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Poesie der Stille

 
     
 
Drei Musen haben bei meiner Geburt wenigstens kurz meine Wiege umstanden", hat Norbert Ernst Dolezich, der Graphiker, Erzähler und Lyriker einmal gesagt. "Ich habe noch als junger Mann oft nicht zu sagen vermocht, was mich stärker im Innersten traf, musikalische Klänge, Farben oder ein poetisches Wort. Es wurde aber bald offenbar, daß ich musikalisch aufnahmebreit, aber nicht schöpferisch war, daß sich meine Hände bildend regen wollten und später Verse einfanden, die ich nicht gerufen hatte." Aus dem schmächtigen, kränkelnden Jungen wurde ein Künstler, der mit sicherem
Strich Landschaften ebenso auf die Radierplatte bannte, wie er mit dem Zeichenstift präzise das festhielt, was er am Wegesrand entdeckte oder was er als Vision in seinem Innern schaute.

Geboren wurde Norbert Ernst Dolezich vor 100 Jahren, am 16. Februar 1906, im oberschlesischen Bielschowitz; in Orzegow bei Beuthen wuchs er auf, in einer Landschaft, die vom Steinkohlebergbau geprägt war; die Menschen waren arm und mußten erbittert um ihren Lebensunterhalt kämpfen. Auch Dolezich war in seiner Kindheit und Jugend nicht auf Rosen gebettet, und so scheint es wie ein Wunder, daß es ihm allen Zeitum-ständen und gesundheitlichen Beschwernissen zum Trotz letztlich doch gelang, seinen Weg zu machen.

Von 1929 bis 1931 besuchte Dolezich die Königsberger Kunstakademie, wo vor allem Fritz Burmann und Heinrich Wolff seine Lehrer waren. An der Albertina studierte er darüber hinaus bei Wilhelm Worringer Kunstgeschichte. In Berlin und Köln-Deutz folgten weitere Studien. Eine harte Zeit für den jungen Mann, der immer wieder um seine Gesundheit kämpfen mußte. Krankheit bedeutete letzt-endlich für Dolezich aber auch Glück: er wurde nicht eingezogen, als der Zweite Weltkrieg ausbrach, sondern konnte an Gymnasien in Mehlsack, Allenstein und Insterburg unterrichten. In Königsberg schließlich wirkte er neben seiner Tätigkeit als Lehrer an der Burgschule von 1941 bis 1945 als Dozent für Graphik an der Kunstakademie.

Auch in Nordrhein-Westfalen, wohin es Norbert Ernst Dolezich nach dem Krieg verschlug, widmete er sich wieder der Ausbildung junger Menschen. Bis zu seinem Tod am 4. Dezember 1996 lebte der Künstler in Recklinghausen, einer Stadt, fernab von der Landschaft Oberschlesiens und Ostdeutschlands. Dort hatte er endlich die Muße, sich seiner Kunst zu widmen. Und das um so mehr, als alle seine in Ostdeutschland entstandenen Bilder vom Krieg vernichtet worden waren. Nur einige wenige Platten hatten das Inferno überstanden.

Norbert Ernst Dolezich war ein vielseitiger Künstler, ein Maler und Graphiker, ein Musiker und Schriftsteller. In seinem autobiographischen Roman "Johannes Standorfer" (Dülmen, 1986) erzählte er eindrucksvoll von seinem bewegten Leben, das ihn durch Krieg und Frieden führte, immer von der Kunst begleitet: "Johannes suchte seine eigenen Wege und Malorte, saß auf dem Klappstühlchen, nahm seinen Malblock vor und aquarellierte. Radierplatten waren zu Hause geblieben. Hier galt die Farbe. Das gefährlich zwingende Gelb der Dünen unter dem blauen Himmel, die weißgrünen Weiden mit ihren fließenden Farbbewegungen, die hellen und dunklen Blaus des Haffwassers, das Schilf, in den Himmel ragende Masten, auf dem Strand ruhende Kähne, das heranrollende Meer, die Beobachtung der umkippenden, grünen Wellen - das war eine Unermeßlichkeit von Schönheit, die sich allen anbot und in der Johannes sich wie trunken bewegte ..."

Auch in seinen anderen Büchern, "Zeichen und Wege", "Wiesufer" oder "Im Strom", begegnet der Leser einem Mann, der etwas zu sagen hat. Seine Worte sind voll stiller Poesie, auch wenn sie in Prosa gesagt werden. Themen des alltäglichen Lebens greift er auf, ohne banal zu werden. Er hält inne im Strom des Lebens, der ihn selbst so sehr durcheinander geschüttelt hat, betrachtet die kleinen Dinge am Wegesrand, verweilt, um auch den leisen Tönen zu lauschen. Es sind die vielfältigen Begegnungen, Worte, Gedanken, die Spuren hinterließen in einem reichen Künstlerleben. Mit seinem Werk, dem schriftstellerischen wie auch dem graphischen, ist es Dolezich gelungen, diese Spuren sichtbar zu machen und die Augen des Lesers oder Betrachters zu öffnen für diese "andere Welt".

"Abseitiges, Unbemerktes am Weg, die Stille, das In-sich-ruhen der Dinge, das Unscheinbarste wurde zum Erlebnis, in dem die Ewigkeit mitschwang und welches das Laute, das Dramatische ausschloß", umschrieb er einmal die Themen, die er auf seinen Radierungen habe festhalten wollen. Ähnliches läßt sich durchaus auch für sein schriftstellerisches Werk feststellen.

Wer Norbert Ernst Dolezich gekannt hat, mit ihm hat plaudern dürfen, der weiß, daß es diesem Mann am Herzen lag, die Schönheit dieser Welt zu zeigen, aber auch ihre Vergänglichkeit. Zuletzt entstanden Blätter mit "einer Art symbolhaften Surrealismus", wie er es selbst ausdrückte. Sie zeigen das Ringen des Künstlers um die großen Fragen der Menschheit, die Begegnung des Menschen mit furchtbaren Bedrohungen, aber auch "einen unzerstörbarer Trost, den es für den Menschen gibt". Und so ist das Werk des Ostdeutschland aus Oberschlesien aktuell wie eh und je.

Eine Ausstellung zum 100. Geburtstag des Graphikers und Schriftstellers Norbert Ernst Dolezich zeigt das Oberschlesische Landesmuseum, Bahnhofstraße 62, 40883 Ratingen-Hösel, bis zum 19. März. In der Ausstellung mit dem Titel "Lebendige Stille" sind dienstags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr Radierungen aus dem Zeitraum von 1929 bis 1974 zu sehen. Begleitend zur Ausstellung wird der Katalog "Norbert Dolezich. Ein oberschlesischer Maler und Schriftsteller", Dülmen, 1996, zum Preis von 5 Euro angeboten.

Norbert Ernst Dolezich: Erinnerung an die Kurische Nehrung (Aquarell, 1950)
 
     
     
 
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