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Plötzlicher Wetterwechsel

 
     
 
Nach einem Frühstück ohne jede Hast, so gemütlich und geruhsam, wie es sich eben Ruheständler leisten können, freute ich mich schon auf einen ebenso ungestörten, langen Lesevormittag. Daher kam es mir gar nicht gelegen, als meine Frau unvermittelt vorschlug: "Eigentlich sollten wir dieses Wetter nutzen und mal wieder so richtig ausgiebig spazierengehen. Die Bewegung an der frischen, wenn auch frostigen Luft tut uns bestimmt gut, und die Sonne zieht ja unwiderstehlich ins Freie."

In der Tat, die Sonne war mit einem zarten Hauch von Rosenrot aufgegangen, doch da es mich weitaus stärker zum noch aufgeschlagenen Buch "Stille Jahre in Gertlauken" als nach draußen zog, mußte ich mir eine überzeugende Ablenkung einfallen lassen. "Das Wetter können wir zwar nicht beeinflussen, eine altbekannte Weisheit, aber warten können wir, abwarten, bis wir wieder ein einigermaßen leidliches Wetter haben." Mit einer bloßen Erwähnung des eisigen Ostwindes konnte ich meine Frau kaum beeindrucken. Da mußten schon seine sichtbaren Auswirkungen als Beweis her. Deshalb lenkte ich ihren Blick und ihre Aufmerksamkeit auf das gegenüberstehende Haus. Dort stieg aus dem Schornstein dicker, weißer Rauch, der sofort von dem scharfen Ostwind gepackt, mitgerissen und nach wenigen Metern zerfetzt und spurlos verwirbelt wurde.

Jetzt gilt s, dachte ich mir. "Solch ein ungestümer Sturm sticht wie mit spitzigen Nadeln ins nackte Gesicht, reißt, zieht und zerrt an der Kleidung und zwängt sich mit Vorliebe durch Knopflöcher und Strickmaschen. Nicht einmal die Krähen wagen sich aus ihrem Versteck!" Mir selbst lief es bei dieser absichtsvollen Übertreibung ein ums andere Mal eiskalt über den Rücken, nicht so meiner Frau!

Die abschreckende Wirkung blieb aus. Statt dessen ließ der abwesende Blick vermuten, daß ihre Gedanken weit über das Dach des Nachbarhauses hinausgingen. "Weißt du noch?" (Es folgte ein Kosewort.) "Als wir vor Jahren regelmäßig in den Winterurlaub fuhren, hoch in die Berge, der Schneesicherheit wegen, ach war das schön, ach ja ..."

Sekunden nur, dann wechselte diese versonnene Stimmung abrupt in ein entschlossenes Handeln. "Wir müssen uns nur richtig anziehen, so wie im Winterurlaub. Die warmhaltenden Sachen müssen im Keller sein, warte nur, du wirst sehen, ich finde sie!" Und schwups war sie fort.

Nach einer langen Weile tauchte meine Frau quietschvergnügt aus dem Keller auf, die ersten "Fundsachen" - Schals und Pudelmützen - wie eine Trophäe über dem Kopf hin- und herschwenkend. "Jetzt nehme ich mir die anderen Schränke und Regale vor." Meine Versuchungen zu einer doch verdienten Ruhepause verhallten unbeachtet. Meine Frau drehte sich zielstrebig um und entschwand stufenweise meinen Blicken. Insgeheim staunte ich über einen solchen Tatendrang, den ein einziger Gedanke auszulösen vermochte.

Dieses Treppab, Treppauf wie-derholte sich noch einige Male. Nach und nach stapelte sich neben dem Eßtisch die komplette Winterausrüstung früherer Winterurlaube. Das Treppensteigen und die vielen ungewohnten Kniebeugen beim Durchsuchen von Ecken und Winkeln gaben den sonst so flinken Beinen wohl eine auffallende Schwere, als wären die Schuhsohlen aus purem Blei.

Meine Frau setzte sich. "Hiermit habe ich für heute meinen Spaziergang getan, und da die Winterkleidung jetzt sofort greifbar ist, können wir morgen nach dem Frühstück unverzüglich aufbrechen. Sorgfältig warm eingemummt, werden wir jedem Eissturm und noch so strengem Frost trotzen!"

Zufrieden mit dem Ergebnis ihres hartnäckigen Suchens schaltete meine Frau das Radio ein. Doch statt klingender Melodien hörten wir gerade noch die letzten Worte der Wettervorhersage: "... warme Luftströmung
mit Erwärmung auf zehn bis zwölf Grad, am Rhein bis frühlinghafte 15 Grad!"
 
     
     
 
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