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Hier wird eitel der Bart gezwirbelt, dort eifrig gefensterlt. Ritt da nicht ein nackter Putto auf blankem Pferderücken? Würden nicht an allen Ecken pausbäckige Engel schweben, man täte sich schwer zu glauben, auf einem Adventmarkt zu sein. St. Gilgen am Wolfgangsee hat dem besinnlichen Kugel-Sternchen-Schleifen-Schema bewußt den Rükken gekehrt und etwas Neues, in seiner Art Einzigartiges , gewagt. Das Dorf - schließlich steht hier das Geburtshaus von Wolfgang Amadeus Mo-zarts Mutter - vertraute sich der Künstlerin Raja Schwahn-Reichmann an.
Die an der Wiener Akademie der Bildenden Künste geschulte Malerin lernte bei ihrem Studium mit Schwerpunkt Restaurierung die Klassiker der Kunstgeschichte und ihre Maltechniken kennen, schätzen und lieben. Ihr Faible fürs Barocke kann sie dabei nicht verbergen. Ganz im Gegenteil, sie zelebriert den Stil der Sinnenfreuden in vollen Zügen - privat ebenso wie beruflich. "Ich bin die Wiedergeburt des Barock", sagt sie. Nutznießer sind Organisatoren von Festen und Bällen, Film- und Theaterregisseure oder Privatleute, bei denen es ihr gelingt, sogar Küchen und Bäder durch Fliesen und Reliefs aus eigener Produktion in Kunstwerke zu verwandeln.
Seit Raja Schwahn-Reichmann für Mariazell in den steirischen Bergen eine Krippe schuf, hat sich der Kreis ihrer Fangemeinde weiter vergrößert. Erfreut stehen jetzt auch Weihnachtsmarktbesucher vor Rajas mit großem Schwung und unglaublicher Leichtigkeit gemalten Figuren. Dabei spielt die Künstlerin virtuos mit der Dreidimensionalität: eine Liebeserklärung an das barocke Verwirrspiel der Sinne.
Hinter den menschlichen Illusionen steht real gut verleimtes, wetterfestes sechs Millimeter starkes Sperrholz, doppelt geschützt durch die Acrylfarben und den guten Lack. Aus dem weichen Material schneidet Raja mit leichter Hand sogenannte Chantourné. So hießen die ausgesägten, gemalten Figuren im Barock, wo man sie unter anderem für Opernaufführungen verwendete. Auf Scheinarchitekturmalerei- oder Scheinvertäfelungsteile aufgesetzt, täuschen sie das Auge des Betrachters doppelt. Herausragendes Beispiel dieser von Raja Schwahn-Reichmann bevorzugten barocken Illusions-Technik ist übrigens das Wiener Lustspielhaus, dessen Außengestaltung jährlich wachsen und variieren soll - immer in Bezug auf das aktuelle Programm.
Welchen Bezug nun St. Gilgens Reime zum Advent haben, bleibt Rajas Geheimnis. Heiterkeit jedoch gehört zum "Gesamtkunstwerk", mit dem die vielseitige Künstlerin die Menschen hier in der Vorweihnachtszeit verzaubert. "Im Anwärts wird gefensterlt, Im Summer wird geliebt, Im Herbst wird geheirat, Und im Winter wird gewiegt" ist an der Schokofrüchte-Hütte zu lesen. Oh, süße Laster! Es ist nicht auszuschließen, daß die Gilgener Früchte im Kakaoanzug ganz spezielle Glückshormone aktivieren. Die schön gemalte Wiege mag manchem da eher eine Warnung sein.
"Geld hama ganua, so wie die Frösch Hoar, und a Wetter dazua, daß d schwitzt unter der Nasen - zuwas manche a Rotzbremsen tragen", heißt es an der Glühwein-und-Punsch-Hütte. Nun mag mancher beim Konsumieren der heißen Getränke ins Schwitzen geraten, selbst wenn am Wolfgangsee die Alkoholfreiheit dieser Drinks durch jährlich neue Mixturen geradezu zum Markenzeichen geworden ist. Bleibt nur zu wünschen: "Prost auf einen fröhlichen Advent!"
Der Wolfgangseer Advent findet in St. Gilgen, St. Wolfgang und Strobl jeweils freitags, sonn-abends und sonntags noch bis zum 23. Dezember statt. |
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