doch nicht vergessen: Zur Hegemonie gehören immer zwei - einer, der am liebsten die ganze Welt beherrschen will, und der andere, der sich beherrschen läßt und leider allzu oft auf den erforderlichen (und möglichen) Widerstand verzichtet.
Stolz auf unsere so herrlich alte Geschichte, gesundes Selbstbewußtsein ohne Überheblichkeit und Arroganz - das wäre die passende Antwort von uns Europäern, insbesondere uns Deutschen, auf Bushs Säbelrasseln und Rumsfelds verbale Kraftprotzerei - zumal dahinter nicht viel mehr steckt als tiefsitzende Minderwertigkeitskomplexe gegenüber "good old Europe". |
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