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Der Rheinbund - Episode oder Symbol einer Dauermisere

 
     
 
Bald nach der Gründung des Nachrichtenmagazins "Spiegel" meldete sich in ihm unter dem Namen Jens Daniel ein Kommentator zu Wort. In einer heut verblüffenden Schärfe zog jener "Daniel" gegen die sich zunächs abzeichnende, dann vollzogene Westbindung der Bundesrepublik zu Felde: Sie mache die Wiedervereinigung und damit die Schaffung eines einigen Deutschlands, die er in jene Jahren für möglich hielt, für die nächste Zukunft unmöglich.

Bald machte die Runde, daß sich unter dem Pseudonym
Jens Daniel der Herausgeber un Chefredakteur Rudolf Augstein verbarg. 1953 erschien dann unter dem Tite "Deutschland – ein Rheinbund?" eine Sammlung dieser Kommentare als Taschenbuch, in dessen Vorwort, sicherlich von Augstein selbst geschrieben, zu lesen war ",Zieht Preußen von Deutschland ab, was bleibt?‘ fragte Walther Rathenau 1919 Ein verlängertes Österreich, eine klerikale Republik: der Rheinbund. Inzwischen is Preußen zerschlagen und sein Kern ist von Deutschland abgezogen worden. Das Land östlic der Elbe bäumt sich unter dem Diktat eines unmenschlichen Regimes. In der Bundesrepubli aber, die sich aus der Katastrophe retten konnte, machen sich wieder ... wie 1806 die Fliehkräfte des rheinisch-katholischen Raumes bemerkbar, die sich eher mit den westliche Siegern als mit dem unterdrückten, ausgepowerten Osten des Vaterlandes gruppiere wollen." Der Autor plädierte mit Leidenschaft für ein wiedervereinigte Deutschland.

Nun ist 47 Jahre nach dem Erscheinen des Buches die Bundesrepublik Deutschland mit de Deutschen Demokratischen Republik vereinigt, zwar nicht gefördert durch die Politik de verschiedenen Bundesregierungen, wohl aber, als durch außerhalb Deutschlands liegend Umstände der Warschauer Pakt zusammenbrach, durch die damalige Regierung Koh verwirklicht. Sie aber sah – und die nachfolgende Regierung übernahm diese Grundide – das Gebiet der DDR lediglich als Teil an, das dann zusammen mit der Alt-BRD nac Europa geführt werden soll – kritische Beobachter meinen sogar, um es nac Umwandlung in eine multikulturelle Gesellschaft in Europa aufgehen zu lassen.

Schon 1953 prangerte der junge Augstein an, die Regierung Adenauer habe bis dahi "nicht deutsche, sondern amerikanische Politik gemacht". Er forderte, die Bundesrepublik solle sich nicht abfinden "mit der rheinischen Republik, mit eine Appendix des Westens, mit einem Rheinbund unter dem Patronat des General Eisenhower". Er verlangte, "eine politische Partei zu schaffen, die ... ein Wiedervereinigung Deutschlands für vordringlicher hält als den Anschlu Westdeutschlands an Westeuropa im Rahmen des Atlantikpaktes".

Inzwischen ist nicht nur die westdeutsche Bundesrepublik, sondern die ganze Berline Republik "in den Westen integriert", ein Begriff, den Rudolf Augstein damals au das heftigste bekämpfte. Ein Deutschland mit einem politischen Eigengewicht, ei Deutschland, das wirklich souverän ist – davor scheut die heutige politische Klass offenkundig zurück.

Augstein fühlte sich angesichts dieser Haltung an das Deutschland vor (nunmehr) 20 Jahren erinnert – an eben jenen "Rheinbund". Doch was war damal eigentlich? Gibt es wirklich Parallelen zu heute?

Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation hatte seine erste schwere Erschütterun bereits mit dem Westfälischen Frieden 1648 erfahren. In diesem Friedensvertrag, desse Grundlinien von den traditionell gegen Deutschland gerichteten Staaten, an der Spitz Frankreich, festgelegt worden waren, war den deutschen Fürsten das Recht eingeräum worden, auch gegen das Deutsche Reich Verträge abzuschließen. Nur schwer erholte sic Deutschland von den Zerstörungen und den immensen Bevölkerungsverlusten de Dreißigjährigen Krieges. Zwar blieb das Reich formal erhalten, doch verfiel die Reichsmacht immer mehr. In Wirklichkeit hatte der Westfälische Friede die deutsche Fürsten gegen die Macht des Kaisers gestärkt; so gingen die Länder innerhalb de Reiches ihre eigenen Wege, kräftig gefördert von Paris, das sein Ziel nicht aufgab, da gesamte linke Rheinufer zu okkupieren.

Auch die Französische Revolution 1789 änderte an diesem außenpolitischen Zie nichts. Der Druck auf die langsam sich erholenden deutschen Einzelstaaten wurde noc wirksamer, als die Grundidee der Französischen Revolution, nämlich die Freiheit de Korporationen zu garantieren, auch in der gebildeten deutschen Öffentlichkeit au Zustimmung stieß. Sie übernahm von der Revolution die Auflehnung gegen die starre Konventionen, lehnte aber den jakobinischen Terror entschieden ab. Die politisc führenden Kreise Frankreichs, gleichgültig ob in der Monarchie oder in der Republik strebten weiter danach, das Deutsche Reich dreizuteilen etwa in ein preußisc beherrschtes Norddeutschland, ein österreichisch bestimmtes Süddeutschland und zwische ihnen einen Pufferstaat, der unter französischem Einfluß stehen sollte.

Mit dem zunehmenden Verfall der Zentralmacht des Reiches schwand auch das deutsch Zusammengehörigkeitsgefühl, das über die Grenzen der jeweiligen Region oder Heima hinausging. Die wachsende Selbständigkeit der kleineren Einheiten – damal Fürstentümer, was an das heutige "Europa der Regionen" erinnert – lie sie um so leichter Spielball benachbarter Mächte werden.

Mit der Konsolidierung der französischen Zentralmacht unter Napoleon setzte sich ei Imperialismus durch, der in den vielen kleinen deutschen Staaten angesichts der schwache deutschen Zentralgewalt leichte Opfer sah. Schon 1792 hatten die französischen Volksheer Deutschland überfallen und die Pfalz, Trier, Koblenz, Mainz, Frankfurt am Main, Worms un Speyer erobert. Die weltlichen und geistlichen deutschen Fürsten flohen fast ohn Widerstand. In Mainz gründete darauf Erich Forster zusammen mit anderen deutsche Professoren die "Rheinisch-deutsche Republik", löste jede Bindung ans Reich un bat um Vereinigung mit Frankreich, das daraufhin 88 mainzische Stadt- und Landgemeinde annektierte. Das geschwächte Preußen mußte im Frieden von Basel das linke Rheinufer a Frankreich abtreten. Damit war der erste Schritt der französischen Ausdehnungspoliti gelungen. Frankreich war Vormacht in Europa, umgeben von neu geschaffene Satellitenstaaten. Der Widerstand gegen die Vormachtsrolle Frankreichs ging von Englan aus, das ein Bündnis schuf, welches jedoch nach den ersten Siegen Napoleons zerfiel.

Das in viele Teile zersplitterte Reichsgebiet wurde von Napoleon neu geordnet. Klein geistliche Territorien verschwanden. Napoleon sagte den deutschen Territorialfürste Entschädigung für die linksrheinisch verlorenen Gebiete zu, was die Uneinigkeit und de Egoismus unter den Fürsten der deutschen Kleinstaaten nur noch verstärkte. Napoleo machte sich diese Fürsten geneigt, indem er Bayern, Württemberg und Baden spürba vergrößerte, die dadurch zu Territorialfürsten wurden und sich dankbar Frankreich in dessen Kampf gegen Österreich anschlossen. Daraufhin erhob Napoleon Bayern un Württemberg zu Königreichen, Baden avancierte zum Großherzogtum. Frankreich erkannt deren volle Souveränität an, womit das Deutsche Reich zerschlagen war. 1806 trennte sich weitere 18 deutsche Fürsten vom Reich und verpflichteten sich Napoleon gegenübe zum "ewigen Bündnis". Der Rheinbund war geschaffen.

Der ebenso machtlose wie phantasielose "Koadjutor" dieses neuen Gebildes, de Erzkanzler und Primas Germaniae Karl Theodor von Dalberg, konstatierte: "Es gibt kei Deutschland mehr." Im August 1806 legte der deutsche Kaiser Franz II. die Kaiserkron des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ab und sah sich nur noch als Kaiser vo Österreich.

Nur Preußen stand (neben Österreich) außerhalb dieses Konglomerats vo Rheinbund-Staaten. Obwohl es diplomatische Verständigung mit Frankreich suchte, brac Napoleon einen Krieg gegen Preußen vom Zaun und konnte die veraltete preußische Arme bei Jena und Auerstedt schlagen. Preußen verlor alle Besitzungen westlich der Elbe. Au Hannover, Braunschweig und Hessen-Kassel bastelte Napoleon das Königreich Westfalen un setzte einen seiner Brüder als König ein. Danzig wurde "Freie Stadt", Preuße mußte Frankreich eine Kriegsentschädigung bezahlen, deren Höhe zunächst offen blieb dann aber auf 130 Millionen Taler festgesetzt wurde, obgleich alle vorhandenen Wert Preußens auf 120 Millionen Taler geschätzt wurden. (Der Versailler Vertrag hatte als Vorläufer.) Alle preußischen Festungen wurden besetzt und Preußens Heer halbiert Holland, Ostfriesland, Oldenburg, Bremen, Hamburg, Lübeck wurden dem französische Kaiserreich einverleibt.

Führenden Schichten in den deutschen Teilstaaten war das durchaus recht. Sie sahen nu noch die Interessen der eigenen Region und ihre persönliche Bereicherung. Erschie Napoleon, wurde ihm zugejubelt. Man begrüßte das von ihm eingeführte moderne Gesetzbuc Code Napoleon als fortschrittlich, ebenso wie die Abschaffung von Standesvorrechten un anderen überalterten Einrichtungen. Die Soldaten der Rheinbund-Staaten, die im Dienst Napoleons kämpften, entwickelten Landsknechtgesinnung und waren stolz auf ihr kriegerischen Leistungen, gleichgültig, für welche Ziele sie eingesetzt waren Literaten, so der seinerzeit viel gelesene Saul Asher in Berlin, verbreiteten die Auffassung, daß die Zeit der Nationalstaaten vorbei sei. Der über Europa herrschend Napoleon sei der Bahnbrecher für die Modernität. Weltbürgertum sei angesagt. Ei führender bayerischer Politiker erklärte, daß nur der Deutsche wirklich deutsch sei der Kosmopolit sei. Man träumte von einer die Welt umspannenden Monarchie, in der all gleich seien, sozusagen einer herrschaftsfreien Weltgesellschaft.

Gegenkräfte sammelten sich nicht nur in Preußen, sondern in kleinen Zirkeln selbst in den Rheinbund-Staaten. Großes Gewicht hatten sie zunächst nicht. Die Masse des einfache Volkes wie die Bauern, Handwerker, Tagelöhner verharrten in ihrer angestammten Art.

Als die alle beherrschende Macht Frankreich begann, allzu brutal die Rheinbund-Staate auszubeuten, um sich für den entscheidenden Schlag gegen Rußland zu rüsten, erst als die Steuerschraube immer fester angezogen wurde, erst als wirtschaftliche Zusammenbrüch sich häuften, als Aushebungen von Soldaten überhand nahmen, begann der Widerstand, de zunächst in den unteren Volksschichten virulent war, sich auch in Kreisen der Oberschich auszudehnen. Frankreich und die ihm ergebenen regierenden Schichten in den deutsche Teilstaaten versuchten durch härtere Repressalien die Aufsässigkeit zu unterdrücken was zeitweise gelang. Doch wurde immer deutlicher, daß Napoleons Absicht, Deutschland zu "entdeutschen" (dépayser), scheitern mußte.

Die Rheinbund-Staaten mußten 119 800 Soldaten zur Verfügung stellen, dami Frankreich den Rußlandfeldzug führen konnte. Preußen und Österreich hatten je ei Hilfskorps als Flankenschutz zu stellen. Der Feldzug scheiterte. Der größte Teil de deutschen Hilfstruppen verblutete oder erfror in Rußlands Weiten. Von diesen Opfern de Unfähigkeit und Charakterlosigkeit deutscher Fürsten zeugt heute noch in München die Erinnerungssäule an 30 000 in Rußland gefallene Soldaten des bayerische Hilfs-korps mit der frechen Behauptung, auch sie seien für Deutschlands Befreiun gestorben. Tatsächlich waren sie von ihrem Fürsten verheizt worden.

Endlich im Winter 1812/13 sagte sich das preußische Hilfskorps von Frankreich los un veranlaßte den preußischen König, mit seinem Aufruf "An mein Volk!" zum Kamp gegen den französischen Unterdrücker aufzurufen. In der Völkerschlacht bei Leipzi entschied sich dann das Schicksal Napoleons. Nachdem als erstes die beiden Mecklenburg au dem Rheinbund ausgetreten waren, wechselten am dritten Tag der Leipziger Völkerschlach die meisten Rheinbund-Truppen die Seite und kämpften nun zusammen mit Preußen un Rußland und deren Verbündeten für die Freiheit Europas. Der Rheinbund war zerbrochen.

Nicht verschwunden aber war – glaubt man den Augstein-Thesen – de Rheinbund-Geist, nämlich die Bereitschaft Deutscher, sich mit Fremden gegen das eigen Land und das eigene Volk zu verschwören.

 
     
     
 
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