|
Dieses, ihr Leute, geschah in den Abendstunden eines noch gar nicht so fernen Tages. Und erst als der Garderobenspiegel in handlichen Stücken weit verstreut auf dem Fußboden lag, gab ich wieder Ruhe. Setzte mich auf die Couch und zündete mir zufrieden eine Zigarette an. Der Frieden jedoch währte nur kurz ...
"Der Hund muß noch mal raus!" Ilse hatte es spät am Abend gesagt und demonstrativ in meine Richtung gesehen. An jenem Abend nützten auch keine Mutwilligkeiten wie verdrossenes Seufzen oder gar gequältes Stöhnen. "Ein wenig Bewegung schadet dir gar nichts", hatte sie gezankt, "schau nur in den Spiegel, du wirst ziemlich rund." Rundlich hin und rundlich her, ihr Leute, das läßt sich kaschieren. Am unauffällig sten wirkt es, wenn man sich beim Anziehen der Schuhe auf die zweite Treppenstufe setzt. Da braucht man sich nicht so tief zu bücken, und die Atmung wird weniger belastet ...
"Um Himmels willen, zieh doch nicht schon wieder die alten Latschen an. Du läufst immer herum, als hätte man dich irgendwo ausgegraben." - "Aber Ilse, es ist doch stockdunkel, und sie drücken wenigstens nicht." Ilse blieb unerschütterlich. "... und den neuen Mantel zieh dir auch ruhig über, der alte riecht schon reichlich muffig."
Die Straßen glänzen still und dunkel im Neonlicht. Der Hund trottet wie immer seinen Weg, die Nase tief am Boden. Es ist ein liebes Hundchen, das ich habe. Sogar mit einer Art Herkunftsnachweis: "Ronja von Oldenau" steht darin geschrieben. Aber das nützt nicht viel. Draußen frißt mir das Luder jeden Dreck. "Pfui, du Schweinehund! - Spuckst du das wieder aus!" Ihr scheeler Blick zeigt Unverständnis.
Drüben, im Lichtschatten einer Laterne, erschnüffelt sich ein weiteres fellbedecktes Wesen den Weg. "Komm, Ronja, wir wechseln lieber auf die andere Straßenseite. Womöglich hat das struppige Biest noch Flöhe und andere schlimme Sachen. - Und schau nur, was für ein bärtiges Maul er hat. Sieht aus wie ein entsprungener Sträfling."
Augenblicklich aber taucht noch jemand aus dem Lichtschatten heraus. Hochhackige, rote Schuhe trägt sie, und die blonden Haare umspülen wie eine ungebändigte Flut geschmolzenen Goldes ihren Mantelkragen. "Nun, Ronja, zieh doch nicht so närrisch! Warum willst du dummes Luder so plötzlich auf die andere Straßenseite? Schau doch nur, was für ein liebes, süßes Hündchen dort auf dich wartet. Willst du dich nicht mit ihm bekanntmachen?"
Auch die fremde Dame signalisiert Sympathie. Der Schicklichkeit gebietend natürlich erst für den Hund. "Sie führen ja ein überaus entzückendes Tierchen durch den Abend", beginnt sie das Gespräch.
Die Blicke der blonden Dame springen vom Hund auch sogleich zu mir herüber. Mustern wohlgefällig die neuen Schuhe und die zehnprozentigen Kaschmiranteile des Mantels. "Es ist überaus klug, sich noch einen Mantel überzuzuziehen", bestätigt sie unaufgefordert, "die Abende sind reichlich kühl." Als Antwort genügt eine lässige Handbewegung. Es soll so etwas andeuten wie: Na ja, man braucht nicht zu hungern und zu frieren. Die fremde Dame mit den hochhackigen Schuhen versteht ...
Auch sonst verstand ich mich mit der blonden Dame ganz ausgezeichnet. "Doch ... doch!" nickte sie aufmunternd, "ich gehe gern mal abends ins Kino. - Aber alleine ..."
Mein Hund, liebe Leute, ist eine ausgesprochene Schande für das gesamte Tierreich. Trotz seiner protzigen Ahnentafel. Hätte er sich mit dem bärtigen Köter nicht ebenfalls vertragen können? Beileibe, so etwas fiel ihm gar nicht ein! Wie aus purem Schabernack stellte er die Nackenhaare hoch, knurrte drohend, und als auch das nichts half, schnappte er kurzerhand nach der Nase seines Gegenübers.
Die blonde Dame erschrak noch mehr als ihr zotteliger Begleiter. "Ooooohhh!" hauchte sie empört. Schnell zog sie ihren verängstigten Schützling aus der Gefahrenzone. "Schönen Abend noch!" zischte sie von weitem.
Mit dem blöden Tier sprach ich lange Zeit kein Wort. Nahm ihn dafür fest an die Kandare. "Hier, bei Fuß jetzt ...!" Die schlechte Laune besserte sich erst wieder, als aus einer der Seitenstraßen eine weitere weibliche Person in Erscheinung trat. Auch sie führte etwas Haariges an der Leine. Diese Frau jedoch winkte schon vertraulich mit beiden Armen. "Teufel auch!" schnalzt man in solchen Augenblicken mit der Zunge, "die macht es dir aber leicht ...!"
Näher und immer näher eilten die Schritte heran. Und einem Erdbeben gleich fuhr der Schreck durch sämtliche Gliedmaßen ... Das faltige Gesichtchen, welches so fröhlich heraneilte, glich denn auch eher einem schrumpeligen Bratapfel als der harrenden Erwartung. Zu allem Unglück kannte diese dreiste Person weder Scham noch Schande. Nur wenig später hing sie an meinem Mantelkragen und hauchte ein vertrauliches "Klaus-Dieter" in die Kaschmirwolle.
Die Verständnislosigkeit breitete sich nun in alle Richtungen aus. In dieser vollen Namensgebung hatte seit langem niemand mehr mit mir gesprochen. Wie schwere Mühlsteine, so ächzend und knarrend, drehten sich die Gedanken. Als letzten Ausweg flüchteten die gepeinigten Sinne in erleichternde Fiktionen: Wahrscheinlich doch ...! Und wie zur Bestätigung jetzt noch einmal einen gewagten Blick in das runzelige Gesichtchen hinein und auch auf das ergraute Haar, welches sich widerspenstig tief in die Stirn gelegt hatte. Ja, wahrlich doch! Wahrscheinlich war sie eine der zahlreichen Bekannten meiner Mutter. Und wahrscheinlich würden gleich wieder die Worte über ihre Lippen kommen: Sag, kennst du mich nicht mehr? - Schon als kleinen Hosenmatz habe ich dich auf den Armen getragen ...
"Sag, kennst du mich nicht mehr?", so öffnete das Weiblein dann auch wirklich ihre Lippen, "ich bin doch die Monika. - Wir beide haben zusammen die Schulbank gedrückt ...!" ...
Ilse drängelt schon wieder. Sie will unbedingt einen neuen Garderobenspiegel. Aber ihr Leute, mit dem laß ich mir noch Zeit. Erst muß auch noch etwas Geld angespart werden. Diesmal kaufe ich nämlich nur das Beste vom besten. Aus echtem Kristallglas muß dieser Spiegel sein, und handgeschliffen. Von diesem billigen Dreck habe ich endgültig die Nase voll. Die verzerren bloß fürchterlich die Gesichter ... |
|