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REVIERVERHALTEN

 
     
 
Die Abgrenzung und Verteidigung von Revieren ist ein allgemeines Wirbeltierverhalten. Bei den niedrigsten Wirbeltieren (Fischen) gibt es nur Paar- bzw. Fami1ienreviere, bei höher organisierten Formen auch Gruppenterritorien, die in Familienreviere untergegliedert sein können. Die Revierverteidigung ist um so heftiger und um so erfolgreicher, je mehr sich der Angreifende dem zentralen Nestplatz nähert; bei zunehmender Bevölkerungsdichte, so häufig bei Tieren in Gefangenschaft, pflegen daher die Revierkämpfe zahlreicher und heftiger zu werden. Die sozialen Funktionen des Revierverhaltens sind u. a. Sicherheit für die Jungen, gleichmäßige Verteilung der Bevölkerung, Verminderung der sexuellen und Rangkämpfe und Integration der Gruppen; die Identifizierung mit einem bestimmten Ort begünstigt auch die Individualisierung: da alle Wirbeltiere ein ausgebildetes Ortsgedächtnis haben, wird damit das Wiedererkennen bestimmter Artgenossen erleichtert. Die Größe der Territorien. sowie die Angriffs- bzw. Fluchtdistanz sind artspezifisch, zeigen aber auch eine individuelle Variabilität; sie hängen u. a. von Körpergröße, Nahrungsbedarf und der Art der Ernährung ab.

Reviere finden sich auch bei den Primaten. Die Großaffen haben relativ umfangreiche Gruppenterritorien und entfernen sich bei der Nahrungssuche relativ weit von den Nestplätzen der Gruppe. Insbesondere bei Pavianen steht der Raumanspruch der Einzelindividuen in Beziehung zum sozialen Rang; es findet jedoch keine feste Aufgliederung des Gruppenreviers statt, sondern die Distanzen werden bei allen Ortsveränderungen der ranghohen Tiere immer wieder aufs neue eingestellt.

Daß Revierverhalten auch noch beim Menschen in der sozialen Organisation eine Rolle spielt, ist unverkennbar. Gruppenterritorien reichen von den Wildbeutern, bei denen die einzelnen Horden ihre Sammelreviere haben, die in der Regel von den anderen Kleingruppen respektiert werden, bis zur Setzung und Verteidigung von Territoriumsgrenzen bei Hochkulturvölkern. Auch einzelne Individuen und Familien suchen sich Reviere zu sichern und abzugrenzen (u. a. Beobachtungen in Flüchtlings- und Gefangenenlagern).

Die Feindseligkeit gegen die Nachbarn und das Bestreben, den eigenen Nestplatz abzugrenzen, wächst mit der Bevölkerungsdichte (L e i l t a u s e n, Loren z). Bei Geisteskranken wurde eine fixierte, individuell variierende Fluchtdistanz beobachtet; wurde sie von einem Fremden überschritten, so schlug das Verhalten in Panik und Aggression um (S t a e h e l i n). Revierverhalten und Aggression gegen Revierfremde sind offenbar eine der Grundlagen des Pluralismus der Kulturen , sie stehen der Diffusion von Kulturgütern entgegen und begünstigen die Ausbildung gruppenspezifischer Verhaltensweisen.

RANGORDNUNG, Viele tierische Gruppen, auch die der Primaten, werden ebenso wie die menschlichen Gesellschaften durch Rangordnung strukturiert. Die Stellung der Einzelindividuen in der Ranghierarchie wird durch Kämpfe ausgetragen, die jedoch zu Scheinkämpfen ritualisiert werden können. Drohstellungen, Drohgebärden und I m p o n i e r g e h a b e n auf der einen, Demuts- und Unterwerfungsgebärden auf der anderen Seite treten dann an die Stelle der wirklichen Kämpfe. Verhaltensformen, die die Aggression der Artgenossen hemmen, sind vor allem bei solchen Arten ausgebildet, die Fleischfresser und ihrer Organisation nach imstande sind, gleichgroße Individuen zu töten (z. B. Wölfe). In der Primatenreihe waren diese Voraussetzungen mit dem Übergang zur Jagd und der Erfindung von Werkzeugen gegeben. Entsprechende Sicherungen gegen die Tötung von Artgenossen wurden aber nicht mehr auf der Grundlage instinktiver, sondern auf der erlernter Verhaltensweisen eingebaut: nur der Gruppen- bzw. Revierfremde wird angegriffen, der persönlich Bekannte der eigenen Gruppe in der Regel geschont. Persönliche Bekanntschaft und damit Lernvorgänge spielen jedoch auch schon bei tierischen Rang- und Revierkämpfen eine Rolle. Die Hemmung des Aggressionstriebes ist in beiden Fällen, sowohl bei den instinktiven wie bei den erlernten Verhaltensweisen, ein leicht störbarer Mechanismus (Lorenz).

Droh- und Unterwerfungs- bzw. Imponier- und D e n u t s g e-b ä r d e n sind artspezifisch. Dem Imponiergehaben überlegener Individuen ist jedoch in allen Arten gemeinsam eine Tonussteigerung, verbunden mit S e l b s t v e r g r ö J3 e r u n g (Aufblasen, Aufplustern, Aufrichten, Radschlagen, Aufstellen von Flossen, Ohren oder Schwanz), den Demutsgebärden eine Tonusminderung verbunden mit Selbstverkleinerung (Zusammenziehen, Ducken, Einziehen des Schwanzes, Anlegen der Ohren usw.). Diese Grundformen des rangspezifischen Verhaltens sind noch in den kulturell überformten, erlernten und gesellschaftlich vorgeschriebenen Ranggebärden des Menschen erkennbar. Verbeugung und Knicks, Hutabnehmen, Niederknien und Niederwerfen machen den Rangniederen kleiner; die Körperhaltungen ranghöherer Individuen werden durch technische Hilfsmittel gesteigert: Masken, Kopfaufsätze wie Kronen und Diademe, Stelzen, erhöhte Sitze, auffällige volumensteigernde Kleidung dienen der imponierenden Überhöhung der Erscheinung.

Die Erreichung eines hohen Ranges bzw. eines großen Reviers wird bei den Wirbeltieren begünstigt durch überlegene K ö r -p e r g r ö ß e; große, kräftige, im Kampf um Weibchen und Nestreviere erfolgreiche Individuen sind daher auch selektionsbegünstigt (- Abstammung, Copesche Regel); unterlegene Größe kann jedoch durch Erfahrung und Vitalität kompensiert werden. Bei den Primaten mit ihrer ausgeprägten Geschlechtsdifferenz der Körpergröße sind in der Regel Männchen die dominanten Tiere; die weibliche Gebärde der Begattungsbereitschaft kann sogar zur allgemeinen, auch von Männchen verwandten Demutsgebärde werden (vor allem bei Pavianen). Der Rang des Weibchens wird häufig durch den männlichen Partner bestimmt; es kann also durch entsprechende Paarungen sozial aufs oder absteigen. Körpergröße und Geschlecht spielen auch in der menschlichen Rangordnung eine Rolle (- Sozialanthropologie).. Es ist jedoch wahrscheinlich, daß das Imponierzeichen der Körpergröße mit zunehmender Differenzierung der Gesellschaftsstruktur an Bedeutung zugunsten der Erfahrung zurücktrat und daß die Korrelation zwischen sozialem Rang und Erbfaktoren der Größe in der modernen Gesellschaft nicht direkt, sondern über die Korrelation zwischen Lernfähigkeit und Größe entsteht. Neben die individuelle Ausstattung treten ferner beim Menschen zahlreiche neue rangbestimmende Momente, die nur noch in lockerer Korrelation mit der biologischen Beschaffenheit der Individuen stehen: Familienherkunft, Beruf, Besitz. Während in Tiersozietäten daher in der Regel eine einfache Rangordnung oder höchstens eine doppelte, nämlich für Männchen und Weibchen besteht, in der jedes Individuum einen bestimmten Status innehat, gibt es beim Menschen multiple Rangordnungen (C o ii n t); die Gesellschaft wird durch verschiedene Hierarchien strukturiert, und das Individuum kann in Familie, Beruf, öffentlichem Leben usw. verschiedene Rangstellungen einnehmen.
 
     
     
 
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